Roman | John von Düffel: Der brennende See
Vom Tod eines Menschen und allmählichen Verschwinden des Wassers handelt der neueste Roman des Schriftstellers und Langstreckenschwimmers John von Düffel. Dabei ist Der brennende See keine überzogene Dystopie, sondern ein Abbild dramatischer Entwicklungen unter dem Eindruck der Klimaveränderung. Und immer stellt sich die elementare Frage: Welches Erbe treten wir an? Von INGEBORG JAISER
Ein Romananfang mit Wetterbericht steht in bester Tradition. Doch während Robert Musils Mann ohne Eigenschaften noch mit einem barometrischen Minimum über dem Atlantik aufwartet und zufrieden vermelden kann: »Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur«, ist 100 Jahre später nichts mehr im Lot.
Jegliche meteorologische Ordnung steht infrage. So beunruhigt John von Düffels Der brennende See von Anbeginn mit entfesselten Prognosen: »Bei einer Durchschnittstemperatur von 18˚ Celsius klettert das Thermometer auf Tageshöchstwerte von bis zu 25˚.« Und das bereits im April.
Annäherung ans Nichts
In diesem heißen, außergewöhnlich trockenen April (wohl im Jahr 2018) reist Hannah aufs flache Land, zurück in den Ort ihrer Kindheit. Mit leichtem Gepäck, wie einst ihr Vater – ein engagierter Schriftsteller und passionierter Schwimmer – dem man stets nachgesagt hat, »dass er für eine Reise nur sein Schwimmzeug brauche und ein paar Äpfel Proviant«. Nun ist der Vater tot und es gilt, seinen bescheidenen Hausstand aufzulösen, der Testamentseröffnung beizuwohnen.
Das Ausmaß der Leere ist befremdlich, so als hätte der Vater schon zeitlebens seine eigene Auslöschung betrieben, als »wären seine letzten Jahre nur ein Aufhören gewesen, eine immer größere Annäherung ans Nichts.« Doch unter den letzten Dingen findet Hannah die Fotografie einer unbekannten jungen Frau sowie ein ramponiertes Damenfahrrad, mit dem sie schließlich zum Lieblings-Baggersee des Vaters fährt.
Während sie dort badet, wird ihr prompt das Rad geklaut. Von einer rotzfrechen Jugendlichen, die der Frau auf der Fotografie frappierend ähnelt. Spätestens hier entfaltet der Roman kriminalistische Züge und entwickelt sich schnell zum Pageturner. Doch wird die Spannung anhalten?
Die Botschaft der toten Fische
Schließlich geht es Schlag auf Schlag. Hannah registriert entgeistert, dass der Vater sie kurz vor seinem Tod zugunsten einer Stiftung enterbt hat. Jugendfreundin Vivien, die kurzfristig Logis und Familienanschluss bietet, ebnet den Weg für weitere (verhängnisvolle) Begegnungen: ihr Ehemann Matthias beabsichtigt die Annexion des Baggersees zugunsten eines geplanten Bauvorhabens, Sohn Marvin gilt als geheimnisvoller Junge mit dem »Zweiten Gesicht« und Tochter Julia entpuppt sich als die junge Frau auf der Fotografie – zugleich als engagierte, gut vernetzte Aktivistin gegen »Klimanotstand, Artensterben, Umwelttod« und letzte enge Vertraute von Hannahs Vater, gar als seine gefühlte »wahre Tochter«. Mehr als beschämend für Hannah selbst, die stets ihre eigenen Wege ging und nach der Scheidung der Eltern nur noch sporadischen Kontakt zum etwas verschrobenen Alt-Achtundsechziger-Vater pflegte.
Mit steigenden Temperaturen und erhitzten Gemütern eskaliert die Situation und mündet in der Schlüsselszene einer aus dem Ruder laufenden Freitagsdemonstration. So gerät ein schnöder Baggersee zu Kulisse und Symbol widerstreitender Bestrebungen: Rückzugsort und Renaturierung oder Profitgier und Privatvergnügen? Naturschutz oder No-Future? Seniorenresidenz oder Kieswerk? Artenvielfalt oder Fischsterben? Nach diesem Höhepunkt kippt die Story allmählich und driftet sacht ins Schablonenhafte, Unausgegorene ab. Schade. Als ob der Autor gerade hier zu viel an Streichungen vorgenommen hätte.
Der See als Metapher
John von Düffel, selbst begeisterter Schwimmer und Wasseranbeter, hat in seinem neuesten Roman wieder einmal sein Lieblingsmotiv thematisiert, doch weit weniger poetisch als in den früheren Büchern. Der brennende See greift das Wasser gleichermaßen als sinnliches Element wie als Politikum auf – mit allen sichtbaren Veränderungen, für die es eine Bewusstmachung und Versprachlichung zu finden gilt, ganz im Sinne des derzeit wieder sehr in Mode kommenden »Nature Writing«.
Geschickt stellt von Düffel jedem Kapitel eine (oft reale, teilweise semifiktionale) Wettervorhersage voran, die das Geschehen aufputscht, bis hin zu finalen Hitzegewittern, Sturmböen, Schwelbränden.
Der brennende See versucht auf den aktuellen Fridays-for-Future-Hype aufzuspringen, lässt sich jedoch vor allem als aufrüttelnder Generationen- und Familienroman lesen, mit dem klaren Appell an die mittlere Generation, sich dem Dialog nach allen Seiten zu öffnen und die Familienbande zu pflegen. Möglichst noch zu Lebzeiten der Väter.
Titelangaben
John von Düffel: Der brennende See
Köln: Dumont 2020
318 Seiten, 22 Euro
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