Gesellschaft | Raul Zelik: Mit PODEMOS zur demokratischen Revolution? Krise und Aufbruch in Spanien
Wie sehr sich die Entwicklung Spaniens von der anderer europäischer Nationen im Detail unterscheidet, zeigt Raul Zelik in dieser hochinteressanten jüngsten Veröffentlichung. Der Übergang von der vierzigjährigen Franco-Diktatur zu demokratischen Abläufen sei stets von Rückschlägen geprägt gewesen, einen skurrilen Höhepunkt bildete der Putschversuch vom Februar 1981. Von WOLF SENFF
Bei seriöser Betrachtung werde jedoch deutlich, dass die Öffnung der spanischen Gesellschaft seit der Transición (1975-82) ein langjähriger, kaum zu bremsender Prozess der Befreiung sei. Die Widerstände seien stets erheblich gewesen, sogar die internationale Unterstützung, geknüpft an den Namen Willy Brandt und die Sozialistische Internationale, habe seinerzeit mit der Förderung der PSOE und ihres Vorsitzenden Felipe Gonzalez alles getan, um einen demokratischen Umbruch zu verhindern.
›Unterstützende‹ Maßnahmen
Was dieses Publikation so lesenswert macht, sind die detaillierten Darstellungen spanischer Sonderentwicklungen: erbitterte gewerkschaftlichen Kämpfe und Generalstreiks bis weit in die achtziger Jahre, die Rolle der ETA, die baskische Autonomiepolitik sowie deren »Zwangsbefriedung«.
Seit Ende der neunziger Jahre habe der Immobilienboom eine große Überproduktionsblase erzeugt, die zum Kollaps der gesamten Ökonomie führte, im Jahr 2010 seien die Banken Spaniens de facto bankrott gewesen. Die ›unterstützenden‹ Maßnahmen der strikt neoliberal ausgerichteten EU sind sattsam bekannt, sie führten auch in Spanien zu einer verschärften Not. »Zu keinem Zeitpunkt wird überlegt, statt der Banken die Bevölkerung vor den Krisenfolgen zu bewahren«.
Wachsender Widerstand
Unter dem inhaltlichen Einfluss der mexikanischen Zapatistas habe sich seit den späten neunziger Jahren eine neue Stärke und Qualität des demokratischen Widerstandes ausgebildet, so im Protest gegen die Weltbank-Tagung 2001 in Barcelona, vergleichbar den italienischen ›Disobbedienti‹. Zelik beschreibt eine »Rückkehr der Bewegungen« in den Aktionen von ›V de Vivienda‹ gegen Wohnungsnot sowie in den neuen politischen Kommunikationsformen von Künstlerkollektiven wie ›Las Agencias‹, ›YoMango‹, ›Emmedio‹ und in den erstarkten Autonomiebewegungen der Basken und der Katalanen.
Die ›Indignado‹ des 15. Mai 2011 – dreihunderttausend Menschen auf über achtzig Plätzen in Spanien – sei ein Ausdruck noch diffusen Unbehagens der vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschicht gewesen, sie habe rasant an Einfluss gewonnen. Die Realität und die Stärke des Widerstands werde von speziell der deutschen medialen Öffentlichkeit gar nicht zur Kenntnis genommen, die großen Medien »ignorieren die Proteste, um gleichzeitig ihr Fehlen beklagen zu können«.
Organisationsdebatten
Podemos‘ erstes öffentliches Auftreten im Januar 2014 habe zum Gründungskongress schon im Oktober 2014 geführt, und Podemos sei nicht aus dem Nichts entstanden, seine Wurzeln lägen in den seit den Indignados des 15M entwickelten Formen des Widerstands, z.B. der ›Plataforma de Afectados por la Hipoteca‹ PAH gegen die Zwangsräumungen von Wohnungen und der ›Marea Blanca‹ gegen die Privatisierung von Krankenhäusern, beides im Kern selbstorganisierte Formen gegenseitiger Hilfe.
Raul Zelik erinnert an die intensiven Organisationsdebatten mit Bezügen zum argentinischen Peronismus und den antineoliberalen Umstürzen in Venezuela, Bolivien und Ecuador, sowie zu dem argentinisch-britischen Theoretiker Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, für die die Eroberung staatlicher Macht das zentrale Element und die Voraussetzung für wirkungsvolle umstürzlerische Politik bilde.
Erfolge im Mai 15
Der Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias, als TV-Moderator populär geworden, habe das »Scheitern der Austeritätspolitik« propagiert. Zwar habe der Gründungskongress in Vistalegre eine traditionelle Organisationsstruktur beschlossen, doch der Konflikt zwischen basisdemokratischer Orientierung einerseits und andererseits einer im Interesse erfolgreicher Wahlen straffen Organisation werde zu einer Belastung.
Das öffentliche Interesse an Podemos ist beträchtlich. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2015 setzten sich in Madrid und in Barcelona, ebenso in Cadiz, Valencia, Zaragoza etc., die Kandidaten linker Basisbündnisse durch, an denen Podemos jedoch nur punktuell beteiligt war.
Katalonien?
Umfragen im Herbst sortieren Podemos bei zwanzig Prozent, die Parlamentswahlen sind noch nicht endgültig datiert, sie müssen allerdings bis Jahresende stattfinden. Raul Zelik hält die Chancen der Linken für gering, an die Regierung zu kommen. Eher werde es der Konflikt um die Autonomiebewegungen, der den spanischen Staat erschüttern werde.
In Deutschland dürfte schwer nachvollziehbar sein, was sich in Spanien ereignet, auch deshalb ist dieses Buch hochinteressant. Die demokratische Bewegung ist Zelik zufolge außerordentlich vielfältig – hierzulande würde sie vermutlich herablassend und hochnäsig als »zersplittert« abgetan.
Die Wahlen in Katalonien brachten am vergangenen Sonntag eine Mehrheit für eine breit aufgestellte Bürgerbewegung aus Linken und Bürgerlichen, die die Unabhängigkeit Kataloniens durchsetzen will. Die nationale Regierung in Madrid erklärte diese Bestrebungen bereits für illegal. Spanien lässt Europa nicht zur Ruhe kommen.
Titelangaben
Raul Zelik: Mit PODEMOS zur demokratischen Revolution? Krise und Aufbruch in Spanien
Berlin: Bertz+Fischer 2015
224 Seiten, 9,90 Euro
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