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Ein Psychopath kommt nach Miami

Roman | Charles Willeford: Miami Blues

Auch Thriller haben erste Sätze, die in den Bann ziehen können. So wie der in Charles Willefords 1984 zuerst erschienenem Roman Miami Blues. »Frederick J. Frenger jun., ein unbekümmerter Psychopath aus Kalifornien, bat die Stewardeß in der ersten Klasse um ein weiteres Glas Champagner und Schreibzeug«, heißt es da in der deutschen Übersetzung, die der sich schon emsig um das Werk von Ross Thomas kümmernde Berliner Alexander Verlag soeben in erweiterter und neu durchgesehener Auflage herausgebracht hat. Von DIETMAR JACOBSEN Ein klassischer Satz von einem jener klassischen Autoren des Genres, die es bei uns – wenn überhaupt – normalerweise nur noch in jahrzehntealten und nicht selten drastisch gekürzten Übertragungen zu lesen gibt. Auch die von Rainer Schmidt – von Jochen Stremmel jetzt vorsichtig überarbeitet – hat schon ein bisschen Patina angesetzt. Aber wenigstens ist Willeford nun wieder greifbar und man darf sich selbst davon überzeugen, warum sich Quentin Tarantino nicht zu Unrecht zu den größten Fans dieses 1988 verstorbenen Autors zählte.

Willeford Miami BluesFrederick J. Frenger jun. also – ein »unbekümmerter Psychopath aus Kalifornien«. Nur kann der 28-Jährige halt nicht bleiben in seinem Heimatstaat, wo sich nach dreijähriger Haft wegen bewaffneten Raubüberfalls soeben die schweren Tore von San Quentin wieder für ihn geöffnet haben.

Allein weil er nichts Besseres gelernt hat, als sich mit Gewalt das Eigentum anderer unter den Nagel zu reißen, und seine altruistische Ader ihn immer wieder in böse Fallen tappen ließ, hört er auf den guten Rat des stellvertretenden Gefängnisdirektors und beschließt, seine Karriere in einem anderen Bundesstaat der USA fortzusetzen. Alles was er dazu braucht, um 3.000 Kilometer von seinem alten Wirkungsort entfernt neu durchzustarten, sind ein paar schnell organisierte Kreditkarten und eben jene Unbekümmertheit, die ihm bereits der erste Satz von Charles Willefords Roman attestiert.

Mit dieser Eigenschaft steht Junior, wie sich der Mann gern nennen lässt, allerdings ziemlich allein da. Denn nahezu allen anderen Figuren, mit denen er es in Miami – das keineswegs, wie er dachte, direkt am Meer liegt – zu tun bekommt, hat das Leben übel mitgespielt und ihnen den Übermut, sollten sie je welchen gehabt haben, längst ausgetrieben.

Hoke Mosley, der Polizei-Sergeant, der sich nach ihrem ersten Aufeinandertreffen an seine Fersen heftet, weil er intuitiv den Ganoven in Frenger wittert, sieht mit Anfang 40 aus wie Mitte 60, haust in einer Absteige, die sich Hotel nennt, und besitzt neben zwei Töchtern, die er nicht sehen darf, falsche Zähne und eine Ex, mit der er sein ohnehin schmales Budget zu teilen hat. Und Susan Waggoner schließlich, ein minderjährig aussehendes, gedanklich eher langsames Landei, das Frenger nach seiner Landung über den Weg läuft und von ihm zu einer »platonischen Ehe« überredet wird, ist, nachdem sie ein Kind von ihrem eigenen Bruder abtreiben ließ, als sich prostituierendes Zimmermädchen einem skrupellosen Hotelpagen hörig.

Ein »unbekümmerter Psychopath« sucht einen Neuanfang

Mosley gegen Frenger – es ist ein ungleiches Duell von Anfang an: Jung gegen Alt, durchtrainiert gegen hinfällig, naiv gegen ausgefuchst und bedenkenlos gegen gedankenschwer. Wer wollte in dieser Konstellation schon auf den ausgelaugten Cop setzen? Und doch krallt Mosley sich an dem Mann fest und lässt, auch wenn der ihn zwischenzeitlich ins Krankenhaus prügelt, nicht mehr los. Denn mag die Welt um ihn herum auch verkommen, brutal und korrupt sein: Hoke Mosley hat Prinzipien und die lassen es nicht zu, dass ein Mann wie Frenger ungestraft seine kriminellen Energien ausleben kann. Wie er sich des Problems freilich am Ende entledigt, hat mit korrekter Polizeiarbeit auch nicht mehr zu tun als die »platonische Ehe« seines Widersachers mit einem tatsächlich vor Gott und der Welt geschlossenem Bund fürs Leben.

Ende gut – alles gut?

Miami Blues ist – man verzeihe den unschönen Ausdruck – ein »literarischer Thriller« par excellence. Elegant geschrieben, voller obskurer Ideen – ein Hare Krishna stirbt, nachdem ihm von Frenger der Mittelfinger gebrochen wurde –, Witz – ausgerechnet Susan Waggoners Bruder ist der auf so kuriose Weise am Flughafen von Miami zu Tode Gekommene – und Menschenkenntnis. Letztere läuft bei Willefords Helden allerdings mehr oder weniger darauf hinaus, seiner Spezies alles zuzutrauen – nur keinen Hang zu Menschlichkeit, Solidarität und Mitgefühl. Und so ist Frederick J. Frenger jun. weiß Gott nicht der einzige »unbekümmerte Psychopath«, der uns auf den Seiten dieses wunderbaren Buchs begegnet.

Ein Happy End hat Miami Blues übrigens auch. Eines, das hier nicht verraten sein soll, denn nur wenige Thriller enden mit einer derart vergifteten Botschaft. Nur ein Tipp noch: Besorgen Sie sich doch nach der Lektüre dieses Romans eine beliebige Staffel der guten alten Fernsehserie Miami Vice (fünf Staffeln zwischen 1984 und 1989). Vor deren Bildern sitzend, sollte Ihnen schnell klar werden, über welche Qualitäten die Romane von Charles Willeford verfügen – und dass es sich lohnt, sie in regelmäßigen Abständen zu entstauben und wieder aufzuschlagen.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Charles Willeford: Miami Blues
Der erste Hoke-Moseley-Fall
Deutsch von Rainer Schmidt
Berlin: Alexander Verlag 2015
267 Seiten. 14,90 Euro
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