Mit Der König knüpft Norwegens Bestsellerautor Jo Nesbø an seinen Roman Ihr Königreich an, der seine Leserinnen und Leser vor 4 Jahren mitnahm in die abgeschiedene Welt von Carl und Roy Opgard im Südosten Norwegens. Im Unterschied zu Nesbøs gewaltstrotzender Harry-Hole-Reihe, die es inzwischen auf dreizehn Bände gebracht hat, erzählte er darin mit deutlichen Anspielungen auf die alttestamentarische Kain-und-Abel-Geschichte von zwei höchst unterschiedlichen Brüdern. Carl, der Leichtlebigere der beiden, hat die letzten 15 Jahre fern von Norwegen verbracht und kommt mit großen Plänen zurück: Ein Spa-Hotel soll seinen Heimatort aufwerten und ihn und die junge Frau, die er mitgebracht hat, reich machen. Roy, der in Os geblieben ist, das elterliche Anwesen verwaltet hat und eine Tankstelle betreibt, handelt weitaus bodenständiger als sein jüngerer Bruder, der noch jedes seiner bisherigen Projekte in den Sand gesetzt hat. Und doch kommen die beiden nicht voneinander los. Eine tragische Vergangenheit mit mehreren bis in die Gegenwart ungeklärten Todesfällen schweißt sie aneinander. Und macht ihre Beziehung auch nicht einfacher, wenn es nun darum geht, wer von den beiden Brüdern der wahre Nachkomme ihres geschäftstüchtigen Vaters wird. Eine Rezension von DIETMAR JACOBSEN
Sind ihre Eltern wirklich Opfer eines tragischen Unfalls gewesen? Und war der nach einem Angelausflug mit Roy Opgard spurlos verschwundene Ortspolizist Sigmund Olsen tatsächlich kurz davor, den Brüdern Roy und Carl die Schuld am Tod ihrer Eltern nachzuweisen? Kurt jedenfalls, Olsens Sohn und ebenfalls Polizist, ist immer noch überzeugt davon, dass sie beiden Opgards, auf deren Spur er seit Jahren ist, seinen Vater getötet haben. Und auch die Gerüchteküche brodelt weiter in dem kleinen, im Südosten Norwegens gelegenen Ort Os, als dessen König sich der alte Opgard zu seinen Lebzeiten, hoch über der Siedlung in seinem opulenten Anwesen thronend, empfand. Nur dass es jetzt zwei Anwärter sind, deren Anspruch auf den vakanten Thron sie in der Gegenwart immer mehr zu Konkurrenten werden lässt.
Zwei Brüder wollen ganz nach oben
Bedrohlicher freilich noch als ein Polizist, der seinen Vater lieber heute als morgen gerächt sehen würde, ist ein bevorstehendes Verkehrsprojekt, dessen Verwirklichung das ganze Tal ins Abseits stellen würde. Gerade erst hat Carl nach den Plänen seiner am Ende des Vorgängerbandes getöteten Frau ein hochmodernes Wellness-Hotel aus dem Boden gestampft. Und Roy plant, sich einen Lebenstraum mit der Errichtung eines Vergnügungsparks, dessen Hauptattraktion eine weltweit einmalige Achterbahn sein soll, zu erfüllen. Wie kann man es da zulassen, dass durch eine Umgehungsstraße, deren wichtigster Abschnitt durch einen Tunnel führen soll, das für die Opgardschen Prestige-Objekte dringend nötige Publikum um das kleine Os herumgelenkt wird?
Der König spielt mehrere Jahre nach den Ereignissen, die Nesbø seinen Leserinnen und Lesern in Ihr Königreich erzählt hat. Und schnell zeigt sich, dass Carl und Roy in dieser Zeit nichts verlernt haben. Deshalb taucht Roy Opgard gleich zu Beginn des neuen Romans bei den Inhabern einer kleinen Firma auf, deren Gutachten darüber entscheiden soll, ob mit einem teuren Tunneldurchbruch die neue Reichsstraße das Städtchen Os tatsächlich in Zukunft veröden lässt. Und es braucht nicht viel Überzeugungskraft und erst einmal kaum Gewalt, um den gerade mit ihrem Unternehmen in einer handfesten Krise steckenden Geschäftsleuten ein Gutachten abzutrotzen, das die Verfasser reich und die Tunnelpläne zunichtemacht.
Hindernisse auf dem Weg zum Thron
Dass dies freilich nur einer von vielen Widerständen ist, die sich den Plänen der kommenden Könige von Os in den Weg stellen, ahnt man als Leser schnell. Und als sich Roy in die junge Natalie Moe, die er im Vorgängerband vor ihrem übergriffigen Vater gerettet hat, verliebt und es schon nach kurzer Zeit so aussieht, als gäbe es keinerlei Hindernisse mehr auf ihrem Weg zum Glück, werden die Probleme damit keineswegs weniger, sondern mehr. Denn nur zu schnell stellt sich heraus, dass Carl von seinem älteren Bruder nicht nur Loyalität erwartet, sondern auch Toleranz all den Dummheiten gegenüber, die ihn seine leichtfertige Ader immer wieder begehen lässt.
Bereits in ihrer Kindheit war Roy immer derjenige gewesen, der sich vor seinen kleinen Bruder stellte, wenn dem Gefahr drohte oder Unrecht geschah, und all jene Dinge ausbügelte, die Carl in schöner Regelmäßigkeit verbockte. Das setzte sich fort, als der Bruder mit der umwerfend schönen und intelligenten Shannon an seiner Seite aus den USA zurückkam und mit dem Bau eines Wellnesshotels begann, zu dem sie die Pläne gemacht hatte. Kaum traten die ersten Schwierigkeiten bei dem Großprojekt auf, war Roy gefragt. Dass er der attraktiven Shannon dabei immer näherkam, nahm Carl in Kauf, registrierte aber auch sehr wohl, wie man jetzt erst in Der König erfährt, was hinter seinem Rücken vor sich ging. Und rächt sich an dem Bruder auf eine Weise, die ihr Verhältnis an einen Scheideweg führt. Denn von jetzt an kann es nur noch einen König in Os geben.
»Der Mensch denkt. Gott lacht.«
Auch Der König ist wieder aus der Perspektive des älteren der beiden Opgard-Brüder erzählt. Dadurch sind die Leserinnen und Leser denkbar dicht dran an einem Geschehen, das nur wenig Anlauf braucht, bis es in eine tödliche Konfrontation mündet, aus der nur eine der beiden Hauptfiguren heil herauskommt. Nesbøs Roman ist großes Kino, arbeitet mit weitaus weniger Action, als es die bisher 13 Romane seiner weltweit erfolgreichen Serie um den Osloer Hauptkommissar Harry Hole tun, sondern setzt auf raffinierte Intrigenspiele und überraschende Wendungen. Mit dem so unterschiedlichen Brüderpaar, das ebenso viel verbindet wie trennt, ist dem norwegischen Bestsellerautor ein Protagonisten-Duo gelungen, das noch lange in der Erinnerung bleibt.
Titelangaben
Jo Nesbø: Der König
Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
Berlin: Ullstein 2024
428 Seiten. 25,99 Euro
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