Freunde können so viel miteinander erleben. Spielen, tauchen, dahingleiten. Vor allem wenn der eine ein Junge, der andere ein Wal ist. Ein farbmächtiges Bilderbuch erzählt diese Geschichte. Von GEORG PATZER
Oh, so ein schönes Schaukeln. Weit hinten liegt das Land, ein großer Leuchtturm ist noch zu sehen. Sam liegt im Boot, die Angel ist festgezurrt, und er hat es so richtig lauschig. Er ist gern allein, fühlt sich wohl mit sich. Und schläft gemütlich schaukelnd ein. Aber dann kommt ein Sturm und trägt ihn davon. Mit den Wellen weit rauf und wieder abgrundtief runter. Bis das Boot auf einmal weg ist und Sam auf einer Planke im Wasser hängt. Dann taucht plötzlich ein Etwas auf und hebt ihn hoch, weit, weit, weit nach oben. Auf seiner Nase.
Und damit ist er nicht nur gerettet, sondern plötzlich hat der kleine Sam, der so gern allein ist, jemanden, mit dem er spielen, staunen und die Welt erkunden kann: »Er hatte einen Freund. Er war nicht mehr allein.« Und sein Freund ist etwas ganz Besonderes: ein riesiger Wal.
In einem großformatigen Bilderbuch mit farbmächtigen Bildern erzählt die Niederländerin Linde Faas, die es auch illustriert hat, von Sam und seinen Erlebnissen. Vom sonnenblauen Meeresschaukeln, mit weißen Wölkchen betupft. Von den einzelnen Tropfen und dann dem immer düsterem, sich schwarz färbendem Himmel, den schwarzen Wellen, die Sam und vor allem das Boot winzig erschienen lassen. Von der Endlosigkeit des Meeres und dem verzagt sich an die Planke klammernden Sam.
Lustig farbenfoh wird es nach der Rettung, wenn die beiden miteinander spielen, der namenlose Wal mit seinem Schwanz auf das Wasser schlägt, dass die Fontänen spritzen mit Sam in die Tiefe taucht, wo viele rote Fische sie begleiten. Von den Millionen Vögeln, die in einem riesigen Schwarm den Himmel bedecken. Vom sachten Dahingleiten des Wals, der Sam und eine Schar von 23 Möwen auf seinem Rücken trägt. Vom Nachthimmel voller Sterne und Sternschnuppen, den sie gemeinsam auf dem weiten Meer erleben: »Er hatte einen Freund. Er war nicht mehr allein.« Und dann bringt der Wal den Jungen wieder nach Hause, und die beiden winken sich zu, mit einer Hand und der Schwanzflosse.
Aber dann ist Sam nicht mehr zufrieden, wenn er allein ist: Man sieht ihn am Tisch sitzen und den Wal und die abschiedswinkende Flosse malen, dann schaut er aus dem Fenster. Steht am Strand, der ihm jetzt »kalt und verlassen« vorkommt. »Was war mit ihm los? Warum fühlte er sich so?« fragt das Buch. Bis er ein Boot baut, aufs Meer rausfährt und seinen neuen Freund, den Wal, sucht und wiederfindet.
›Der Junge und der Wal‹ ist ein wunderschönes und auch beeindruckend gemaltes Bilderbuch, das eine abenteuerliche Freundschaftsgeschichte erzählt, bei der man dann auch ins Träumen und Phantasieren kommen kann: Was können die beiden ungleichen Freunde auf und im Meer nicht noch alles erleben? Ein wenig schade ist es, dass Sam seine innere Ruhe im Alleinsein verloren hat, auch wenn klar ist, dass es mit Freunden wirklich schön ist.
Und leider schließt das Buch mit den pathetischen Worten »Zu Hause hat nichts damit zu tun, wo du bist, sondern mit wem du zusammen bist.« Und so wahr das auch ist, ist es doch wieder einmal eine überdeutliche Moral der Geschichte, die Kinder überhaupt nicht nötig haben. Das spüren und wissen sie in einem guten Buch auch von selbst. Hier haben Autorin und Verlag den Kindern zu wenig zugetraut und sie unterschätzt. Schade.
Linde Faas: Der Junge und der Wal
(De jongen en de walvis, 2019), übersetzt von Sylke Hachmeister
Hamburg: Von Hacht Verlag 2020
44 Seiten, 14 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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