Kuchenmagie

Christian Duda: Elke. Ein schmales Buch über die Wirkung von Kuchen

 
Die meisten Geschichten rücken Menschen in den Mittelpunkt, die irgendwie besonders sind. Christian Duda hat sich eine eher unscheinbare Person ausgesucht: Elke. Eine gute Wahl, findet ANDREA WANNER.

150313-Elke-Umschlag.inddEine Erzählung, die im Untertitel schlicht ›Ein schmales Buch über die Wirkung von Kuchen‹ genannt wird, und deren erster Satz lautet: »Viel lässt sich nicht von Elke erzählen.« Macht neugierig. Irgendetwas muss es schon geben, sonst gäbe es kein Buch, ist eine zulässige Vermutung. Was dann in den nächsten Sätzen über Elke berichtet wird, ist dann doch irgendwie untypisch. Wir erfahren, dass sie nicht mehr lebt; dass sie verstanden hat, nicht aufzufallen; und dass sie sehr fett gewesen sei. Und natürlich macht das endgültig neugierig auf eine Frau, die eigentlich nichts Besonderes an sich hatte – außer ihrer Körperfülle – und doch jemand ganz Besonderes war.
 
In einfacher Sprache, schlichten Worten und unglaublich direkt präsentiert Christian Duda Elke, die als Erzieherin eine Wohngruppe mit schwierigen Jugendlichen betreute, unglaublich leckeren Russischen Zupfkuchen backen konnte und Kinderbücher liebte. Das fasst er ganz am Ende der Geschichte zusammen, als er verrät, dass es Elke wirklich gegeben hat, er sie in einem Café kennengelernt hat und sich mit ihr immer wieder über das Thema Kinder unterhalten hat. In seiner Geschichte ist es aber nicht die Begegnung zwischen einem Vater und Elke, die das Herzstück ausmacht, sondern die von Kasimir, einem 5jährigen Jungen, der in den Kindergarten geht, und Elke. Und »Begegnung« ist eigentlich auch nicht das passende Wort, sondern zunächst gibt es einen Beinahezusammenstoß zwischen den beiden, weil Elke, wie jeden Morgen, ein Blech Russischen Zupfkuchen ins Café bringt. Das wird der Beginn einer Freundschaft.
 
Eigentlich sind es ganz alltägliche Dinge, von denen diese Geschichte erzählt. Es geht um das Leben in der Großstadt, genauer gesagt um das Leben in Berlin, wo Elke und Kasimir in der Straße wohnen, in der auch das Café liegt, das Elke mit ihrem Kuchen beliefert. Es ist die fiktive „Lubitsch“, einer kurzen Straße mit nur 30 Häusern, und die Hommage an Schauspieler und Regisseur Ernst Lubitsch gehört zu den subtilen Kleinigkeiten, die Duda geschickt in seine Großstadtskizze einbaut. Es ist der kindlich-naive Blick von Kasimir, seine neugierigen Fragen und seine unverkrampfte Kontaktaufnahme mit der Welt, die Perspektive und Blickrichtung vorgeben. Allerdings verlieren die Themen dadurch weder an Dringlichkeit noch an Brisanz. Es geht um Alleinerziehende, Armut, Ausweglosigkeit, Alkoholismus … und um einen Gegenpol zu den Problemen des Lebens, ein Café an der Ecke mit Russischem Zupfkuchen, in dem man für ein Weilchen die Welt vergessen kann. Elke ist einfach da, hört zu, backt Kuchen, fragt nach. Eine gute Seele, die nichts aus sich macht, sich selbst nicht wichtig nimmt und zu sich selbst nicht so gut ist wie zu den Menschen um sie herum.
 
Elke wird zum Katalysator der Geschichte, bringt Dinge auf den Weg und Menschen zusammen – ohne am Ende dabei zu sein, wenn das große Finale stattfindet: ein Straßenfest in der Lubitsch mit einem Film – klar: einem »Ernst-Lubitsch-Film«.
 
Eingestreut in das Buch finden sich kleine Illustrationen von Julia Friese. Ihr Augenmerk gilt den Dingen, den Kleinigkeiten, aus denen sich der Alltag in der Lubitsch zusammenpuzzelt: einer Espressomaschine; einem Klettergerüst; einem Blick in die Lubitsch; Briefkästen; einem nicht abgeräumten Tisch … Der Charme von ›Elke‹ liegt genau in diesen kleinen Details. Am besten genießt man die Geschichte bei einem Stück Russischen Zupfkuchen, das Rezept steht auf Seite 158. Und nein, in meinen Augen ist das kein Kinderbuch, auch wenn es Kasimir braucht, damit die Geschichte zu dem wird, was sie ist.

| ANDREA WANNER
 
Titelangaben
Christian Duda: Elke. Ein schmales Buch über die Wirkung von Kuchen
Mit Illustrationen von Julia Friese
Weinheim: Beltz & Gelberg 2015
159 Seiten. 12,95 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Scammon 1/3

Nächster Artikel

Slapstick, Zuckerguss und – moralisch wackelig

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Aufregung, höchste Stufe

Jugendbuch |Andreas Jungwirth: Schwebezustand Ja, die Pubertät ist anstrengend. Ja, sie verursacht mitunter Probleme. Wenn dazu Schwierigkeiten auftauchen, die das Leben so bringt, können die Wogen durchaus hochschlagen. Als Dauerzustand ist das aber nicht zu ertragen. Nicht einmal in einem Buch. Von MAGALI HEIẞLER

Von den einsamen Menschen

Jugendbuch | Do van Ranst: Dünn »Nicht schon wieder ein Buch über einen Teenager mit Essstörung«, mag man stöhnen, wenn man den Titel gesehen hat. Besser ist es, wenn man den Namen des Autors in Auge fasst. Dann ist nämlich klar, dass in einem Buch aus seiner Feder ganz bestimmt nicht das Offensichtliche abgehandelt wird. Das war bei ihm doch immer nur Mittel zum Zweck. So auch hier. Unter dem Aspekt der Essstörung erzählt Do van Ranst in ›Dünn‹ sehr berührend von den einsamen Menschen. Von MAGALI HEISSLER

Besondere Kräfte

Jugendbuch | Sonia Fernández-Vidas: Quantic Love 1686 formuliert Isaac Newton erstmals sein Gravitationsgesetz, das besagt, dass jeder Massenpunkt jeden anderen Massenpunkt mit einer Kraft anzieht, die entlang der Verbindungslinie gerichtet ist. Und was passiert, wenn ein weiterer Massenpunkt dazukommt? ANDREA WANNER war neugierig.

Zu den Wurzeln

Jugendbuch | Efua Traoré: Sister Spirit

Tara wird von wiederkehrenden Albträumengeplagt, die sie nicht einzuordnen vermag. Irgendwie haben die Träume etwas mit ihrer nigerianischen Herkunft zu tun. Aber was? Tara ist fest entschlossen, hinter das Geheimnis zu kommen. Von ANDREA WANNER.

Phönix

Jugendbuch: Lola Renn: Hier stirbt keiner Wenn die gewohnte Welt zerstört wird und nichts mehr bleibt außer Trümmern und Asche, muss man aufgeben. Nein, sagt Lola Renn in ihrem neuesten Jugendroman, nichts dergleichen. Mit ein bisschen Vertrauen nur kann man neues Leben finden, das eigene nämlich. Von MAGALI HEIẞLER