Jugendbuch | Tommy Wallach: We all looked up
Wie verbringt man die letzten zwei Monate seines Lebens? Es ist die Frage, die sich die Menschen stellen müssen, als ein riesiger Asteroid auf die Erde zurast. Der Countdown läuft. Von ANDREA WANNER
Vier junge Menschen, alle kurz vor dem Schulabschluss, müssen sich fragen, was sie aus ihrem Leben machen wollen – für den Fall, dass es nur noch acht Wochen dauern wird. Peter, Eliza, Anita und Andy waren davon ausgegangen, dass alle Zeit der Welt noch vor ihnen liegt. Sie sind an der gleichen Schule, sind wie alle anderen dort auch in Schubladen gesteckt – der Sportler, die Schlampe, der Faulenzer, die Streberin – und warten, dass die Schule zu Ende geht und das wahre Leben beginnt. Und jetzt weiß niemand, ob das je geschehen wird. Die Chancen eines Zusammenpralls mit dem Asteroiden, den die Wissenschaftler Ardor getauft haben, stehen zwei zu eins. Wie geht man damit um, dass die Überlebenschance grad mal bei einem Drittel liegt. Peter, Eliza, Anita und Andy müssen individuelle Antworten finden.
Tommy Wallach ist ein amerikanischer Singer-Songwriter und hat mit ›We All Looked Up‹ nicht nur seinen ersten Roman geschrieben, sondern ihn gleichzeitig auch mit zehn Songs auf einem gleichnamigen Album begleitet. Außerdem hat sich Paramount Pictures noch vor Erscheinen des New York Times Best Sellers die Filmrechte an dem Buch gesichert – wahrscheinlich das Beste, was man aus der Story machen kann.
Einfühlsame Songtexte schreiben ist eine Kunst – den langen Atem für einen 440-Seiten-Roman eine ganz andere. Die Idee eines bevorstehenden Weltuntergangs kennt man, Wallach verfolgt sie in zehn Kapiteln, jedes beginnt mit einer schwarzen Seite, auf der die sich verringernde Entfernung des Asteroiden zur Erde zu sehen ist. Abwechselnd steht in jedem Kapitel ein anderer der Jugendlichen im Fokus, wobei sich ihre Wege kreuzen und ihre Schicksale mehr und mehr verknüpfen. In der immer knapper werdenden Zeit müssen sich die Jugendlichen entscheiden: Was will ich noch unbedingt tun? Was darf ich auf keinen Fall verpassen? Was muss noch getan werden?
Diese existentiellen Fragen werden – und das fast zwangsläufig – mit Klischees beantwortet. Wie wollte man vier jungen Menschen, die ganz unterschiedlich sind, tatsächlich gerecht werden. Wallach entscheidet sich für schlichte Antworten. Die teilweise so schrecklich banal sind, dass es fast zum Lachen ist. Da stolpert man über Sätze wie »Anita schaute von ihrem Buch auf – Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft« oder »Hör mal, ich weiß, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt, aber würde es dir was ausmachen, mich in den Arm zu nehmen?« Sind das Sätze, die man angesichts der Apokalypse äußert? Ist Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹ die Sorte Buch, zu der amerikanische Teenager greifen, wenn das Ende naht? Man zweifelt zu Recht.
So sehr einen zunächst die Frage beschäftigt, dieses furchtbare »Was wäre, wenn…?« und man über eigene Antworten nachzudenken versucht, so wenig gelingt es Wallach, mit seinen Protagonisten zu überzeugen. Peter, Eliza, Anita und Andy bleiben blasse Pappfiguren, ihre Gefühle wirken kitschig und melodramatisch. Und ja, als Film mit Wallachs Musik kann man sich das Ganze gut vorstellen. Und vermutlich findet auch das Buch begeisterte Leser.
Denen, die sich eine echte Auseinandersetzung mit den wesentlichen Fragen des Lebens gewünscht haben, mehr als die von Eliza geposteten Fotos auf ihrem Blog ›Apocalyse Already‹ bleibt vielleicht das Schmunzeln über die Rechenkünste von Misery, Peters Schwester: »Sie sagen, es ist zu sechzig Prozent sicher.« »Zu sechzig Prozent?“ »Genau.« »Also sechzig Prozent, dass wir lebend davonkommen, und dreißig Prozent, dass wir alle draufgehen?« Kevin zögerte, schaute noch mal auf den Bildschirm und schüttelte dann langsam den Kopf. »Umgekehrt.«
Wir entscheiden uns für die restlichen zehn Prozent und hoffen, dass in denen das steckt, was man im Buch vergeblich sucht.
Titelangaben
Tommy Wallach: We all looked up
(We All Looked Up, 2015). Aus dem Amerikanischen von Henriette Zeltner
München: cbj 2016
445 Seiten, 12,99 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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