/

Ein extremes Leben zwischen Glanz und Verzweiflung

Sachbuch | Thomas Medicus: Klaus Mann. Ein Leben

Thomas Medicus schreibt eine große und brillante Biografie über Klaus Mann. DIETER KALTWASSER stellt sie vor.

Ein Foto, das Klaus Mann zeigt, der eine Zigarette rauchtDas Leben des erstgeborenen Sohns des übermächtigen Vaters Thomas Mann war alles andere als einfach. Auf keine andere berühmte Schriftstellerfamilie scheint das Anna-Karenina-Prinzip so anwendbar wie auf die Familie der Manns. Der Roman ›Anna Karenina‹ von Tolstoi beginnt mit dem legendären Satz: »Alle glücklichen Familien ähneln einander, aber jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.«

Doch war das Verhältnis zwischen Vater und Sohn so kalt, wie es oft dargestellt wurde? Ein Tagebucheintrag von Klaus Mann vom 3. Juli 1936 lautet: »Was für eine sonderbare FAMILIE sind wir! Man wird später Bücher über UNS – nicht nur über einzelne von uns – schreiben.« Zum 75. Todestag von Klaus Mann ist jetzt die mehr als fünfhundert Seiten umfassende Biografie ›Klaus Mann – Ein Leben‹ von Thomas Medicus erschienen. Er veröffentlichte 2012 die Biografie ›Melitta von Stauffenberg‹ und 2020 folgte die Doppelbiografie ›Heinrich und Götz George‹. Auch in seinem neuen detailgesättigten Buch bricht sich mehr als ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte und Familiengeschichte.

Thomas Medicus begleitet Klaus Manns Leben von der behüteten Münchner Kindheit, der Karriere des Dandys in der Weimarer Republik, welche die homosexuelle Emanzipation voranbrachte, in das politische Exil in Europa und den USA. Klaus Mann verkörpert die bewegte erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als schillernder Bohemien und als Schriftsteller. Er war stets auf Reisen, dahintreibend zwischen den Kontinenten, und er publizierte in ungebremstem Schreibfluss. Eine extreme und facettenreiche Existenz, überschattet von Drogen, Ausschweifungen und Todessehnsucht. Medicus entwirft ein Porträt, das nicht bloß auf den Vater-Sohn-Konflikt reduziert wird; er entwirft das »Drama einer misslungenen Individuation«. Glanz und Scheitern sind Eckpfeiler im Leben des Klaus Mann.

Alle Familien bilden, folgt man Medicus, »ein vielschichtiges emotionales System, aber in der komplizierten Gemengelage ihrer Gefühle sucht die Familie Mann wohl ihresgleichen.« Das lag nicht zuletzt auch an der Anzahl ihrer Mitglieder. Am 18. November 1906 wurde Klaus Heinrich Thomas Mann als zweites Kind von Katia und Thomas Mann in München geboren, er war nur um ein Jahr jünger als seine Schwester Erika. Sechs Kinder, drei Söhne und drei Töchter, alle in München geboren innerhalb von 15 Jahren, was an die »familiären Binnenverhältnisse« höchste Ansprüche stellte. Zudem wurde das patriarchalisch geordnete Hauswesen durch zahlreiche Dienstboten erweitert. Die Eltern Katia uns Thomas Mann hatten »Lieblinge oder weniger geliebte Sprösslinge. Erika, Golo, Monika, Elisabeth, Michael – an welcher Stelle in diesem Gefühlsgefüge stand der älteste Sohn Klaus?«

Die Kinder wuchsen in begüterten und privilegierten Verhältnissen auf, für Klaus hatte das Bad Tölzer Landhaus der Familie eine überragende Bedeutung. Neun Sommer verbrachte die Familie dort, 1917 wurde es verkauft und die Familie zog nach München in ihr neu erbautes Haus im vornehmen Villenviertel Herzogpark im Stadtteil Bogenhausen; das Heim der Familie bis 1933.

Klaus Mann erinnert sich an die Tölzer Tage noch Jahrzehnte später in seiner zweiten Autobiografie ›Wendepunkt‹, die 1940 zuerst auf Englisch erschien; an der deutschen Fassung arbeitete er bis kurz vor seinem Tode im Jahr 1949. Doch die Tölzer Tage waren nicht ungetrübt, zuweilen hatten sie eine dunkle Kehrseite. Klaus Mann kam hier mit dem Tod in Berührung. Im nahe gelegenen Klammerweiher wurde die Leiche eines Knaben gefunden, Klaus Mann berichtet: »Wir haben seine Leiche gesehen, [in der benachbarten Kapelle] schön säuberlich aufgebahrt zwischen Blumen und Kerzen.«

Von 1916 bis 1922 geht er auf das Wilhelmgymnasium in München. Klaus und Erika besuchen von April bis Juli 1922 das Landerziehungsheim Bergschule Hochwaldhausen, danach die Odenwaldschule Ober-Hambach bei Heppenheim bis zum Sommer 1923. Das Internat wird nach den Prinzipien der Reformpädagogik geführt. Nach eigenen Angaben verlässt Klaus die Odenwaldschule, als er sich in einen Mitschüler verliebt. Der junge Mann verlobt sich 1924 mit Pamela Wedekind, der Tochter des Schriftstellers Frank Wedekind. Sie ziehen nach Berlin und Klaus Mann arbeitet als Theaterkritiker. 1925 erscheint sein Buch ›Der fromme Tanz‹, einer der ersten Homosexuellen-Romane in der deutschen Literatur. Er bekennt sich zu seiner Homosexualität. Mit ›Kind dieser Zeit‹ legt er 1932 seine erste Autobiografie vor.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte er über Amsterdam, Zürich, Prag nach Paris. Er gerät in das Zentrum der bedeutendsten Autoren des Exils und wird einer ihrer Repräsentanten. Ab 1933 lebte fast die gesamte Familie Mann im Exil. Auf das Drängen ihrer Kinder kehrten Thomas und Katia Mann nicht mehr von einer im März 1933 begonnenen Vortragsreise nach Deutschland zurück und gehen ebenfalls ins Exil. 1936 erschien im Amsterdamer Exil-Verlag Querido sein Buch ›Mephisto – Roman einer Karriere‹, das in Deutschland erst 1981 erscheinen konnte und sich, so Medicus, zum erfolgreichsten Roman Klaus Manns entwickelte.

In der Emigration – mit den Stationen Amsterdam, Zürich, Prag, Paris und USA ab 1936 – wurde Klaus Mann zu einem der zentralen Autoren der internationalen antifaschistischen Publizistik. Er gab die Zeitschriften ›Die Sammlung‹ (1933-35) und ›Decision‹ (1941-42) heraus und kehrte als GI und US-Korrespondent nach Deutschland zurück.

Es folgten die letzten, düsteren Jahre bis zu seinem Suizid in Cannes. »Im rabiaten Schreibakt einer fundamentalen Verwerfung von allem hatte er in seinem letzten Essay ›Die Heimsuchung des europäischen Geistes‹ zur Gefolgschaft in den freiwilligen Tod aufgerufen,« schreibt sein Biograf. Im Essay heißt es: »Woran soll er glauben, der europäische Intellektuelle von heute? So vieles von dem, was er ererbt hat, ist fragwürdig oder hinfällig geworden …« Sein Romanfragment ›The Last Day‹ ist, so Medicus, »ein Dokument der Verzweiflung, endete in apokalyptischer Ausweglosigkeit.«

Die letzten Zeilen der neuen großen und brillanten Biografie lauten: »Ich bin eines und vieles – mit dieser finalen Geste entglitt Klaus Mann in eine andere Welt, so widersprüchlich, geheimnisvoll, mehrdeutig und unwahrscheinlich, wie er gelebt hatte.«

| DIETER KALTWASSER

Titelangaben
Thomas Medicus: Klaus Mann. Ein Leben
Berlin: Rowohlt 2024
544 Seiten, 28 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Obwohl wir die Reichen hassen, lieben wir die Housewives«

Nächster Artikel

Blutrausch

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Enfant perdu

Menschen | Zum Tod von Lothar Baier

Zuletzt sollte er in der Werkausgabe Jean Améry dessen beide großen Essays »Über das Altern« und »Hand an sich legen« herausgeben. Nun erfahren wir, dass Lothar Baier in Montreal selbst »Hand an sich gelegt« und den »Freitod« gewählt hat. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Lockdown im Paradies

Kulturbuch | David Hockney / Martin Gayford: Frühling wird es sicher wieder

Wieviel Trost und Hoffnung im Lauf der Jahreszeiten, im unaufhaltsamen Wandel der Natur verborgen liegt, können wir alle erfahren. ›Frühling wird es sicher wieder‹ verkündet zuversichtlich der Maler, Grafiker und Fotograf David Hockney mit seinen Bildern aus der Normandie und im angeregten Austausch mit seinem Freund, dem Kunstkritiker Martin Gayford. Von INGEBORG JAISER

»Kunst muss endlich definiert werden!«

Menschen | Kunst: Interview mit Timo Dillner (Teil I) Timo Dillner ist Künstler. Und der Meinung, die ewige Frage, was als Kunst gelte und was nicht, verdiene endlich eine klare Antwort. Im ersten Teil unseres Interviews mit dem Künstler fragt FLORIAN STURM nach dem Wesen der Kunst.

Vom Schreibrausch erfasst

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Joyce Carol Oates Unendlich viel hat Joyce Carol Oates schon geschrieben – allein mehr als 60 Romane, und in den letzten Jahren ist sie immer wieder als heiße Nobelpreiskandidatin gehandelt worden. Mit ihrem neuen Werk, das kurz vor ihrem 80. Geburtstag erschienen ist, hat sie noch einmal ein völlig neues thematisches Terrain betreten. Von PETER MOHR

Poesie des Scheiterns

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Volker Braun

»Was erwartet ihr von mir? Widerspruch. Widersprüchliches werdet ihr hören«, heißt es im jüngst erschienenen Aphorismenband ›Handstreiche‹.
Volker Braun hat stets die leisen Töne bevorzugt, das klassenkämpferische verbale Gepolter war nie seine Sache: kluge philosophische Sentenzen hat er stets gepaart mit einem untrüglichen Gespür für gesellschaftliche Veränderungen – so auch in ›Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer‹ (2008). Darin setzte er sich mit den gravierenden Veränderungen im Arbeitsalltag und dem Verschwinden vieler industrieller Arbeitsprozesse auseinander. Ein Porträt von PETER MOHR