Krise ist in den letzten Jahren Dauerzustand und andauernd spitzen sich gesellschaftliche Konflikte zu. Stefanie Sargnagel hat ein Buch geschrieben, dass dorthin geht, wo es am schlimmsten ist: Amerika. Dabei schildert sie alles aus der Perspektive einer deutsch-österreichischen Freundschaft – und gibt mit ihrem ehrlichen Humor ein Stück Hoffnung. Von SVEN BECK
Vor einem eintönig-senfgelben Hintergrund liegt die Cartoon-Figur auf einem Sofa und isst Popcorn: Iowa. Cover und Titel des Romans sind ein Versprechen, erwecken die Erwartung eines Einblicks. In den amerikanischen Alltagswahnsinn, in die Netflix-Serien-Kulissen, Kinofilmlandschaften und Politikdebatten, die wir nur aus Tagesschaumeldungen über Präsidentschaftswahlen gewohnt sind: »In Iowa werden wir gemeinsam leben, schaffen und uns entfalten,« heißt es: »Wir werden zusammen im Maisfeld stehen, Slipknot hören, einander zunicken und dann mit Waffen auf rostige Bohnendosen schießen.«
Tatsächlich löst Sargnagel das ein. Auf 300 Seiten lesen wir detailliert, gut recherchiert und humorvoll-ironisch von Elite-College-Blasen, Jagdgewehren und jeder Menge schlechter Restaurants. Aber den Reiz dieses Buches macht das nicht aus. Ja, der Ort selbst, Amerika, ist sogar zweitrangig. Die Ich-Figur dieses autofiktionalen Textes hätte ein Aufenthaltsstipendium in irgendeinem Land antreten können, wichtiger war ihre Begleitung. Genauer gesagt, die Beziehung zu ihr. Die Berliner Musik-Ikone Christiane Rösinger ist nämlich mit ihren 63 Jahren eine ganze Generation älter als sie und damit geht ein Kultur-Clash an Unterschieden einher, der meist in liebevollen Sticheleien, mal in ernsteren Konflikten und fast immer in Diskursen zu Zeitgeist, Gesellschaft und Wandel gipfelt.
Eine ungleiche Freundschaft
Sargnagel ist mit ihrer derben, ehrlichen Österreich-Art berühmt geworden, sie debütierte mit einem Roman übers Saufen und wurde von der Bachmannpreis-Jury für einen Beisl-Text gefeiert. Aber auch Rebellinnen altern: »Viele Witze würde ich heute nicht mehr machen«, gesteht sie in einem Interview und konkretisiert: »vor allem über marginalisierte Minderheiten« So lesen sich denn auch viele Passagen dieses Buches als innerer Reifeprozess, als Auseinandersetzung mit der eigenen Identität.
Die Erkenntnisse sind mal mehr, mal weniger fundamental: Dass man sich »lieber freuen solle, jetzt besser auszusehen, als in zehn Jahren, anstatt sich im Nachhinein darüber zu ärgern, sich hässlich gefühlt zu haben, als man am süßesten war, « ist eine davon, eine andere, dass die Zeit reif ist, Kinder zu bekommen und die blöde und berühmte biologische Uhr lauter wird: »Na, dann musst du’s deinem Liebhaber sagen«, sagt Rösinger, etwas von oben herab. Auf Augenhöhe begegnen sich die Beiden nicht. Sargnagel idolisiert die Sängerin, die ihr anders herum, dauernd Stereotype an den Kopf wirft. Überpflegt sei sie, sensibel und politisch korrekt, aber »bestelle trotzdem bei scheiß Amazon, damit habt ihr Millennials gar kein Problem«. Sie wünsche sich Naturkatastrophen für Instagram, mache permanent von allem Stories und habe Angst, im echten Leben nur mal einen Schokoriegel zu klauen. Will Sargnagel einmal kontern, hat Rösinger dann Anmerkungen geschrieben, sodass nicht mal das geht.
Dass die Beiden sich so ärgern können, zeugt aber von der Tiefe der Freundschaft, einer Frauenfreundschaft, und das ist zu betonen, weil Geschlecht (wie Klasse) eine bedeutende Rolle spielt. Zwischen gemeinsamen Einkäufen bei Walmart, Sich-voreinander-gehen-Lassen auf der Couch und Entdeckungstours der touristischen Nachbarnester poppt nämlich immer wieder Feminismus auf, und die Unterschiede, die beide Künstlerinnen erfahren, in diesem, im Kern gleichen, Kampf.
Rösinger, die das Schicksal der Unsichtbarkeitswerdung erleidet, Sargnagel, die sich fragt, ob Mutter werden, die Karriere als Star-Autorin beendet. Beide sind links, beide sind Arbeiterkinder, beide ertragen auch selbstironisch die Widersprüche ihrer Weltanschauung: »Salat ist antifeministisch«, heißt es und: »Eine Waage protestiert dem feministischen Druck, so zu tun, als wären einem Ideale egal«. Sie kennen die Zustände des Patriarchats und nehmen sich mit »Real Housewives of Beverly Hills« eine Seifenoper-Auszeit davon.
Kluge Gegenwartsanalysen
Iowa ist ein kurzweiliger Roman, auch wenn die Handlung auf anderes schließen ließe. Das liegt einerseits am Tempus Gegenwart, das die Sprache treibt, die Tabu-Brüche lustiger macht und die Dialoge lebendiger. Andererseits aber auch an dem politischen Gegenwartsbezug, der in den essayhaften Passagen dominiert. Da geht es um Wohnungspolitiken, TikTok-Videos, oder amerikanische Krankenkassen. Stets alles pointiert auf den Punkt gebracht und – das muss man auch sagen, sehr gut recherchiert. Es ist eine Geschichte, die nicht viel erzählt, aber das Gefühl vermittelt, nicht allein zu sein. In dieser Freundschaft finden wir Trost. In diesen Gegensätzen können wir uns verorten. Sargnagel sieht die Welt an, findet sie scheiße, aber sie gibt sich trotzdem mit ihr ab, wird darin älter und belächelt sie sanfter, als früher. Manchmal brauchen wir genau diesen Blick.
Titelangaben
Stefanie Sargnagel: Iowa
Hamburg: Rowohlt 2023
304 Seiten, 22 Euro
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