Australische Thrillerautoren haben in den letzten Jahren bei uns Konjunktur. Garry Disher, Candice Fox oder Jane Harper (um nur drei der interessantesten zu nennen) – sie alle werden gelesen und haben mit ihren Büchern mehr zu sagen über das Leben auf dem fünften Kontinent, als dass es ab und an auch mal gefährlich werden kann Down Under. Jetzt hat sich eine neue Stimme zum ohnehin schon eindrucksvollen Chor der australischen Kriminalschriftsteller hinzugesellt: Emma Viskic. Von DIETMAR JACOBSEN
Für ihr Debüt, dem in der deutschen Übersetzung der reißerische Titel No Sound. Die Stille des Todes verpasst wurde, hat die bereits als Musikerin erfolgreiche Autorin viel Lob und einige Preise eingefahren. Und inzwischen ist die Reihe um den gehörlosen Detektiv Caleb Zelic, dessen Handicap auch seine große Stärke ist, bereits auf drei Bände angewachsen.
Ein Jugendfreund des Melbourner Detektivs Caleb Zelic ist ermordet worden. Caleb selbst hat ihn, in seinem Blut liegend, gefunden, nachdem er auf eine dringende SMS nicht sofort reagierte. Für Zelics kleine Agentur »Trust Works«, die er zusammen mit der exzentrischen Francine (Frankie) Reynolds betreibt, hat jener Gary Marsden in einem Fall mit ermittelt, der den beiden Detektiven über den Kopf zu wachsen drohte. In eine große Melbourner Lagerhalle wurde mehrmals nacheinander eingebrochen.
Marsden, im Hauptberuf Polizist, schien der geeignete Mann dafür, sich im Umkreis der Spedition und der von dieser engagierten Sicherheitsfirma »City Sentry« vorsichtig umzuhören, ob Angestellte beider Firmen in den Fall verwickelt sein könnten. Und offensichtlich hat er dabei etwas entdeckt, das so brisant war, dass es ihn das Leben kostete.
Tod eines alten Freundes
Ehrensache für den gehörlosen Caleb: Er muss die Täter ausfindig machen, schon um die Schuld abzutragen, die er der Familie seines alten Freundes gegenüber empfindet. Schließlich ist Gary Marsden in seinem, Calebs Auftrag unterwegs gewesen, als er ermordet wurde. Allerdings ist schnell klar, dass Caleb selbst für die ermittelnden Polizeibeamten einer jener Verdächtigen ist, die man genauer unter die Lupe nehmen muss. Auch dass sich unter den Letzten, die der ermordete Marsden per Handy anrief, Calebs wegen Rauschgiftdelikten vorbestrafter Bruder Anton befand, macht die Sache für den Detektiv nicht einfacher.
Sollte wirklich etwas an der Vermutung der beiden ihn in die Mangel nehmenden Kriminalbeamten sein, dass es sich bei Gary Marsden um einen korrupten Cop handelte, dessen Verwicklung in dunkle Geschäfte letzten Endes zu seinem gewaltsamen Tod führte? Aber warum geben die Mörder, unter denen sich Calebs Überzeugung nach auch Polizisten befinden müssen, nachdem sie Marsden aus dem Weg geräumt haben keine Ruhe, sondern rücken jetzt dem Detektiv und seinem Umfeld auf die Pelle? Und wer ist der ominöse »Scott«, vor dessen perverser Mordlust alle Angst zu haben scheinen?
Als Calebs Mitarbeiterin Frankie Reynolds plötzlich von der Bildfläche verschwindet, weiß Viskics Held spätestens, dass er sich nun auch um sich selbst und seine Angehörigen sorgen muss. In seiner drei Autostunden von Melbourne entfernten Heimatstadt Resurrection Bay hofft er, für eine Weile Ruhe zu finden und vielleicht sogar, weil er und Gary hier zusammen aufwuchsen, in ihrer gemeinsamen Vergangenheit liegende Gründe für das Verbrechen an seinem Freund zu entdecken. Doch in der Kleinstadt am Meer lebt nicht nur Gary Marsdens Familie. Auch auf Caleb selbst warten hier ein paar unabgeschlossene Kapitel seines Lebens, hat er eigene Versäumnisse genug aufzuarbeiten.
Dass er sich mit seinem Bruder Anton auseinandergelebt hat, zählt ebenso zu diesen offenen Baustellen wie sein Verhältnis zu Kat, einer Aborigine und Bildenden Künstlerin, mit der er einst verheiratet war und von der er sich nach wie vor angezogen fühlt. Dass er sowohl den Bruder wie die Ex, wenn er plötzlich wieder um einen Platz in deren Leben kämpft, automatisch in Gefahr bringt, wird Caleb allerdings erst bewusst, als es fast schon zu spät ist.
Spuren in die Vergangenheit
Emma Viskics Großeltern kamen als kroatische Einwanderer, die kein Wort Englisch sprachen, nach Australien. Von deren Isolation und der Unfähigkeit, mit ihnen zu kommunizieren, fühlte sich die Enkelin immer geprägt. Ihr Werdegang als Kammermusikerin mag mit dem Bedürfnis, sich mit der Sprache der Musik ihren Vorfahren auf einem anderen Weg als dem des gesprochenen Worts verständlich zu machen, zusammenhängen. Die literarische Figur des Caleb Zelic überträgt diese Konstellation nun auf raffinierte Weise in die Welt der Literatur.
Mit dem lippenlesenden Detektiv, der, wie Viskic selbst, kroatischer Abstammung ist, hat die Autorin dabei eine originelle Variante des Privatermittlers erschaffen. Caleb stößt immer wieder an die Grenzen, die sein Handicap für ihn absteckt, weil nicht jeder der ihm Begegnenden die australische Gebärdensprache AUSLAN beherrscht. Doch was auf der einen Seite ein großer Nachteil sein kann und ihn gelegentlich auch in gefährliche Situationen bringt – etwa wenn er seinen Gegnern den Rücken zukehrt, wie das im krachenden Finale dieses originellen Thrillers der Fall ist -, führt auf der anderen Seite dazu, dass er es versteht, Menschen auf den ersten Blick einschätzen zu können, zu unterscheiden, was echt und was falsch an ihnen ist, und Gesichter, einmal gesehen, nie wieder zu vergessen.
Schon für den Juni dieses Jahres verspricht Emma Viskics deutscher Verlag den zweiten Band der Caleb-Zelic-Reihe No Words. Die Sprache der Opfer. Vormerken!
Titelangaben
Emma Viskic: No Sound. Die Stille des Todes
Aus dem australischen Englisch von Ulrike Brauns
München: Piper Verlag 2020
285 Seiten. 15,- Euro
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