/

Staatsbürger – Säkularist – Muslim

Gesellschaft | Tahar Ben Jelloun: Der Islam, der uns Angst macht

Die Ereignisse vom 7. Januar 2015 in Paris haben alle französischen Intellektuellen erschüttert, besonders tief aber diejenigen, die aus der islamischen Kultur Nordafrikas kommen und schon lange im französischen Leben eingewurzelt sind. Tahar Ben Jelloun hat nicht erst mit dem Anschlag auf ›Charlie Hébdo‹ angefangen, über den Islam und den Westen nachzudenken, wie ›Der Islam, der uns Angst macht‹ belegt. Von PETER BLASTENBREI

islamDer Band stellt elf Texte Ben Jellouns aus den Jahren seit 2012 zusammen. Abgesehen vom titelgebenden Aufsatz, der mit 42 Seiten ein Drittel des Buches ausmacht, umfassen die Beiträge, die für verschiedene Zeitungen wie ›Libération‹, ›Le Monde‹ oder ›La Repubblica‹ und Anthologien geschrieben wurden, jeweils nur wenige Seiten. Anlässe waren durchweg gewalttätige Ausschreitungen von radikalisierten Muslimen wie der Anschlag auf die jüdische Schule in Toulouse 2012, der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel 2014, die Attentate vom 7. Januar oder auch allgemeiner die Ausbreitung des IS in Syrien und Irak.

Alle Texte hier kreisen um einige wenige, sich ständig, fast monomanisch wiederholende Fragen. Wie war das möglich? Was waren das für Leute? Ist der Islam überhaupt mit dem Westen kompatibel? Ist er per se gewalttätig? Hat am Ende die europäische Islamophobie Berechtigung? Was kann getan werden?

Die Antworten sind leider oft vage genug formuliert, Teile von Argumentationen finden nicht zusammen. Vieles bleibt daher oberflächlich und unbefriedigend, einigen wenigen tiefer gehenden Fragen weicht der Autor sogar aus. Die Sachinformationen hat man schon oft exakter und detaillierter gelesen, auch Ben Jellouns Lösungsideen sind wenig originell (Sanierung der Banlieues, bessere Erziehung, Überwachung von Moscheen und Predigern in Frankreich, finanzielle Austrocknung des IS im Nahen Osten).

Ratlos

Hinzu kommt, dass der Autor sich in Ost-Arabien kaum auskennt und auf französische Zeitungsberichte angewiesen ist. Fast unvermeidlich schleichen sich so in Texte zu Vorgängen dort Sachfehler und Fehlurteile ein. Der infernalische Hass, mit dem der Autor Präsident Assad und Vladimir Putin bedenkt, überrascht dennoch – vor allem angesichts des ansonsten ruhigen und zurückhaltenden Tons. Ganz unverständlich bleibt schließlich, wie Raschid Rida (1865-1935), einer der ganz wenigen Araber, die mit europäischen Rassenlehren liebäugelten, auf Ben Jellouns Liste reformistischer Muslime geraten konnte, in der Ali Abd al-Rázik (1887/88-1966), der anerkannte Vater des islamischen Säkularismus, fehlt.

Der Autor vermittelt so den Eindruck eines wohlmeinenden, aber sehr ratlosen Intellektuellen. Eines guten französischen Staatsbürgers und überzeugten Säkularisten, der vor allem »seinen« Islam vor der Beschmutzung durch die Mörder retten will, die sich ständig auf ihn berufen. Und eines frommen Muslims, der nicht weniger seinen Glauben an die fortdauernde universale Tragfähigkeit des laizistischen französischen Gesellschaftsmodells verteidigt. Der daher verzweifelt nach den Motiven der Attentäter forscht und um irgendeine Abhilfe ringt, mit der ganzen moralischen und politischen Komplexität des Problems aber sichtlich überfordert ist.

Die laizistische und intellektuell aufgeschlossene französische Gesellschaft ist Ben Jelloun vielleicht noch mehr neue Heimat geworden als das reale Frankreich, als er 1971 vor dem Polizeiterror in seinem Geburtsland Marokko fliehen musste. Dieses Frankreich nahm ihn gastfreundlich auf, gab ihm Luft zum Arbeiten und Freiheit zum Veröffentlichen und schenkte ihm schnell Anerkennung als Schriftsteller. 1987 erhielt er als erster Autor arabischer Herkunft den Prix Goncourt, die höchste literarische Auszeichnung des Landes, dem seitdem zahlreiche andere Preise gefolgt sind.

Zweimal Islam, zweimal Frankreich

Die spezielle Bindung an das französische Lebensmodell, die sich daraus ergab, ist für dieses Buch zum Problem geworden und erklärt letztlich wohl am besten Ben Jellouns Ratlosigkeit, insofern nämlich, als sie dem Autor offenbar nicht erlaubt, französische Zustände auch nur beiläufig zu kritisieren. Sicher, die Misere der Banlieues mit ihrer Jugendarbeitslosigkeit von 45 Prozent wird erwähnt, mehr aber nicht; ebenso finden sich Reminiszenzen an längst vergangene koloniale Missgriffe. Aber muss man denn wirklich das Unrecht, das Muslime (und doch wohl nicht nur sie) angesichts der Haltung der Regierung Hollande beim Gazakrieg 2014 empfanden, relativieren (»ihrer Meinung nach«, S. 24) ?

Aber es gab und gibt nun leider auch ein anderes Frankreich, eines, das gar nicht gut zu seinen Gästen ist, und das in diesem Weltbild nicht vorkommt. In Ben Jellouns Worten fanden die nordafrikanischen Arbeitsemigranten in Frankreich »kein Paradies« vor (S. 43). Man kann das auch anders ausdrücken: allein im Jahr seiner Ankunft, 1971/72, kamen in diesem Land über 100 algerische Gastarbeiter bei rassistischen Übergriffen um, die meist straflos blieben.

Sollte man also vielleicht nicht einmal probeweise auf griffige Slogans verzichten wie, die Attentäter vom 7. Januar hätten »auf die Freiheit, die Demokratie, auf das Frankreich Voltaires« geschossen (S.9, 27, 121) ? Und sich überlegen, ob die Brüder Kouachi abgedrückt hätten, wenn sie das Frankreich Voltaires nicht nur aus Schulbüchern gekannt hätten. Oder ob sie nicht eigentlich auf die vielen Le Pens geschossen haben, auf die pieds-noirs mit den Zielfernrohren, die ihre Eltern peinigten, und auf ein offizielles Frankreich, dem dies alles bisher so herzlich egal war.

| PETER BLASTENBREI

Titelangaben
Tahar Ben Jelloun: Der Islam, der uns Angst macht
Deutsch von Christiane Kayser.
Berlin: Berlin Verlag, 2015.
128 Seiten, 10,00 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Reduzierte Sezierung

Nächster Artikel

The man who loved only music: New singles reviewed

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Wie ein Schnellzug, der Wachstum und Wohlstand versprach

Gesellschaft | Philip Ther: Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent Preisträger Preis der Leipziger Buchmesse 2015 Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks vor 25 Jahren fand gleichzeitig das politische und wirtschaftliche System des Kommunismus sein Ende. Die neoliberale Transformation, die daraufhin in Osteuropa einsetzte, sorgte in den Staaten jenseits des »Eisernen Vorhangs« für ganz unterschiedliche Entwicklungen. Der Historiker Philip Ther hat sie analysiert und daraus als Bilanz die neue Ordnung Europas gezogen. Von STEFFEN FRIESE

Von Gläubigen, Ungläubigen und Leichtgläubigen

Gesellschaft | Linda Dorigo/ Andrea Milluzzi: Bedrohtes Refugium. Christliche Minderheiten im Nahen Osten Kurz vor Kriegsausbruch 1991 trafen sich die Oberhäupter der im Irak vertretenen christlichen Konfessionen in Bagdad und appellierten eindringlich an den Westen, den Frieden zu wahren. Griechisch-Orthodoxe sah man da, Melkiten, Assyrer, Chaldäer, Nestorianer, Armenier, Jakobiten, Katholiken und Protestanten, in ihren bunten Trachten. Sie alle trieb nicht die Liebe zum Regime Saddam Husseins, sondern die richtige Einschätzung, dass ein Krieg die Balance in der Region zerstören würde – zum Schaden besonders der Christen. Bedrohtes Refugium von Linda Dorigo und Andrea Milluzzi will eine Art Bestandsaufnahme christlichen Lebens

Gegen die Wand

Gesellschaft | Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine   Der Beginn der Abweichung, des Irrwegs, findet sich verschieden datiert bei so unterschiedlichen Koryphäen wie Martin Heidegger, Lewis Mumford, Hanspeter Padrutt, die Reihe ließe sich fortsetzen. Doch wichtiger wäre zurzeit eine Antwort auf die Frage, weshalb niemand auf sie gehört und ihre Überlegungen in politische Praxis umgesetzt hätte. Von WOLF SENFF

Angenommen

Kulturbuch | Maya Deren: Der Tanz des Himmels mit der Erde. Die Götter des haitianischen Voodoo Wer mit ansieht, dass ein leckgeschlagenes ökonomisches System sich mit großer Beharrlichkeit über Wasser hält, findet aus dem Staunen gar nicht wieder heraus. Wie kann es angehen, dass Abgründe klaffen zwischen Manager-Gehältern und Hartz-IV-Sätzen? Wie kann es sein, dass die Luft, die wir atmen, systematisch vergiftet wird? Fragen, Fragen, Fragen und allüberall ein immenses Gegacker. Von WOLF SENFF

Er wechselte die Seite

Gesellschaft | Markus Morgenroth: Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich! Big Brother. Ursprünglich ist das keine Fernsehsendung, sondern eine lückenlose gesellschaftliche Überwachungsinstanz in einem Staat der Zukunft. Die RTL-Veranstaltung setzt den Zuschauer selbst in die Situation der überwachenden Instanz und amüsiert sich über jegliche Überwachungsgefährdung. Der Zuschauer erlebt einen derbe lustigen Ringelpiez mit Anfassen, dem sich u. a. ein Ex-Senator aus Hamburg aussetzt, was also soll daran schlimm sein. Von WOLF SENFF