Den Wachmann Arnolt Streich hat das bundesdeutsche Wirtschaftswunder links liegen gelassen. Der Mann, der 13 Jahre lang in Fernost und Nordafrika für die französische Fremdenlegion gekämpft hat, ist Anfang 1959 in Frankfurt für die Sicherheit in einem heruntergekommenen Gebäudekomplex verantwortlich. Einmal in der Woche kreuzt er bei einer Prostituierten auf. Freunde hat er kaum. Das wenige Geld, das er verdient, trägt er auf die Galopprennbahn. Bis sich eines Tages seine Vergangenheit zurückmeldet und Streich vor eine Entscheidung stellt, die ihn sein Leben kosten könnte. Von DIETMAR JACOBSEN
Ein Lied von Édith Piaf hört Arnolt Streich immer wieder: Mon légionnaire. Es erinnert ihn an seine Zeit in der Fremdenlegion, in der er sich den nom de guerre »Vier-auf-einen-Streich« (Quatre d’un coup) erworben hat. Seit er wieder zurück ist in Frankfurt am Main, schlägt er sich als Wachmann für einen schäbigen Spekulanten durch, der einen maroden Garagenhof abreißen und an dessen Stelle einen profitablen Mietkomplex errichten will.
Streich selbst ist in einem der baufälligen Gebäude untergekommen. Zu tun gibt es nicht viel – außer nahezu täglich ein paar Kinder zu verscheuchen, die den Hof als Abenteuerspielplatz benutzen und es insbesondere auf ein 14-jähriges Umsiedlermädchen abgesehen zu haben scheinen.
Mon légionnaire
Doch plötzlich ändert sich die Situation für Heimbachs Helden. In Algerien kämpft die 1954 gegründete FLN mit ihrem militärischen Arm, der ALN, seit einem halben Jahrzehnt um die Unabhängigkeit des Landes von Frankreich. Um in dieser Auseinandersetzung bestehen zu können, benötigt man dringend moderne Waffen. Und weil es in Deutschland skrupellose Waffenhändler gibt, die mit den Widerständlern lukrative Geschäfte zu machen bereit sind, hat sich der französische Geheimdienst darauf verlegt, abschreckende Exempel zu statuieren.
Angeheuert für die Mordanschläge auf exponierte Personen im Waffengeschäft werden dabei auch ehemalige Fremdenlegionäre. Die müssen nicht viel befürchten, wenn sie ihrem mörderischen Handwerk in aller Öffentlichkeit nachgehen. Denn weil der deutsche Staat 1959 den gerade in Gang gekommenen Aussöhnungsprozess zwischen Frankreich und Deutschland nicht gefährden will, tut er nur das Allernötigste, um die Angehörigen der »Roten Hand« (La Main rouge), wie sich die vom Auslandsgeheimdienst Frankreich betriebene Terrororganisation selbst nannte, festzusetzen. Vor Gericht gestellt wurde damals nicht ein einziger der skrupellosen Mörder.
Im Visier einstiger Freunde
Auch Arnolt Streich, der nur sein unauffälliges Leben zwischen Job, Feierabendbier und den gelegentlichen Treffen mit einem alten Kameraden in dessen Boxclub führen will, findet sich eines Tages im Visier der Franzosen wieder. Erst wird er nur beobachtet. Doch schon bald tritt man an ihn heran und bietet Geld, damit er seine nicht gerade kleinen Wettschulden begleichen kann. Als Gegenleistung soll er herausfinden, in welcher der von ihm bewachten Garagen die Luxuskarosse eines bekannten Frankfurter Waffenhändlers untergestellt ist. Doch als bei einem kurz darauf stattfindenden Sprengstoffanschlag zwei Menschen in dem nicht gut genug versteckten Wagen zu Tode kommen und die Kriminalpolizei zu ermitteln beginnt, scheint Streich den Beamten als ehemaliger Legionär gerade recht zu kommen.
Es ist die Mutter des Umsiedlermädchens Lidia Dargatz, die gemeinsam mit dem Frankfurter Waffenhändler Mühlbauer ihr Leben bei dem Attentat lassen muss. Fortan schlägt sich Lidia, die immer einen Zeichenblock bei sich trägt und die Menschen, denen sie auf der Straße begegnet, in Portraitskizzen festhält, allein durch. Nur zu Streich fasst sie mehr und mehr Vertrauen und der revanchiert sich dafür, indem er versucht, Gefahren von dem Mädchen fernzuhalten. Die gehen nicht nur von der Clique Gleichaltriger aus, die Lidia wegen ihrer Andersartigkeit verfolgen, sondern auch von den Mördern Mühlbauers und ihrer Mutter. Denn Lidia hat die mit französischem Akzent sprechenden Fremden, die um den Garagenhof herumschleichen, nicht nur gezeichnet, sondern besitzt auch Beweise dafür, dass es sich bei ihnen um durch ihren Diplomatenstatus geschützte Geheimdienstmitarbeiter aus dem Nachbarland handelt. Und um zu verhindern, dass das bekannt wird, sind die zu allem bereit.
Bomben gegen die Freiheit
Die Rote Hand erhielt 2020 den Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman des Jahres. Überzeugt hat der 1961 geborene Jürgen Heimbach die Jury des Syndikats vor allem durch die geschickte Verbindung von Zeitkolorit mit einer spannenden Geschichte. Einprägsame Figuren – vor allem natürlich der Legionär Streich und das Mädchen Lidia, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben und doch verbunden sind durch ihre innere Einsamkeit –, ein überzeugender Plot und dessen gekonnte literarische Umsetzung zeichnen den Roman, der ein heute kaum mehr bekanntes Kapitel aus der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg als Hintergrund benutzt, aus.
Titelangaben
Jürgen Heimbach: Die Rote Hand
Zürich: Unionsverlag 2020
283 Seiten, 13,95 Euro
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