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Das Leben ist ein Gespräch

Menschen | Tankred Dorst zum 90. Geburtstag

Zum 90. Geburtstag des Georg-Büchner-Preisträgers Tankred Dorst am 19. Dezember. Von PETER MOHR

TITEL-tTankred Dorst ist einer der »wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der letzten Jahrzehnte. In der intensiven Zusammenarbeit mit seiner Frau Ursula Ehler gehört er zu den bekanntesten und produktivsten Theaterautoren Deutschlands«, hieß es vor drei Jahren, als ihm für sein Lebenswerk der Theaterpreis »Der Faust« verliehen wurde. 2013 hat das kongeniale Künstlerpaar seinen Wohnsitz von Schwabing nach Berlin verlegt.

»Unser Leben ist ein Gespräch.« So hat Tankred Dorst 2005 die Beziehung zu seiner langjährigen Lebensgefährtin und Co-Autorin Ursula Ehler beschrieben, die er Anfang der 70er Jahre bei der Arbeit am Fernsehfilm »Sand« kennengelernt hatte. Die Konversation scheint immer noch äußerst fruchtbar zu sein, denn Dorst gehört trotz seines fortgeschrittenen Alters noch immer zu den produktivsten deutschsprachigen Theaterautoren. 2005 war Die Wüste in Dortmund uraufgeführt worden, 2008 Künstler in Bremen.

Dazwischen hatte der Vollblut-Theatermann bei den Richard-Wagner-Festspielen 2006 in Bayreuth beim Ring des Nibelungen künstlerisch die Fäden gezogen. Eine achtbändige Werkausgabe (mit nicht weniger als 50 Theaterstücken) liegt inzwischen im Suhrkamp Verlag vor. Zuletzt war 2009 die Erzählung Glück ist ein vorübergehender Schwächezustand erschienen, in der keineswegs zufällig Richard-Wagner-Motive eine zentrale Rolle spielen.

»Das Verruchte weckt und beschäftigt die Phantasie. Der Anstand glättet sie«, hatte Tankred Dorst vor 25 Jahren in seiner Büchner-Preis-Rede erklärt. »Saustücke«, pflegte seine hochgebildete Mutter die Stücke ihres Filius‘ zu nennen. »Das mag irgendwie ein Stachel in mir sein, der mich immer antrieb, es Mama zu zeigen«, so der Dramatiker.

Tankred Dorst, der am 19. Dezember 1925 im thüringischen Oberlind bei Sonneberg als Spross einer gutsituierten Fabrikantenfamilie das Licht der Welt erblickte, schaffte 1961 mit seiner Großen Schmährede an der Stadtmauer den Durchbruch – ein stark an Brecht orientiertes Stück. Die Auseinandersetzung mit der Historie, mal stark an der Realität angelehnt, mal mit Anleihen aus der Märchenwelt leicht verfremdet, zieht sich wie ein roter Faden durch das opulente Oeuvre.

Auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen setzte Dorst dem Revolutionsdramatiker Ernst Toller (1893-1939) mit dem nach ihm benannten Stück ein literarisches Denkmal. Er zeichnet in diesem vielgespielten Drama den von politischen Wirren geprägten Lebensweg des Schriftstellers und Verfechters der Räterepublik nach.

Zu Unrecht sah sich Dorst wiederholt dem Vorwurf ausgesetzt, reines Dokumentartheater zu inszenieren – auch im Kontext des 1973 uraufgeführten Stückes Eiszeit, das sich mit dem Leben des dem Faschismus zugeneigten norwegischen Nobelpreisträgers Knut Hamsun befasst.

Immer noch von großer Aktualität ist der in Zusammenarbeit mit seiner Lebensgefährtin Ursula Ehler entstandene Zyklus um eine durch die Teilung Deutschlands getrennte Großbürgerfamilie (Dorothea Merz, Auf dem Chimborazo und Die Villa). Diese Stücke dienten auch als Vorlagen für äußerst erfolgreiche Fernsehspiele.

Theater um des Theaters willen war ihm stets ein Gräuel. Tankred Dorsts Stücke tragen eine unverwechselbare Handschrift, bestimmt von einer Synthese aus ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein, klassischen Märchen und immer stärker verblassenden Utopien. »Die gescheiterte Utopie, das Misslingen, das ist unser Thema«, so der Dramatiker über seine eigene Arbeit.

Der Frankfurter Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier charakterisierte den Büchner-Preisträger, der von den Intendanten und Regisseuren Zadek und Palitzsch stark gefördert wurde und einst vom Marionettentheater den Weg auf die großen Bühnen fand, mit den prägnanten Sätzen: »Dorst ist als Dramatiker immer Historiker. Er hat die Seite der Geschichte im Blick, die im Dunkel liegt. Dorst führt Prozesse vor, aber keine Urteile.«

| PETER MOHR

Zuletzt von Tankred Dorst erschienen:
Tankred Dorst: Ich soll den eingebildeten Kranken spielen – Ein Stück
Berlin: Suhrkamp 2011
52 Seiten, 14,90 Euro
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