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Jugendbuch | Susanne Hornfeck: Torte mit Stäbchen

Die Vergangenheit gilt oft als verstaubt und langweilig. Dabei kann sie sehr aktuell sein. Susanne Hornfeck erzählt eine deutsche Geschichte, die doch um die halbe Welt reicht. Ganz gelingt das Unterfangen nicht, aber einige Blickwinkel darin sind aufschlussreich, gerade um heutige Verhältnisse klarer zu sehen. Von MAGALI HEISSLER

torte_mit_staebchenDie Grundidee des Buchs klingt durchaus überzeugend, mehr, reizvoll. Der Zeit, von 1938 bis 1947, und auch die Ereignisse sind zwar nicht neu, der Schauplatz dafür umso mehr. Einer Familie aus Brandenburg, die durch die rassistischen Gesetze der Nationalsozialisten mit einem Mal aus einem Juden, einer Deutschen und einem »halbjüdischen« Mädchen besteht, bleibt nach der Enteignung und der Reichspogromnacht nur die Auswanderung. Das Ziel: Shanghai.

Bereits die Überfahrt ist eine erste Einführung in eine andere Welt. Zuerst prallen Vertriebene und Nationalsozialisten aufeinander, dann Wohlhabende und Arm, ein Muster, das sich wiederholen wird. Die zehnjährige Inge ist Identifikationsfigur und Reiseleiterin der Leserin. Neugierig, freundlich, nicht gehemmt durch falsche Schüchternheit erobert sie zuerst das Schiff, dann die neue Welt. In Shanghai angekommen, findet Inges Vater rasch eine neue Arbeitsstelle in einer deutschen Konditorei, was ihnen den Umzug in ein besseres Viertel ermöglicht. Inges Mutter arbeitet nach einer längeren Eingewöhnungszeit als Änderungsschneiderin. Bei ihrer Eroberung Shanghais hilft Inge nicht nur der deutsch-chinesische Sohn des Arbeitgebers ihres Vaters, sondern auch ein glücklicher Zufall: Bereits in den guten Tagen in Brandenburg war sie mit einem Mädchen aus China befreundet und hat von ihr Anfangsgründe der fremden Sprache und so einiges über die fremden Sitten gelernt.

Glückliche Zufälle unter bedrückenden Umständen

Es ist eine aufregende Zeit, in der Hornfeck ihre kleine Heldin herumspazieren lässt. Die Autorin spannt den Bogen weit. Shanghai ist eine internationale Stadt, Deutsch, Chinesisch, Englisch und dann auch Hebräisch sind die Sprachen, mit denen Inge jongliert, zuletzt kommt sogar Japanisch dazu. Die politischen Entwicklungen, die japanische Besatzung, die Ausweitung des Kriegs in Europa auf Asien, das japanisch-deutsche Bündnis nehmen Einfluss auf die Geschicke der Familie Finkelstein. Sie sind Spielball und Opfer der Geschehnisse, ihnen bleibt nur, sich durchzuschlagen, jede Gelegenheit zu nützen, um weiterzuleben. Auch unter den bedrückendsten Umständen geht das jedes Mal gut aus.
Das ist manchmal zu viel des Guten, zu viele freundliche Menschen, Fügungen, Zufälle, Einfälle, selbst mit Rücksicht auf das junge Zielpublikum.

Dass die Figuren, gleich, ob Haupt– oder Nebenfiguren unter diesen Umständen nicht ganz lebendig werden wollen, versteht sich. Sie bleiben trotz einiger wirklich guter Einfälle der Autorin, etwa der Einsatz des Spiels Mensch-ärgere-dich-nicht bei Familienproblemen, blass oder sind Eigenschaften auf zwei Beinchen aus Pfeifenreinigern.

Bunter, ferner Sehnsuchtsort

Die Stadt Shanghai ist die Protagonistin dieses Buchs und es wäre gut gewesen, hätte Hornfeck sich dazu auch bekannt. Aber sie bleibt auch dabei zu sehr dem Herkömmlichen verhaftet. Shanghai wird Inges Welt, die Leserin erlebt Schritt für Schritt mit, wie das Mädchen sich eine neue Heimat erobert. Der chinesischen Sprache und Kultur gilt auch deutlich die Zuneigung der Autorin. Viel Wissen darüber wird ausgestreut, manche Seiten lesen sich wie ein China-Lexikon mit Handlung. Der Ton kann dabei überraschend altmodisch werden, hin und wieder kippt er bedrohlich in Richtung Betulichkeit. »Unterrichtseinheit« schwingt immer mit, die Sehnsucht nach dem aufregend-bunten Fremden ebenfalls.

Inges Abenteuer machen das nur mit Mühe wett, auch wenn man dicht dabei ist, wie sie aufwächst, Teenager wird, sich schließlich verliebt. Die großen internationalen Hotels, die bürgerlicheren Viertel, Garküchen und Tempel, die Straßen Kloaken und das internationale Publikum, mit Inge lernt man die bunte Welt jener Jahre kennen. Fremdartige Gerüche und Gerichte, fremde Laute, extreme Wetterbedingungen, harte Lebensumstände, Brauchtum werden durchaus fesselnd vorgeführt, wenn auch die Informationsdichte bald zu hoch ist. Insgesamt lebt die Darstellung vor allem davon, dass eine Welt beschrieben wird, die den meisten Leserinnen hierzulande sehr fremd ist und ihr Exotismus dementsprechend überwältigend.

Der eigentliche Roman bleibt dabei auf der Strecke. Konflikte innerhalb der Familie und Inges innere Entwicklung samt ihrer Liebesgeschichte und dem daran hängenden Rassismus werden eher behauptet als gezeigt. Das Wichtigste wird überstürzt auf den letzten fünfzig Seiten abgehandelt. Schade darum, sehr schade. Auf so einen Jugendroman müssen wir also noch warten.
Bleibt ein streckenweise wegen der überwältigenden Detailfülle anstrengend zu lesender Marsch durch gut sieben Jahre Weltpolitik in einem in diesem Zusammenhang weitgehend unbekannten Land. Im Anhang gibt’s einen Überblick über die politischen Geschehnisse, einen Stadtplan der Zeit, eine Literaturliste und die üblichen Informationen zum Hochchinesischen und dem chinesischen Horoskop. Für junge lernbegierige Leserinnen auf jeden Fall ein Fundstück.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Susanne Hornfeck: Torte mit Stäbchen. Eine Jugend in Shanghai
München: dtv Reihe Hanser 2012/2015
370 Seiten. 12,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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