Jugendbuch | Heike Karen Gürtler: Mut ist der Anfang vom Glück
Nur nicht lügen, nichts verbergen, unter Freundinnen kann man sich vertrauen. In der Familie sowieso. Oder etwa nicht? Manche sind sich in dem Punkt alles andere als sicher, vor allem, wenn die Wahrheit Vertrautes in Chaos verwandeln wird. Leider hält Schweigen das Chaos auf Dauer nicht fern. Heike Karen Gürtlers junge Heldin muss sich entscheiden. Von MAGALI HEISSLER
Kim weiß nicht, was mit ihr los ist. Natürlich ist ihr klar, dass man mit sechzehn manchmal verwirrt ist vom Leben und seinen Anforderungen. Dass sie sich in ihrem Leben aber derart falsch fühlt, verunsichert sie gründlich. Wäre sie doch nur so unbelastet wie die besten Freundinnen Sophie und Lea. Die nehmen das Leben leicht. Sophie ist wunderschön und kann sich jeden Jungen aussuchen, Lea ist begeisterte Sportlerin, was ihre Tage ausfüllt. Dann passiert die Sache mit Marek. Kim kann es sich auch nicht erklären. Was ist dabei, wenn ein Junge ein Mädchen küssen will, noch dazu während einer Party? Warum musste sie sich aufführen wie eine Verrückte?
Die Welt verändert sich unversehens, als Ella neu in Kims Klasse kommt. Ella ist ganz anders. Ruhig, selbstbewusst, sogar ihre Kleider sind etwas Besonderes. Als Kim und Ella zufällig per Los eine Zweier-Arbeitsgruppe für ein Unterrichtsprojekt werden, ist Kim begeistert. Aber es erschreckt sie auch, denn ihre Gefühle für Ella sind unerwartet intensiv.
Und was werden die besten Freundinnen sagen, wenn sie nur noch an Ella denkt? Von ihren Eltern gar nicht anzufangen. Der Druck auf Kim wächst und wächst.
Bloß keine Probleme!
Es beginnt im Plauderton und das erweist sich schnell als charakteristisch für diese Geschichte. Drei Freundinnen, eine Schönheit, eine Sportliche und eine »mit Problem«. Viel Teenageralltag, Teenagerkleider, Teenagernahrung – Pizza, was sonst-, ein bisschen Gerangel mit Eltern, ein bisschen Schule, Party. Natürlich bekommt die Schöne bald Liebeskummer und die Sportliche fängt am Ende an, über einen Freund nachzudenken. Es ist auch jemand Passendes eingebaut.
Eingefügt in diese erzählerische Langeweile ist Kim, eine Figur, bei deren Gestaltung Gürtler sich für einmal anstrengt, Lebendigkeit zu schaffen. Die Anstrengung spürt man, trotzdem schafft es die Autorin, bestimmte Gefühlslagen einer Sechzehnjährigen einigermaßen authentisch vorzustellen. Sich fremd fühlen in einer Gruppe, sich fremd fühlen im eigenen Körper. Ungeschickt sein, immer das Falsche sagen, zu schüchtern, die wahren Gefühle zu äußern. Kims wachsendes Misstrauen nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst gegenüber wird beim Zielpublikum auf viel Verständnis stoßen. Ihr wachsender Mut auch. Dazu fällt der Autorin auch Gutes ein. Erträglich macht es diesen Mädels-Roman trotzdem nur mit Mühe.
Ellas Auftauchen verbessert das Ganze nicht. Sie wird im gesetzten Rahmen eines leichten Unterhaltungsromans zur Lichtgestalt. Das ist keine passende Rolle für eine Sechzehnjährige. Im Gegenteil ist das Bemühen der Autorin, nur keins der angerissenen Probleme ernst zu nehmen, auf Dauer ärgerlich. Ein bisschen toter Vater, ein bisschen Mutter mit Depression, ein bisschen überforderte Tochter. Das alles wird eingebettet in ein gemütliches Haus, einen wunderbaren Garten, Akzeptanz und Achtsamkeit und Kuchen. Und eine Katze, ganz klar. Die Addams-Family hat es, nebenbei bemerkt, nicht verdient, eines »d« beraubt zu werden.
Kims Probleme mit dem Entdecken ihres Lesbischseins werden ähnlich abgefertigt. Die Eltern sind Pappfiguren, Vater sagt stereotype Sätze über Schwule, Mutter darf etwas von »möglicherweise eine Phase« murmeln. Wir haben es gehört. Nun können wir mit dem Liebesglück weitermachen. Das ist ja auch viel schöner und vor allem nicht neu.
Brav
›Mut ist der Anfang vom Glück‹ ist Titel und Kernsatz der Geschichte. Kim erinnert ihre Schöpferin immer wieder daran, dass es darum geht, dass sie sich endlich offen bekennt. Das führt im zweiten Teil zu einem zwar vorhersehbaren, aber immerhin unterhaltsamen Konflikt im Kleeblatt der Freundinnen, der an Gewicht gewinnt, weil auch die schöne Sophie in Schwierigkeiten gerät. Abgesehen davon, dass auch dabei keine einzige neue Idee auf der schreiberischen Landkarte Gürtlers zu erkennen ist, widerspricht die Handlung um Sophie dem Thema des Ganzen. Denn sie hat Mut, sie bekennt sich zu dem, den sie liebt. Allerdings ist es der Falsche. Kann vorkommen. Nur: Mut ist der Anfang vom Glück? Je nun.
Es ist die Bravheit, die hinter dem ganzen Konstrukt steht, die die Geschichte zu Fall bringt. Der Ton gerät dementsprechend immer wieder gefährlich in die Nähe von Predigten. Vieles ist sentenziös, vor allem, wenn es darum geht, nicht der Norm zu entsprechen. Überhaupt hapert es sprachlich. Zu lang, zu weitschweifig ist es geraten, die Sprache der Jugendlichen ist gesetzt, Beschreibungen hölzern, Tipps aus Schreibkursen winken, von den Klischees und zahlreichen schiefen Bildern – Haare wie flüssiger Honig, steifer Atem, das Herz hüpft auf und ab – ganz abgesehen.
Um die Interaktion der Figuren realistischer zu gestalten, wird einiges an Dialogen als SMS wiedergegeben. Allerdings sind diese in einem derart korrekten, vollständigen Deutsch verfasst, dass sie jeden Anspruch auf Realitätsnähe verlieren. Auch sprachlich also werden Eigenständigkeit, Originalität, ja, die schiere Lust am Gestalten peinlichst vermieden. Und natürlich wird beim Happy End »abjeblend«. Glücklich seufzend können wir das Buch zuschlagen.
Damit ist das Thema Lesbischsein endgültig im Allerwelts-Unterhaltungsroman angekommen. Soll uns das nun freuen oder ärgern?
Ärgern. Nicht wegen des Themas, sondern wegen der Unterhaltung. Es gibt zu wenig Gute. Daran hat sich mit diesem Buch nichts geändert.
Titelangaben
Heike Karen Gürtler: Mut ist der Anfang vom Glück
Stuttgart: Thienemann 2016
239 Seiten, 12,99 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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