Kinder an die Macht

Kinderbuch | Mathias Jeschke: Was meine Eltern von mir lernen können! / Juli Zeh & Dunja Schnabel: Jetzt bestimme ich, ich, ich!

Kind sein ist nicht leicht. Oft genug fühlt man sich ohnmächtig, die Erwachsenen bestimmen und man selbst wüsste doch viel besser, wie alles sein soll. Zwei Bilderbücher wagen das Experiment, Kindern mehr Macht zu geben. Von ANDREA WANNER.

Elternlernen_Wenn Eltern sich streiten, leiden Kinder. Das klingt banal, passiert aber täglich und wer die Statistik der Trennungen und Scheidungen kennt, weiß, wie viele Kinder das Tag für Tag trifft. Ein kleines Mädchen erlebt genau das, die »doofe Streitmaschine«, bei der Mama Papa vorwirft, er würde zu viel trinken und Papa entweder weggeht oder sich in sein Zimmer zurückzieht. Die Kleine leidet. Dabei weiß sie: Streiten gehört dazu, aber vertragen eben auch. Und sie erzählt von ihren persönlichen Streiterlebnissen aus dem Kindergarten, wo Zanken, Stänkern, Raufen und Zoffen zum Alltag gehören. Friedrike Maiwald, die Erzieherin in ihrem bunten Blumenkleid weiß aber auch: »Immer nur zu streiten, dafür ist das Leben viel zu schade«, und verrät Strategien, wie man sich wieder versöhnen kann. Das funktioniert. Zumindest im Kindergarten.

Und weil das so prima geht, wird die Kleine ziemlich wütend, weil es die Eltern nicht schaffen. Irgendwann platz ihr der Kragen. Mit »Ich halte das nicht mehr aus!«, bringt sie ihre Eltern kurz zum Innehalten, mit der Drohung »Ich zieh zu Frau Maiwald!«, sind sie endlich gewillt, der Tochter zuzuhören. Und die verlangt einen Kuss, ehe sie die ultimative Lösungsstrategie verrät.

Durchschnaufen. Da passiert nämlich etwas ganz Gefährliches. Bei dir, Kind, liegt die Verantwortung für die Versöhnung. Du hast den Schlüssel in der Hand dafür, dass deine Eltern ihre Probleme in den Griff bekommen. Die Belohnung ist ein kitschiges Herzchenküssbild von den Eltern und eine Silhouette von einer glücklichen Familie zum Abschluss: Mutter links, Vater rechts, die Kleine »Engelchen-Engelchen-flieg« in der Mitte. Dabei gibt es richtige Ansätze: Das Kind formuliert, dass es das Opfer des Streits ist und die Eltern entschuldigen sich beide bei ihr. Das Verhältnis zwischen den Eltern und dem Kind muss berücksichtigt werden, den Erwachsenen muss klar werden, dass ihre Probleme auch mit ihren Kinder zu tun haben. Aber was zwischen den Eltern zu regeln ist und ob das noch etwas zu retten ist, gehört auf eine ganz andere Ebene. Und mit der haben Kinder nichts zu tun.

Schade, denn die Geschichte von Mathias Jeschke enthält nette Ideen, wie beispielsweise den Riesenstreit im Kindergarten, wo Moritz der Barbie eine Kurzhaarfrisur verpasst hat. Und die expressiven Illustrationen von Maja Bohn fassen Streit in eindrückliche Bilder, wo alle Nuancen von Wut, Verzweiflung, Trauer, Trotz, Hoffnung und Isolation zum Ausdruck kommen. Aber so, wie sich die Kleine das vorstellt, funktioniert das Leben eben nicht.

jetztbestimmeichWie dann? Auch bei den Wiefels, einer vierköpfigen Familie, gibt es ständig Krach. Streit gab es zwar schon immer, aber alles ändert sich an Ankis siebtem Geburtstag, als sie entscheidet, dass sie jetzt groß ist und selber entscheidet. Und wenn die große Schwester sich nichts mehr sagen lässt, findet der jüngere Bruder Spätzchen, dann bestimmt er auch selbst. Was dabei herauskommt, ist ein einziges, unschönes Chaos. Juli Zeh wählt dafür in ihrer Geschichte ein einfaches Beispiel, einen Spaziergang am Samstag. Papa will Pilze suchen, Mama auf den Aussichtsturm, Anki zum Tierpark und Spätzchen gleich den Picknickkorb in Angriff nehmen. Dafür gibt es von Dunja Schnabel ein witziges doppelseitiges Bild in dem querformatigen Bilderbuch. Mitten in der grünen Landschaft kreuzen sich zwei Wege und die vier Richtungen sind mit einem Wegweiser ausgeschildert. In eine Richtung weisen zwei Pilze, in die nächste ein Turm, in die dritte ein Ententeich und in die vierte ein Hirsch. Papa wählt die Pilze, Mama den Turm, Anki die Hirsche und Spätzchen sitzt gleich neben dem Wegkreuz und macht sich am Korb zu schaffen. Das dicke Ende kommt. Anki durfte ohne elterliche Begleitung gar nicht in den Tierpark, Spätzchen hat von allen Brot die Wurst gevespert, was sofort zu einem Riesenstreit mit seiner Schwester führt, Papa hat keinen einzigen Pilz gefunden und Mama ist sauer, weil schon wieder alle streiten. Und jetzt?

Wiefels arbeiten sich schrittweise an eine Lösung des Problems heran. Modell 1 ist ein »Bestimmer-Karussell«, das aber erst funktioniert, wenn Spätzchen auch jemand hat, an den er Dinge delegieren kann. So kommt es zum Kauf eines Haustiers. Schnell stellt sich heraus, dass es nicht funktioniert, wenn die Frage, wer kocht das Abendessen, einfach weitergeben wird. Mama an Papa, Papa an Anki, Anki an Spätzchen und Spätzchen an seine Schildkröte Rainer-Maria. Und Rainer-Maria hat tatsächlich nichts zum Abendessen auf den Tisch gebracht. Die Folge sind Käsebrote, die es zukünftig als Notlösung noch öfters geben wird.

Wie funktioniert Demokratie? Und wie funktioniert sie auch in einer Familie? Wie basisdemokratisch kann sie sein? Wo und wann braucht es Bestimmer und Bestimmerinnen? Müssen das immer die Eltern sein? In originellen Situationen zeigen Zeh und Schnabel in Wort und Bild, dass es nicht klappen wird, wenn jede und jeder immer nur die eigenen Interessen im Blick hat. Kompromisse im Kleinen und Großen gehören zu, wenn das System Familie halbwegs reibungslos laufen soll. Dazu müssen alle schmerzliche Erfahrungen machen und viele Käsebrote essen, ehe am Ende ganz demokratische eine Regierung gewählt ist und es eine von Papa gekochte Lasagne gibt. Doch, davon kann man lernen. Nicht nur als Kleine, durchaus auch als Eltern.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Mathias Jeschke: Was meine Eltern von mir lernen können!
Mit Bildern von Maja Bohn
Rostock: Hirnstorff 2015
24 Seiten. 14,99 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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Juli Zeh & Dunja Schnabel: Jetzt bestimme ich, ich,ich!
Hamburg: Carlsen 2015
48 Seiten. 14,99 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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