Portrait des Widerstands

Comic | Marc Ley (Texte)/ Alain Grand (Texte und Zeichnungen): Kinder der Hoffnung

Für gewöhnlich sinkt die Qualität eines literarischen Werkes, wenn es in die Form des Films oder des Comics übertragen wird – das gilt aber wohl auch vice versa. Doch bei Marc Levys Roman ›Kinder der Hoffnung‹ trifft dies nicht zu. Die Graphic Novel dazu ist (beinahe) genauso gut wie das ursprüngliche Buch über die französische Résistance in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Das liegt wohl auch daran, dass Levy selbst sein literarisches Werk zum Comic gemacht hat – gemeinsam mit dem Zeichner und Texter Alain Grand. PHILIP J. DINGELDEY hat sich den historischen und persönlichen Band angesehen.

0011Nachdem die Nationalsozialisten im Krieg Frankreich eingenommen und das Vichy-Regime unter dem General Philippe Pétain installiert hatten, bildete sich eine sehr heterogene Widerstandsbewegung. Sowohl Sozialisten und Philosophen wie Jean-Paul Sartre als auch konservative Militärs wie die Charles de Gaulle gehörten ihr an: der Résitance. Im November 1942 gründete sich als Teil dieser Bewegung die >35. Brigade FTP-MOI< im Südwesten des Landes, die sich vorwiegend aus Juden, Immigranten und Linken zusammensetzte, um gegen den Hass und die Unmenschlichkeit mit den Werten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bis zum Tod zu kämpfen. Sie sind Levys ›Kinder der Hoffnung‹.

Kampf gegen die Unmenschlichkeit – radikal zu Ende gedacht

Hauptprotagonist ist der junge Raymond. Eines Tages steigt er in Toulouse in eine Straßenbahn. Als er sie wieder verlässt, nennt er sich Jeannot und hat den Beschluss gefasst, zusammen mit seinem Bruder Claude in der »35. Brigade« zu kämpfen – ein folgenschwerer Entschluss, denn zusammen mit ihren meist jungen Genossen riskieren die beiden ständig ihr Leben. Ihre metahistorische Motivation ist der Glaube an die gerechte Sache sowie die Hoffnung, dass ihre eigenen Kinder einmal in einer besseren Welt und in Freiheit leben werden. Damit erzählt Levy die Geschichte seines eigenen Vaters, wodurch dies zu seinem wohl persönlichsten Romans wurde, aus dem er und Grand eine Graphic Novel kreiert haben.

Der Comic ist durchgehend ein spannendes und ergreifendes Portrait des antifaschistischen Widerstands: vom Einstieg Raymonds alias Jeannots in die >Résitance< über waghalsige, oft brutale Aktionen, bei denen einige seiner Mitstreiter ertappt werden oder auch sterben, bis dahin, dass Jeannot und Claude gefasst werden und in das Konzentrationslager in Dachau deportiert werden sollen, wobei ihnen schließlich in einer spektakulären Aktion die Flucht aus dem Zug gelingt. Durch die vielen verschiedenen Protagonisten in der Brigade und den schnellen Handlungsablauf gelingt es den beiden Machern, Spannung zu erzeugen und aufrecht zu halten. Das Ganze ist dabei von einer großen Portion Pathos überzogen – wie ja schon der Titel intendiert. Doch dies ist eine der wenigen Male, in denen der Pathos keinesfalls schädlich wirkt. Denn einerseits geht es um hier eine Sache, die heute durchaus geistig nachvollziehbar ist, nämlich darum, den heroischen Kampf gegen das unmenschlichste System radikal zu Ende zu denken.

Pathos und Verfremdung

Andererseits werden pathetische Elemente in der Graphic Novel auch auf zweifache Weise unterminiert: Erstens wird die heterogene Résistance als Ganzes nicht als einseitig heroisch und positiv beschrieben. Schließlich ist es die Führungsspitze, die Jeannot im Stich lässt, indem sie der Brigade Informationen vorenthält, da Immigranten und Kommunisten auch in einem von den Nazis befreiten Staat nichts zu suchen hätten. Und zweitens entsteht eine große Diskrepanz zwischen dem Geschilderten, sprich der durchaus brutalen Handlung, und den einfühlsamen Zeichnungen Grands. Diese stehen nämlich durchaus in der Tradition der franko-belgischen Schule, wirken aber teilweise sehr kindlich und bunt, was dem Ganzen einen Verfremdungseffekt verleiht, der sehr viel Pathos verpuffen lässt. Jedoch ist Grand auch nicht gerade zimperlich bei der Darstellung von blutigen Szenen oder dem Zeichnen der ausgemergelten Körper der Deportierten.

Am Ende der Graphic Novel findet sich noch ein umfangreicher historischer Quellenapparat zur Überlebensgeschichte von Levys Vater Raymond, was das Buch anschaulich abrundet und weitere Informationen bietet. Monieren lässt sich eigentlich nur wirklich an Grands und Levys Comic – primär in Relation zum Roman –, dass die Handlung hier viel schneller abläuft, einiges gekürzt wurden, jedoch immerhin ohne die Geschichte krass zu beschneiden. Somit ist die Comicisierung des Romans ›Kinder der Hoffnung‹ durch Levy und Grand gelungen. Der Band schafft es gut, die Historie der Résistance näher zu bringen – und erhellt damit ein Kapitel in den Geschichtsbüchern, das außerhalb von Frankreich kaum im kollektiven Gedächtnis präsent ist.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
Marc Ley (Texte)/ Alain Grand (Texte und Zeichnungen): Kinder der Hoffnung
Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Bettina Runge
Stuttgart: Panini Comics 2015
180 Seiten, 19,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Undercover bei der »Rhino Force«

Nächster Artikel

Kapitalismus, Theater und Kritik

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Eine Reise in die Abgründe der menschlichen Psyche

Comic | Josep Rodes: Corona Go Home

Im Februar 2020 bricht Josep Rodes für ein Comic-Projekt nach Indien auf. Monate später kehrt er nach Deutschland zurück, mit einem Comic, der so ganz anders ist, als er ihn sich ursprünglich vorgestellt hatte. Mit ›Corona go Home‹ halten wir ein Stück Geschichte in den Händen. Ein Stück dunkle Geschichte, die wir lieber aus unseren Gedächtnissen verbannen würden, doch Geschichte nichtsdestotrotz. Genau das ist ›Corona go Home‹: Ein Stück Geschichte. Josep Rodes Geschichte. JANA FEULNER hat sie gelesen.

»Ikon hat es etwas Tragikomisches«

Comic | Interview mit Simon Schwartz Es kommt noch recht selten vor, dass ein Comic-Künstler von Mainstream-Medien gefeiert wird, doch Simon Schwartz hat das geschafft. Der 1982 in Erfurt geborene Künstler zeichnet diverse deutsche Medien erregt seit seinem Debüt ›Drüben‹ großes Aufsehen in der Comic-Szene. 2012 gewann er für seinen Comic ›Packeis‹ den Max-und-Moritz-Preis. Sein neuer Graphic Novel ›Ikon‹ beschäftigt sich mit dem obskuren Gleb Botkin, dem Sohn des letzten Leibarztes der Zarenfamilie, der nach der Russischen Revolution glaubt, die ermordete Zarentochter und Großfürstin Anastasia, Schwarm seiner Kindheit, wiedergefunden zu haben. Diese falsche Anastasia, die Ansprüche auf den russischen Thron

Reduzierte Sezierung

Comic | Gipi: MSGL – Mein schlecht gezeichnetes Leben In ›MSGL – Mein schlecht gezeichnetes Leben‹ lässt Gipi tief in seine bewegte Biographie blicken – mit Bildern, da widerspricht CHRISTIAN NEUBERT dem italienischen Comic-Künstler, die gar nicht mal so schlecht sind.

Eine Woche ohne Handy

Comic | Seda Demiriz: Life in Pixels

Soziale Netzwerke, Influencer und Shitstorms, ständig klingelndes Smartphone, Wischen, Streamen und Gamen: Die Digitalisierung bestimmt heute das Leben der meisten Leute so sehr, dass es schwerfällt, sich an Zeiten ohne das alles zu erinnern. Dabei war es ein weiter Weg vom ersten C 64 bis zur AI. Die Comiczeichnerin Seda Demiriz betrachtet in ihrem episodischen Werk ›Life in Pixels‹ den Übergang vom Homecomputer zum Internetzeitalter und zeigt halb autobiografisch, dass sich die Dinge nicht plötzlich verändert haben. ANDREAS ALT hat den Band gelesen.

Jules Vernes Erben

Comic | D.-P.Filippi, S.Camboni: Eine außergewöhnliche Reise/A.Alice: Das Schloss in den Sternen Mit ›Eine außergewöhnliche Reise‹ und ›Das Schloss in den Sternen‹ sind im Splitter-Verlag zwei sympathische Steampunk-Serien erschienen, die sich mit recht ähnlich konzipierten Geschichten an jüngere Leser wenden. Als älterer Leser (und Fan des Genres) hatte BORIS KUNZ mehr Freude mit jenem Comic, der sich tatsächlich auf die Augenhöhe seines jüngeren Zielpublikums eingelassen hat.