Kurzprosa | Katja Kullmann: Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad
Systemkritik aus dem Schönheitssalon – in ihrer Erzählung ›Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad‹ zeigt Katja Kullmann soziale Schichten ohne Schminke. Von KERSTIN MEIER
Über hundert Jahre deutsche Sozialdemokratie ändern nichts an dem Grundgesetz: Runter kommt man die soziale Leiter immer noch leichter als hoch. dass selbst der unbedingte Wille zur Anpassung kein Ticket zum sozialen Aufstieg ist, zeigt Katja Kullmanns Erzählung ›Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad‹. Dabei ist die Kosmetikerin Simone aus der bayrischen Provinz fest entschlossen, alle Spuren ihres kleinbürgerlichen und -geistigen Vorlebens auszuradieren. So fest, dass sie sogar Tonbandaufnahmen macht, um ein einwandfreies Hochdeutsch einzustudieren. Außerdem nennt sie sich mondän »Mona«. So wähnt sie sich bestens gerüstet für ihren neuen Job beim »Studio de la beauté« im Souterrain eines Einkaufszentrums in der großen Stadt. Hier kommt bei pastellfarbenem Dämmerlicht und dauernder Duftbestäubung zusammen was nicht zusammengehört – die reichen Ladys »von und zu« und Mädchen wie Simone, die Abendroben und Defileés nur aus der »Gala« kennen. Doch die Rollen sind verteilt, es ist klar, wer hier wem die Gesichtsmasken anrührt.
Schönheit trifft Bildung
Die geordneten Verhältnisse im Schönheitssalon geraten für Simone jedoch komplett durcheinander, als auf einmal ein Kunde auftaucht, dessen Universum noch fremder scheint als das ihrer neureichen Kundinnen. Der junge Mann arbeitet als Redakteur im Feuilleton der Lokalzeitung und benutzt andauernd Ausdrücke wie »Larmoyanz« und »ontologisch«. Während sich Simone um seinen Teint bemüht, fackelt er ein imposantes Formulierungsfeuerwerk ab. Soviel Eloquenz macht sie sprachlos. Sie ist fasziniert und vor allem: verliebt. Umgehend beginnt sie die Zeitung zu studieren wie die Bibel einer fremden Religion. Doch genauso wie aus einer Simone nie eine echte Mona wird, wird aus einer provinziellen Kosmetikerin auch nie die Freundin von Feuilletonisten.
Gut gepflegter Standesdünkel
Bei ihrem Bestseller »Generation Ally« unterstellte die Kritik Katja Kullman, Konsumkultur zu glorifizieren. Spätestens mit ›Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad‹ steht fest: Kullmann nimmt dezidiert politisch Stellung und scheut sich nicht, Systemkritik literarisch zu verarbeiten. »Kein Eintritt ohne den entsprechenden Code«, lautet die Bilanz der Erzählung, die Kullmann jedoch nie platt eins zu eins ausformuliert. Stattdessen enthüllt sie die Standesdünkel der Kulturschickeria durch die groteske Bewunderung einer Außenstehenden.
Ganz sicher macht Simone bei ihren verzweifelten Annäherungen ans Bildungsbürgertum keine gute Figur. Aber am Ende kommt der Feuilletonist noch schlechter weg. Sein aufgeblasenes Geschwafel stellt Kullmann ebenso bloß, wie seine bourgeoisen Allüren. Den feuilletonistischen Bonmots setzt sie einen relativ schlichten Erzählstil entgegen, für den der merkwürdige Titel glücklicherweise nicht repräsentativ ist.
| KERSTIN MEIER
Titelangaben
Katja Kullmann: Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad
Eine Erzählung
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004
176 Seiten; 14,90 Euro
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