/

Mehr Moralist als Ästhet

Menschen | Zum Tod des Dramatikers Rolf Hochhuth

Rolf Hochhuth, der am 1. April 1931 im nordhessischen Eschwege als Sohn eines Schuhfabrikanten geboren wurde, sorgte mit seinen Theaterstücken häufig für skandalträchtige Schlagzeilen, die weit über den Kulturbetrieb hinausragten. Der gelernte Buchhändler, der als Lektor in den 1950er Jahren seine Affinität zur Literatur entdeckte, interpretierte seine Dramatiker-Rolle höchst unkonventionell: Hochhuth war stets mehr radikaler Aufklärer als formaler Ästhet. Von PETER MOHR

»Ich habe immer ziemlich hart ausgeteilt und fand es immer völlig selbstverständlich, dass ich deshalb auch einstecken muss. Und dass Franz Josef Strauß mich Ratte und Schmeißfliege nannte, das nahm man natürlich nicht ernst. Man wusste, er ist ein sehr schlauer, bayerischer Prolet«, hatte der Dramatiker Rolf Hochhuth 2016 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk bekundet.

Schon das erste Stück ›Der Stellvertreter‹ – 1963 an der Freien Volksbühne Berlin von Erwin Piscator uraufgeführt – machte ihn schlagartig berühmt. Der vehement moralisierende Autor stellte in seinem noch heute häufig gespielten Bühnenerstling (in 30 Ländern aufgeführt) die Frage, ob Papst Pius XII. Millionen Juden vor dem Tod hätte retten können, wenn er öffentlich gegen die Nazis Stellung bezogen hätte. Es folgte eine scharfe Protestnote des Vatikans, Politiker ergriffen beschwichtigend das Wort, und an vielen Orten wurden geplante Aufführungen durch massive Interventionen der katholischen Kirche verhindert.

Hochhuths Stück wurde 2002 vom international anerkannten Regisseur Constantin Costa-Gavras mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle verfilmt.
Hochhuths Aufklärungsdrang und sein journalistischer Enthüllungseifer führten nach der Veröffentlichung von ›Eine Liebe in Deutschland‹ (1978) und der Uraufführung der ›Juristen‹ (1979) zum »erzwungenen« Rücktritt des damaligen Baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, dem Hochhuth nachwies, dass er als Marinerichter an der Vollstreckung von »unrechtmäßigen« (so später die Gerichte) Todesurteilen beteiligt war.

Auch in seinen vielen anderen Stücken stand stets der Moralist im Vordergrund. In den ›Soldaten‹ (1967) kratzte er am Churchill-»Denkmal«, in den ›Ärztinnen‹ (1980) zog er vehement gegen die Praktiken der Pharmaindustrie zu Felde, in ›Judith‹ (1984) ließ er einen amerikanischen Präsidenten nach einer Liebesnacht mit einer Journalistin sterben, in ›Unbefleckte Empfängnis‹ (1989) setzte er sich für die Legalisierung der Leihmütter ein, und schon vor der Aufführung von ›Wessis in Weimar‹ entstand im Frühjahr 1992 nach einem Vorabdruck im ›Manager Magazin‹ eine heftige öffentliche Kontroverse.

Als »Schmierensteher für Meuchelmörder« bezeichnete der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm den Autor, und auch Bundeskanzler Helmut Kohl fühlte sich zu einer öffentlichen Rüge des Stücks veranlasst, das den Mord am ehemaligen Treuhand-Chef Rohwedder noch einmal auf die Bühne brachte. Nicht nur beim politischen Establishment stieß der Autor mit diesem Stück auf Unverständnis. Auch nach den Inszenierungen in Hamburg und Berlin gab es öffentliche Debatten, in denen Hochhuth sein Stück als »fehlinterpretiert« bezeichnete.

Dennoch führte das umstrittene Stück zu einem Novum: Fast zwei Jahre nach der Uraufführung inszenierte Hochhuth im Dezember 1994 erstmals ein Stück selbst – allerdings nur auf einer Provinzbühne in Meiningen. Seine letzten Stücke ›Effis Nacht‹ (1996), ›Arbeitslose‹ (1999), ›McKinsey kommt‹ (2004) und ›Heil Hitler‹ (2006) stießen dagegen nur noch auf wenig Resonanz.

Hochhuth, der seit 2008 in vierter Ehe mit der Buchhändlerin Johanna Binger verheiratet war und unweit des Brandenburger Tores lebte, hatte 2012 noch einmal für Aufsehen gesorgt, als er aus Protest gegen Günter Grass‘ Israel-Gedicht ›Was gesagt werden muss‹ mit markigen Worten seinen Austritt aus der Berliner Akademie der Künste verkündet hatte.

Am Mittwoch ist der stets streitbare und umstrittene Dramatiker im Alter von 89 Jahren in seiner Wahlheimat Berlin gestorben.

| PETER MOHR
| FOTO: BlackIceNRW (WP/WC), Rolf Hochhuth, McKinsey is Coming, Duisburg 2005, CC BY 3.0 [Crop] (Rolf Hochhuth nach einer Buchlesung in dem Duisburger Kleintheater „Die SÄULE“, Goldstraße 15, 47051 Duisburg)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Geschichten, die wir selber schreiben

Nächster Artikel

Ein verzauberndes Stück Land

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Grenzen überschreiten

Menschen | Zum Tode des Schriftstellers, Publizisten und Kritikers Fritz J. Raddatz

»Zwischen Suhrkamp, Avenarius und Baedeker. Mehr kann man nicht verlangen.« So schrieb Fritz J. Raddatz in seinem Tagebuch über die Wahl seiner Grabstätte auf Sylt, die er sich schon weit vor seinem 70. Geburtstag gesichert hatte. Ein Nachruf auf Fritz J. Raddatz von PETER MOHR

Prosa des subtilen Mitgefühls

Menschen | Camilo José Cela zum 100. Geburtstag Als Camilo José Cela 1989 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, zeigten sich die internationale Fachwelt und auch der ausgezeichnete Autor überrascht von der Entscheidung der Stockholmer Akademie, in deren Begründung es hieß: »Mit der Auszeichnung wird die reichhaltige und intensive Prosa Celas gewürdigt, die in ihrem subtilen Mitgefühl ein eindrucksvolles Bild von der Verletzlichkeit des Menschen zeichnet. Mit Cela wird die führende Kraft der literarischen Erneuerung Spaniens während der Nachkriegszeit ausgezeichnet.« PETER MOHR gratuliert Literatur-Nobelpreisträger Camilo José Cela, der am 11. Mai vor 100 Jahren geboren wurde.

Bewahrer von Kultur und Sprache

Menschen | Jaan Kross Am 19. Februar vor 100 Jahren wurde der große estnische Schriftsteller Jaan Kross geboren. Ein Porträt von PETER MOHR

These Girls

Kulturbuch | Juliane Streich (Hrsg.): These Girls

›These Girls‹ ist ein Musiklexikon der besonderen Art – und doch so viel mehr. Ein Buch, das Pflichtlektüre sein sollte: für alle, die grundsätzlich an guter Musik interessiert sind. Für musikbegeisterte Feminist*innen, und solche, die es werden wollen. Von JALEH OJAN

Totale Indolenz

Menschen | Felix Römer: Kameraden Nach Sönke Neitzels und Harald Welzers Soldaten ist eine zweite große Studie zur Mentalitätsforschung in Sachen Wehrmacht erschienen: Für Kameraden hat der Historiker Felix Römer die Ab- und Verhörprotokollen aus einem amerikanischen Geheimlager für Kriegsgefangene ausgewertet. Der Zweite Weltkrieg aus deutscher Perspektive im O-Ton – minutiös dokumentiert und glänzend erzählt. Von PIEKE BIERMANN