Menschen | Zum Tode von Peter W. Jansen
Einem langjährigen Freund, einem journalistischen Copain und beruflichen Kompagnon nachzurufen, den man sowohl als Kollegen schätzte wie als Mensch liebte, kehrt für einen ersten und letzten Moment Persönlichstes nach außen, wo es zu seinen Lebzeiten seinen Platz nicht hatte und auch nicht hingehörte. Nichtschwule Männerfreundschaften, die durch berufliche Parallelen gestiftet und – selten genug – durch Konkurrenz, Neid & Karrieren nicht gefährdet oder gar wieder zerstört wurden, sind diskret, intensiv, robust und dauerhaft. Sie bestehen stillschweigend & selbstverständlich auch dann noch fort, wenn im jeweils danach gelebten Leben der zeitweilige enge berufliche Kontakt nicht mehr besteht, der beide einst verbunden hatte. Danksagung an Peter W. Jansen: Ein Nachruf von WOLFRAM SCHÜTTE
Ich habe mit Peter W. Jansen von 1974 bis 1992, also in achtzehn unserer besten Jahre, 45 Bände der »Reihe Film« im Hanser-Verlag herausgegeben, ohne dass es je unter uns auch nur den Anflug eines Streits oder eines Konflikts gegeben hätte oder irgendetwas unter den Teppich hätte gekehrt werden müssen. Wir »verstanden« uns, weil wir mit dem gleichen Enthusiasmus dasselbe »cinéastische« Ziel verfolgten: der (west-) deutschen Filmpublizistik kontinuierlich einen Platz zu schaffen, auf dem sie sich einlässlich mit dem Oeuvre eines Regisseurs (von Truffaut & Fassbinder bis zu Wenders & Angelopoulos) ebenso philologisch exakt und verlässlich, wie journalistisch facettenreich in Essays, Interviews und kommentierten Filmographien jenseits der tagesaktuellen Flüchtigkeiten beschäftigen konnte. Dem »Kino der Autoren« sollten Bücher entsprechen, die mit ihm auf gleicher Augenhöhe verhandelten.
Ohne die ökonomische wie logistische Förderung durch die Stiftung Deutsche Kinemathek und vor allem dort Hans-Helmut Prinzlers wäre das verlegerische Unternehmen weder möglich gewesen, noch von uns realisiert worden. Denn wir machten zur Bedingung, dass alle von uns gewählten Mitarbeiter alle Filme der Regisseure bei einer gemeinsamen, oft mehrtägigen Sichtung in Berlin auf der Leinwand sehen konnten, ohne dass für die Mitarbeiter daraus Reise- & Aufenthaltskosten entstünden. Ebenso lag die Honorierung der Beiträger auf der Höhe dessen, was Verlage für belletristische Autoren im Hardcover zahlten, also weit über den besten Zeilenhonoraren der Zeitungen. Die Herausgeber, die sowohl selbst als Autoren wie auch als Lektoren jeweils allein für den von ihnen edierten Band zuständig waren, hatten sich zudem das Recht des »final cut« ausbedungen, d.h. den Klebeumbruch mit der allein von ihnen bestimmten & verantworteten Bildauswahl & -platzierung im Text.
Es war vor allem Peters Verdienst, dass wir solche Freiheiten und Möglichkeiten besaßen, weil er das verlegerische Metier von der Pike auf, samt seinen Tricks und Fallen, kannte. 1930 bei Köln geboren und nach einem Studium von Germanistik, Geschichte und Soziologie über Josef Roth promoviert, war PWJ nämlich zuerst Verlagsbuchhändler bei ›Kiepenheuer & Witsch‹ gewesen, bevor er in den Journalismus kam. Als Feuilleton-Redakteur und Literaturkritiker beim Düsseldorfer ›Mittag‹ wechselte er dann zum ›WDR‹ und zur ›FAZ‹ und von dort zum ›Südwestfunk‹.
Obwohl er, zuletzt »Hauptabteilungsleiter Kultur« beim ›SWF‹-Hörfunk, ein weites Feld zu überschauen hatte, war & blieb seine Leidenschaft der Film und das Kino. Zeitweilig war »der Mann im blauen Pulli« auch so etwas wie der monatliche ›Aspekte‹-Filmkritiker – bis man den dynamischen und kompetenten Grenzgänger zwischen den TV-Systemen wegen seiner ›ARD‹-Anbindung um diese prominente Einflussmöglichkeit im Fernsehen brachte, was ihn schmerzte. Denn er liebte den offensiven Kontakt mit dem Publikum.
Seine sinnlich und persönlich formulierten Kritiken und Beiträge wurden getragen von einer eminenten filmhistorischen und -ästhetischen Kenntnis, angetrieben von einer unstillbaren Neugier und einer enthusiastischen Offenheit für alles Neue, Riskante, das in ihm einen luziden Fürsprecher und Verteidiger gegen den »Mainstream« hatte, den er gar nicht verachtete – wo er in ihm das Gelungene erkannt hatte. Denn PWJ war weitherzig in seiner geradezu erotischen Beziehung zum Kino, der eine ebenso intensive berufliche Professionalität und jederzeit entflammbare Arbeits- & Formulierungslust zur Seite stand.
Selbstverständlich war er einer der besten Filmkritiker der Bundesrepublik – und der einzige Hörfunkmann von solitärem Rang in diesem Genre – ein später Nachfolger solcher Radio-Pioniere wie Ernst Schnabel oder Alfred Andersch, die mit dem funkischen Medium neue ästhetische Formen schufen.
Die Kollegen der Printpresse, die sich allein für existent, weil füreinander sichtbar hielten, anerkannten Peter W. Jansens Qualität als Filmkritiker, wenn er, vornehmlich im Berliner »Tagesspiegel«, der »Neuen Zürcher Zeitung« (oder an zahlreichen anderen Druckorten), ihnen mit seinen Arbeiten unter die Augen kam – von seinen Beiträgen in der viel frequentierten »Reihe Film« ganz zu schweigen.
»Jansens Kino«: ein einzigartiges Vermächtnis
Aber Peter W. Jansens wahre, wirkliche & wahrhaft einzigartige Domäne war der Hörfunk, in dem er – erst recht nach seiner altersbedingten Pensionierung, gegen die er erfolglos klagte – sein bislang weithin unbekanntes Meisterwerk realisierte: »Jansens Kino«, die weltweit solitäre »Quadratur des Kreises«. Auf 50 CDs hat er 100 »Meisterwerke der Kinogeschichte« (von David W. Griffith bis zu Jim Jarmusch und Woody Allen) in tüfteliger Recherche- & Montage-Arbeit an seinem häuslichen Schneidetisch zu imaginativen Hörbildern von Filmen erschaffen – als gelte es, Blinde, nämlich seine Hörer, zu Sehenden zu machen. Und wenn sie die Filme dann sahen, sahen sie sie erst wirklich, kundig aufgeschlüsselt von PWJ.
Jansen montierte dafür sensibel Filmmusiken, Synchron- und Original-Dialoge, Interviews und referierte Handlung & Ästhetik der Filme in einer fesselnden Dramaturgie zur sinnlich erfahrbaren, geistig transparenten evokativen Vergegenwärtigung & magischen Beschwörung der »Meisterwerke der Kinogeschichte«.
Das war mehr als jede Filmkritik; das war eine originelle kreative Kunst der Übersetzung von einem Medium in ein anderes – als habe Peter W. Jansen aus der tiefsinnigen Bemerkung des von ihm sehr geschätzten französischen Regisseurs Alain Resnais – man könne im Kino zwar die Augen schließen, aber nicht die Ohren –, in einer brillanten Volte produktiv eine eigene audiovisionäre Kunstform entwickelt und zugleich verwirklicht – wie keiner vor und wohl keiner mehr nach ihm.
Denn »Jansens Kino« – wie Manfred Eichers ECM-Publikation des Soundtracks von Jean Luc Godards »Nouvelle Vague« – entspringt der passionierten Devotion eines »Cinéasten«. Sie ist vergleichbar der Hingabe jüdischer Schriftgelehrter bei der Auslegung der Bibel.
In Peters liebevoller Versenkung ins kleinste Detail des kinematographischen Kunstwerks, in dessen feierlichen, spielerischen und freudigen, mithin enthusiastischen »Errettung« durch die akustische Beschwörung können, müssen & sollten wir PWJs letzte Danksagung an seine intensivste existenzielle Glückserfahrung mit dem Kino sehen – was sage ich?: hören.
Näher ans Kino und tiefer in den Film ist keiner von uns (bloß) Schreibenden je vorgedrungen – als Peter in »Jansens Kino«, seinem einzigartigen Vermächtnis, das uns bleiben wird.