Lite Ratur | Wolf Senff: Tim
»Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und werde daran arbeiten«, sagte Neuer. »Grundsätzlich denke ich aber, dass ich ein gutes Spiel gemacht habe.« So steht’s in der Zeitung nach dem Arsenal-Spiel vom Dienstag. Tim wird sich aufregen, wenn er das liest.
Gut, Neuer ist ein junger Mann, wie alt ist er, keine dreißig, das Alter für Schnösel, Tim weiß das, er ist ja selbst nicht lange raus da. Was sind das für Leute, fragt sich Tim immer wieder, was geht in deren Köpfen vor. Vielleicht nichts? Der Sound des rollenden Rubel? Nein, er kann das nicht beurteilen. Aber man macht sich seine Gedanken.
Bei Tim geht das als Uli-Hoeneß-Haltung durch oder als Martin-Winterkorn-Attitude. Gewiss, ja war ein Fehler, klar doch, aber ansonsten leiste ich gute Arbeit zum Wohl aller. Tim kriegt rote Ohren, wenn er daran denkt, rote Ohren vor Wut, wie kann man kriminelles Handeln so schönfärben. Gibt eben auch ausgewachsene Exemplare, die haben allenfalls Zahlen im Hirn und sonst nichts.
So ist Tim. Er weiß selbstverständlich, dass Neuer mit Hoeneß oder Winterkorn nicht zu vergleichen ist. Es geht ihm auch allein um die merkwürdigen Äußerungen. Was soll das. Eine Entschuldigung? Nein. Eine Rechtfertigung? Wofür? Für den Fehlgriff? Wohl kaum.
Neuer hätte sich den zweiten Satz schenken sollen. Der erste ist vollauf ausreichend. »Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und werde daran arbeiten«. Reicht doch. Ist ja nicht das erste Mal gewesen, man erinnert sich spontan an diverse Spiele gegen Gladbach, an das WM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan. Weltbester Torhüter? Ach, das beweist eher, welch exzellente PR-Arbeit das ›Unternehmen Deutschland‹ leistet, Bayern München ist Speerspitze für all den Hype, weltmeisterlicher Glanz, Champions League usw., weltweite Fanszene.
Der zweite Satz ist patzig. Manuel Neuer ist eingeschnappt, man nennt das auch ›Beleidigte Leberwurst‹. Na ja. Der zweite Satz, findet Tim, lautet in der Rohfassung quasi: »Ihr könnt mich mal alle gernhaben, ich bin der beste Torhüter der Welt, weiß doch jeder außer euch Deppen«. Und da fühlt sich Tim auf den Schlips getreten. So jemand dürfe sich nicht wie ein trotziger Teenager aufführen, sagt er.
Er regt sich wegen so was auf. Hinzu kommt, dass Kritik ratzfatz geschmeidig in der Versenkung verschwindet, weil, weiß man ja, dies ist das Unternehmen Deutschland und wir sind Fußballweltmeister, das sowieso, Sommermärchen 2006, außerdem Exportweltmeister, und waren wir nicht eben alle Papst, da toleriert niemand einen Kratzer am Lack, das Unternehmen muss nach außen gut dastehen, Hochglanz ist mal Minimum.
Ginge es nach Tim, sollte die Balltreterszene zurückhaltender auftreten. Gerade war bei den Münchnern was mit Steuerhinterziehung gewesen und wurden wertvolle Uhren geschmuggelt. Franz Beckenbauer ist mit der FIFA verbandelt. Da tut sich ein Fass auf, der noble Putz blättert, die Fassade knirscht und bröckelt.
Der Verein ist seit Guardiola massiv auf Spanien orientiert, der alternde Xabi Alonso gibt die zentrale Figur im Mittelfeld. In der Liga hält die Mannschaft ihre Spitzenposition, doch Tim ist skeptisch; er erinnert an das legendäre Elfmeterschießen im Pokal gegen Dortmund.
Bei den Spaniern, ergänzt Tim, müsse man sowieso vorsichtig sein, Spanien gelte nicht nur im Radsport als eine Hochburg des Doping. Wenn einer da nach fairen Ausgangslagen fragt, tun sich Abgründe auf, die Pillendreher stecken überall. Tim könnte Details dazu nennen, aber er hat, ehrlich gesagt, den Spaß am Thema verloren.