Thomas Bernhard und die Brotfachverkäuferin

Roman | Julia Trompeter: Die Mittlerin

Wie schreibt man einen Roman, ein gelungenes Erstlingswerk, wenn die Tage sanft dahinplätschern, vom notwendigen Broterwerb und entspanntem Chillen ausgefüllt? Wenn außer einem Faible für Thomas Bernhard keine ernsthafte Grundlage besteht? Wenn der Verlag mit warnenden Worten drängt? Julia Trompeter bringt erfolgreich ›Die Mittlerin‹  ins Spiel. Von INGEBORG JAISER

mittlerinSchon der Prolog zeigt die Misere auf: »Komme, was wolle«, hatte die Verlagsfrau gesagt, »Sie brauchen ein Plot. Warum sollte eine junge Frau ein Buch schreiben sollen, warum sollte man sich heute, da die Stapel in den Verlagshäusern die Dimension von mehrstöckigen Altbauten annehmen, noch darum bemühen, jemanden zum Debüt zu überreden?«

Vermittelnde Literaturagentin

So steckt die schreibende Ich-Erzählerin in einem Dilemma: eigentlich fühlt sie sich eher der Lyrik verbunden. Sie, die studierte Philosophin mit schlecht bezahlter Stelle als Onlineredakteurin und Nebenjob als Teilzeitbrotfachverkäuferin in Berlin. Mit 30 wäre ein literarisches Debüt angebracht. Am besten ein Roman. Wenns gar nicht anders geht: höchstens noch ein Sachbuch. Nur Lyrik geht gar nicht.

Als Katalysator und Impulsgeber kommt die Literaturagentin Martha Katharina Rodriguez ins Spiel, kurz ›Die Mittlerin‹ genannt. Eine sommersprossige Rothaarige mit hölzernem Charme und klapprigem Fahrrad, mit einer Vorliebe für trockenen Sherry in viel zu großen Gläsern und würzigen Köfte in türkischen In-Lokalen. Geduldig, aber beharrlich versucht sie, den Weg zum ersten Roman zu ebnen. Noch windet sich die Schriftstellerin und klammert sich verzweifelt an ihr Faible für Thomas Bernhard. Auch wenn die Verlagsfrau schon im Prolog warnte: »Sperren Sie den Bernhard beim Schreiben in den Giftschrank.«

Schwingungen und Stimmunge

Was folgt, ist ein ständig mäanderndes Räsonieren und Nachdenken über die Mechanismen der Schriftstellerei. Ein Sinnieren über Prosa und Poeme, Romane und Romantik, Grammatik und Gedichte. Ganz im Bernhard’schen Stile, »mit einem Hang zur Variation, nicht Wiederholung, sondern Variation bis ins Unendliche, ohne Attitüde, mehr wie in einer Fuge.« Und während die Erzählerin buchstäblich vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, rutscht der Leser unbemerkt von einer Meta-Ebene in die nächste und von der Rahmenhandlung in die Geschichte.

Längst vermisst keiner mehr einen Plot, wenn die Ich-Erzählerin erst träge durch einen frühlingshaften Nachmittag, dann erlebnishungrig durch das Berliner Nachtleben driftet, wie durch »ein Mosaik aus inneren und äußeren Eindrücken aller Gattungen und Arten: aus Gerüchen, Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen, Sinneswahrnehmungen, Stimmungen.« Einem psychedelischen LSD-Trip gleich bewegen sich hier die Menschen, als hätten sie über Bluetooth eine geheime Nachricht empfangen oder als hätte ein gewiefter Dogma-Regisseur die Strippen gezogen. Ein herrlich abgedrehter Gegenpart zum bissig-bös beschriebenen Tagesgeschäft bei einem Online-Portal, zusammen mit anderen ähnlich ausgebeuteten Textern und Kreativen, sprich »unterbezahlten Langzeitstudenten in Teilzeitjobs«. Aber, denkt sich die Erzählerin, liegen Teaser-Texte und Gedichte nicht überraschend nah beisammen in ihrer Kürze und Prägnanz?

Nicht nur für Germanistikstudenten

Sehr nahe stehen sich auch die Ich-Erzählerin und ihre Schöpferin Julia Trompeter, die wie ihr literarisches Alter Ego gleichermaßen der Philosophie (sogar mit Promotion über Platon und Galen) wie der Lyrik zugewandt ist. Geschickt bedient sich Trompeters Debüt ›Die Mittlerin‹ serieller Schachtelsätze und Wiederholungen ganz im Stile Thomas Bernhards, durchsetzt von zahllosen Verweisen auf seine Werke und Buchtitel. Auch aufgrund der vielschichtigen, doppelbödigen Anspielungen auf den deutschen Literaturbetrieb und die Gentrifizierung Berlins ist dieser schmale, aber gehaltvolle Roman ein großer Lesespaß – nicht nur für Germanistikstudenten.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Julia Trompeter: Die Mittlerin
Frankfurt am Main: Schöffling 2014
214 Seiten. 19,95 Euro

Reinschauen
|  Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Speck-Tag-Kuh-leer« und »Opi-Mist-Tisch«

Nächster Artikel

Die kleinen Monster von der Insel

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Träne im Augenwinkel

Roman | Hans-Ulrich Treichel: Schöner denn je

»Ich habe nie jemandem davon erzählt. Von meinem Auserwähltsein, wenn ich es einmal so nennen darf.« Mit diesem Romaneinstieg führt Autor Hans-Ulrich Treichel, der von 1995 bis 2018 als Professor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig tätig war, die Leser mit voller Absicht aufs Glatteis. Von der ersten bis zur letzten Seite begleiten wir den stets von starken Selbstzweifeln geplagten Ich-Erzähler Andreas Reiss durch die Handlung. Er ist alles andere als ein Auserwählter, eher das Gegenteil. Er arbeitet in der Lehrerfortbildung, ist gerade geschieden und trifft zufällig in einer Berliner Kneipe, die Klaus Kinski »Pissbude« bezeichnet hat, seinen früheren Mitschüler Erik wieder. Von PETER MOHR

Wenn ein Okapi im Traum erscheint

Roman | Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann »Ich wollte dich umbringen, Selma«, sagte Palm leise. »Wegen deiner Träume. Ich habe gedacht, dass dann keiner mehr sterben würde«, heißt es im dritten Roman ›Was man von hier aus sehen kann‹ der 44-jährigen Mariana Leky, der sich zwischen modernem Märchen und Schauergeschichte bewegt. Von PETER MOHR

»Wie wollen wir leben?«

Interview | Im Gespräch: Autor Anselm Neft Vor 15 Jahren war Anselm Neft zwei Jahre Mitglied der Mittelalterband Schelmish, die sich Ende 2012 auflöste. Mittlerweile ist er Schriftsteller und Mitherausgeber von ›EXOT. Zeitschrift für komische Literatur‹. Nun ist im August sein Roman ›Helden in Schnabelschuhen‹ erschienen, der in der Mittelalterszene spielt. MARTIN SPIESS, der selbst von 2010 bis 2014 mit seinem Comedy-Duo ›Das Niveau‹ auf Mittelalterfestivals unterwegs war, hat ihn zum Gespräch getroffen.

Wiedersehen und Wiederhören in Erlangen

Lyrik | Ulla Hahn am 34. Erlanger Poetenfest Im Rahmen des 34. Erlanger Poetenfests wurde die Dichterin Ulla Hahn mit einem Autorenporträt Herz über Kopf im Spiel der Zeit am vergangenen Freitag Abend im Markgrafentheater der Stadt gefeiert. Der Journalist und Literaturkritiker Dirk Kruse moderierte das Gespräch mit der Autorin, die aus ihrem lyrischen Werk und ihren autobiografischen Romanen las. Anmerkungen von HUBERT HOLZMANN

Ich war meinen Körper losgeworden

Roman | Ally Klein: Carter Carter lebt so exzessiv und selbstzerstörerisch, dass sie Menschen aus ihrem Dunstkreis unweigerlich mitreißt, in einen Strudel der Abhängigkeit und Auslöschung. Ally Kleins rätselhafter Debütroman geht an sprachliche Grenzen und verlangt dem Leser nicht nur starke Nerven ab. Von INGEBORG JAISER