Berlin 1878. Als der Dieb und Betrüger Felix Blom nach drei Jahren Einzelhaft wieder freikommt, stehen zwei Dinge auf seiner Agenda: sich an dem Mann zu rächen, der ihn mit einem hinterhältigen Trick ins Gefängnis gebracht hat, und wieder in jene Kreise aufzusteigen, in die er es schon einmal geschafft hatte. Allein er hat mächtige Widersacher. Die Polizei sähe den raffinierten Burschen, der sie jahrelang an der Nase herumgeführt hat, am liebsten wieder sicher verwahrt. Und sein Konkurrent um die Gunst der schönen Auguste Reichenbach, Baron Albert von Mesar, beeilt sich, der begehrten Bürgerlichen einen Antrag zu machen, um nicht noch einmal ins Hintertreffen zu geraten. Und schließlich ist da auch noch ein Psychopath mit Todesankündigungen unterwegs, auf dessen Schwarzer Liste Blom ziemlich weit oben zu stehen scheint, ohne dass er weiß, womit er sich diese zweifelhafte Ehre verdient hat. Von DIETMAR JACOBSEN
Die sich als Verfasserin von historischen Kriminalromanen Alex Beer nennende österreichische Schriftstellerin Daniela Larcher hat vor allem mit der in Wien nach dem Ersten Weltkrieg spielenden Romanreihe um den Kriminalinspektor August Emmerich (5 Bände zwischen 2017 und 2021) auf sich aufmerksam gemacht. Mit ihrem neuen Helden, dem Meisterdieb Felix Blom, nimmt die Autorin ihre Leser nun mit in das Berlin des ersten Jahrzehnts nach der Reichsgründung.
Im Nachwort zum Roman bekennt sie, dass sie, nachdem sie eine Zeit lang in der deutschen Hauptstadt gelebt hatte, schon lange mit der Idee spielte, »einen Krimi in Berlin spielen zu lassen«. Den Plot für Felix Blom entwickelte sie aus einer kleinen Meldung in der »Berliner Gerichtszeitung« vom 13. Juni 1878. Und zu der Figur des vom Häftling zum Detektiv aufsteigenden Helden inspirierte sie eine Biografie über den Begründer und ersten Direktor der französischen Polizei (Sûreté nationale), Eugène François Vidocq (1775-1857), der von 1833 an auch dem ersten Detektivbüro der Welt vorstand.
Zweckgemeinschaft Detektei
Wie die Leser das aus den August-Emmerich-Romanen kennen und schätzen, hat Alex Beer auch die Welt, in der sich ihre beiden Detektive Felix Blom und Mathilde Voss sowie deren Freunde und Widersacher bewegen, genau recherchiert. Sowohl historische Figuren wie auch Orte und zeitgeschichtliche Ereignisse wurden in den Roman integriert und bilden auf angemessene Weise das ebenso lebendige wie glaubhafte Milieu, in das Beer ihre Geschichte hineingeschrieben hat.
In der braucht es zunächst eine Weile, bis sich die beiden Hauptfiguren zusammengerauft haben. Es ist, wie Mathilde Voss es gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit ausdrückt, am Anfang nicht mehr als eine »Zweckgemeinschaft«, die die beiden miteinander verbindet. Denn zum einen muss Felix Blom binnen wenigen Tagen nach seiner Entlassung aus dem Moabiter Gefängnis sowohl eine Wohnadresse als auch eine Arbeitsstelle nachweisen, will er nicht dorthin zurückgeschickt werden, wo er die letzten Jahre in Einzelhaft verbracht hat. Und andererseits hat sich die Ex-Prostituierte Mathilde Voss mit der Gründung eines Detektivbüros wohl ein wenig zu weit vorgewagt in einer Zeit, in der Frauen als selbständige Unternehmerinnen mehr belächelt als ernstgenommen werden. Und tatsächlich: Kaum treten die beiden gemeinsam auf, beginnt auch ihre kleine Detektei zu reüssieren.
Selbstmord auf Befehl
Doch wie soll man sich auf den schlichten Einbruch in ein Lagerhaus, den der erste Kunde von Voss und Blom gern aufgeklärt haben möchte, konzentrieren, wenn gleichzeitig das eigene Leben bedroht wird? Denn kaum ist er in seine neue Bleibe eingezogen, findet Beers Held auf seiner Türschwelle ein kurzes, aber aussagekräftiges Briefchen, in dem ihm sein baldiger Tod angekündigt wird. Und während er noch glaubt, die Nachricht käme von seinem alten Widersacher, Baron Albert von Mesar, ermitteln Kriminalkommissar Ernst Cronenberg und sein Assistent Bruno Harting bereits im Fall eines Dresdener Konditoreigehilfen, der sich nach seiner Ankunft in Berlin erschossen hatte und eine fast wortgleiche Nachricht wie jene, die Blom erhielt, bei sich trug.
Als es kurz darauf noch einen einheimischen Fuhrunternehmer auf die gleiche geheimnisvolle Weise erwischt, steht für Alex Beers Held nur eines fest: Der Mann, der ihn mit einer falschen Anschuldigung ins Gefängnis brachte, um die Zeit zu nutzen, die Frau, die für Blom Zukunft und Glück bedeutete, für sich selbst zu gewinnen, ist nicht der gefährliche Mörder, der seine Taten dreist ankündigt. Aber was haben ein Dieb, der vor seiner Enttarnung Teil der besseren Gesellschaft Berlins war, ein umtriebiger Fuhrunternehmer und ein zugereister Konditoreigehilfe miteinander gemeinsam? Und in welcher Beziehung steht die traurige Geschichte um die Hebamme Lena Meinecke, die in vier kurzen Rückblickskapiteln erzählt wird, zu den Taten eines Mörders, der sich jahrelang auf seine Mission vorbereitet hat?
Gelungener Start einer neuen Romanserie
Alex Beers Start in eine neue Romanserie vor historischem Hintergrund darf als überaus gelungen bezeichnet werden. Wie das Wien, in dem sich ihr aus dem Weltkrieg etwas lädiert zurückgekehrter Inspektor August Emmerich auf Mörderjagd begibt, wird auch das Berlin der späten 1870er Jahre vor den Augen der Leser lebendig, streifen sie gemeinsam mit Beers Figuren durch die Straßen und über die Plätze des ehemaligen »Fischerdorfs«, das sich anschickt, eine »Weltmetropole« zu werden.
Und so wie die Stadt aus allen Nähten platzt, nahezu täglich neue Gebäude den »steinernen Wald aus Häusern, zwischen denen sich ein niemals abreißender Strom von Menschen, Tieren und Karossen drängte«, anwachsen lassen, nisten sich in ihren dunklen Ecken auch immer neue Arten von Verbrechen ein. Hat Felix Blom, der Gentleman-Einbrecher, noch die Tresore von Alfred Krupp und Werner von Siemens geknackt und die Bankschließfächer von Rothschild und Oppenheim ausgeräumt, was ihm unter seinesgleichen und in der Öffentlichkeit den Nom de guerre »der Schatten von Berlin« einbrachte, geht es inzwischen um Bandenkriminalität, Prostitution und blutige Verteilungskämpfe rund um den wachsenden Opiummarkt.
Genug Arbeit nicht nur für die Polizei, sondern auch für die wie Pilze aus dem Boden schießenden Detekteien, die dem Heer der staatlich besoldeten Ordnungskräfte die kleinen Delikte abnehmen oder sich an die Aufklärung von Fällen machen, in die die Polizei gefälligst nicht ihre Nase stecken soll. Und wenn, nachdem Felix Blom und Mathilde Voss endlich den Fall um die angekündigten Tode gelöst haben, ohne dass Blom Schlimmeres als ein kräftiger Schlag auf den Hinterkopf dabei zustieß, schon einige Tage später eine wohlhabende Dame an die rot gestrichene Tür ihrer sich auf einem schmutzigen Berliner Hinterhof befindenden Detektei klopft, wissen die Leser, dass es auch in Alex Beers neuer Romanserie bald weitergehen wird.
Titelangaben
Alex Beer: Felix Blom. Der Häftling aus Moabit
München: Limes Verlag 2022
363 Seiten, 17 Euro
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