/

Ausgewechselt in der zweiten Halbzeit

Menschen | Monica Lierhaus: Immer noch ich

Monica Lierhaus war die erfolgreichste deutsche Sportjournalistin, behauptete sich selbstbewusst in einer Männerdomäne und wurde verlässlich getragen von einer intakten Familie und einer langjährigen Partnerschaft. Doch eine unglückliche Verstrickung von Komplikationen während einer Gehirnoperation beförderte die junge Frau 2009 ins Abseits. Sieben Jahre später blickt sie zurück und zieht gleichermaßen verwundert wie stolz das Resümee: Immer noch ich. Von INGEBORG JAISER

csm_9783550081187_cover_9a83503450Ein Zufallsbefund während einer MRT-Untersuchung bringt den Stein ins Rollen. In Monica Lierhaus´ Gehirn tickt eine doppelte Zeitbombe: eine Gefäßanomalie namens Angiom sowie ein Aneurysma. Trotz der hohen Risiken entscheidet sich Lierhaus diszipliniert und ohne langes Zögern für eine Operation. Der Eingriff soll am 8. Januar 2009 stattfinden, sodass die Sportmoderatorin spätestens Ende Januar wieder fit wäre – rechtzeitig zum Eröffnungsspiel der Bundesliga HSV gegen Bayern München.

Alles auf Anfang

Doch die Operation missglückt und die Überlebenschancen der Patientin gehen gegen null. Man bestellt die Angehörigen zum Abschiednehmen ein. Wie durch ein Wunder überlebt Lierhaus – monatelang in ein künstliches Koma versetzt. Als sie nach zahlreichen weiteren Eingriffen zögerlich wieder das Bewusstsein erlangt, ist der Umfang ihrer Defizite noch nicht absehbar, doch eine Zukunft als kompletter Pflegefall sehr wahrscheinlich. »Miss Sportschau« wird erst einmal nicht mehr auf Sendung gehen.

Monica Lierhaus muss alles wieder lernen: stehen, gehen, sprechen. Sieben Jahre später hat sie über ihren langen, mühevollen Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben ein Buch geschrieben. ›Immer noch ich‹ ist ein Mosaik aus eigenen (anfangs noch sehr brüchigen) Erinnerungen, Aufzeichnungen der Angehörigen und des Lebensgefährten Rolf Hellgardt, sowie Aussagen von Therapeuten – behutsam in Form gebracht und unterstützt durch die versierte Co-Autorin Heike Gronemeier. Lierhaus ist sich sicher: »Ohne die Erinnerungen meiner Familie könnte ich die Geschichte meines zweiten Anfangs, meines neuen Lebens nicht erzählen.« Und: »Etwas in mir ist damals gestorben, und etwas hat überlebt. Ich bin, was meine Fähigkeiten angeht, eine andere geworden. Ausgewechselt in der zweiten Halbzeit, ohne dass ich den Pausenpfiff gehört hätte.«

Niemals aufgeben

›Immer noch ich‹ stellt »das Unglück« (wie Lierhaus selbst den Schicksalsschlag nennt) in einen größeren Kontext: Angefangen von einer behüteten Kindheit mit einem zwar autoritären, aber sorgenden Vater, über die symbiotische Beziehung zur nur ein Jahr älteren Schwester Eva bis zum beruflichen Werdegang, der von Perfektionsdrang und Leistungsbereitschaft geprägt ist. Später werden genau diese Erfahrungen bei den Anstrengungen der monatelangen Reha hilfreich sein. Nicht immer ist jedoch der Promi-Bonus förderlich. Zeitweise wird die Patientin Lierhaus sicherheitshalber als Valeska Meyer geführt – sinnigerweise der Name ihrer preußisch disziplinierten Urgroßmutter. Passt gut, denn in der Reha-Klinik in Allensbach gelten sowieso ambitionierte Regeln. Niemals aufgeben, heißt eine davon. Und Lierhaus erreicht ihr hoch gestecktes Ziel: diesen Ort auf eigenen Beinen gehend zu verlassen.

Licht und Schatten

Doch der schrittweise Weg zurück ins Rampenlicht ist nicht nur von Erfolgen gekrönt. Neben zahlreichen Stürzen und erneuten Operationen schmerzen auch die ambivalenten Momente des Comebacks, wie der überraschende Heiratsantrag vor laufender Kamera (»Dass es der falsche Rahmen war und die falsche Zeit, weiß ich inzwischen auch«) oder die kontrovers geführten Diskussionen um das Honorar als Botschafterin der Deutschen Fernsehlotterie (»Nach dem Motto, eine Behinderte ist das nicht wert. Die kann gar nicht so viel leisten, als dass eine solche Summe auch nur annähernd gerechtfertigt wäre.«)

Monica Lierhaus hat ein ehrliches, offenes, authentisches Buch geschrieben, ohne Allüren, ohne Beschönigung, aber auch ohne Weinerlichkeit. Es soll Menschen geben, die sich zum Verkaufsstart der Neuerscheinung einen Tag Urlaub genommen haben. Eine gute Idee.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Monica Lierhaus, Heike Gronemeier: Immer noch ich. Mein Weg zurück ins Leben
Berlin: Ullstein, 2016
269 Seiten. 19,99 Euro
Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schlaglichter auf die Ukraine

Nächster Artikel

Small Talk der Selbstgefälligen

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Die Freiheit, die er meint

Menschen | Joachim Gauck: Freiheit Der Katzenjammer ist vorprogrammiert. Wo so viel Vorschusslorbeeren verteilt werden und so viel Jubel auf Verdacht ertönt, kann es nur Enttäuschungen geben. Es ist ähnlich wie bei der Bestellung des künftigen Intendanten für das Stuttgarter Schauspiel, Armin Petras. Berauscht von dem Coup, der einen Theaterleiter aus der Hauptstadt weglocken konnte, verspricht man sich am Neckar ein Goldenes Zeitalter. Von THOMAS ROTHSCHILD

Hot to handle…

Menschen | Denkschrift über Roky Erickson und Dr John Mac Rebennack Nachrufe sind nicht so meine Sache. Eine schlimme Angelegenheit in jedem Fall. Aber Roky und Dr John sind Bekannte von Bekannten aus Bekanntenkreisen von mir aus früheren Jahren. Die sich als Stars zeigten. Von denen auch ein trauriger Abschied öffentlich sein kann. Von TINA KAROLINA STAUNER

»Some Time in New York City«

Menschen | Zum 40. Todestag von John Lennon

Es gibt eine Flut von Büchern über sein Leben und die Musik der Beatles. Doch wie steht es um John Lennons exzeptionelles musikalisches Werk als Solokünstler, das er von 1969 bis kurz vor seinem Tode schuf? »Er war ein einfacher, komplizierter Mensch«, sagte seine Witwe Yoko Ono einmal über ihren Gemahl. Ohne ihn hätte es die Beatles nicht gegeben, ohne ihn hätte »ihnen die Eindringlichkeit, das Gewissen und die Originalität gefehlt«, schreibt sein Biograph Ray Coleman, der achtzehn Jahre lang mit ihm bekannt war und davon überzeugt ist, dass »niemand vollständig in ihn hineinblicken« konnte. Über ein halbes Jahrhundert ist seit der Trennung der Beatles vergangen, vierzig Jahre seit seinem Tod. Zwei neue Bücher beschäftigen sich mit Leben und Werk des legendären Musikers aus unterschiedlichen Perspektiven. Von DIETER KALTWASSER

Der Sommer der Ressentimentalisten

Thema | Martin Walsers ›Tod eines Kritikers‹

Ich ging in die Ferien, als die jüngste Walserei ausbrach. Dort, wo ich mich rund 3 Wochen aufhielt, im Süden Frankreichs, wäre es schwierig gewesen, an deutsche Blätter zu kommen. Ich habe es nicht versucht – um meinen »Seelenfrieden« (Martin Walser) wenigstens im Urlaub zu bewahren. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Korn zwischen den Mühlsteinen

Menschen | Zum 100. Geburtstag von Alexander Solschenizyn Vor 100 Jahren am (11. Dezember) wurde Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn geboren. Ein Porträt von PETER MOHR