Es ist warm. Nein, heiß. Und es wird immer heißer. So heiß, dass man nachts ohne Klimaanlage kein Auge zutun kann. Und so heiß, dass etwas Außergewöhnliches geschieht: Der Mond schmilzt. ANDREA WANNER staunte.
Dunkel wie die Nacht sind die Bilder, nur ein Vollmond leuchtet am Himmel. Wir blicken direkt in ein Mehrfamilienhaus, kunstvoll als Collage konstruiert. Überall brennt noch Licht, überall sind Fenster und Balkontüren hermetisch geschlossen, weil innen die Aircondition für akzeptable Raumtemperaturen sorgen soll. Nur eine steht draußen, fächelt sich Luft zu, in der Hoffnung ein bisschen Frische zu erfahren: Oma Holle, eine alte Wölfin. Auch sie kann nicht einschlafen. Und wie sie so zum Mond schaut, stellt sie etwas Merkwürdiges fest: Er tropft. Plopp … plopp … plopp fallen die Tropfen vom Himmel – und der Mond wird mit jedem Tröpfeln ein bisschen kleiner. Sie rennt in die Wohnung, fängt die helle Flüssigkeit auf. Und dann? Füllt sie diese in Eisförmchen und stellt sie in den Gefrierschrank.
Kurz darauf fällt der Strom aus. Mist, denn die elektrischen Kühlungen fallen natürlich alle aus. Und dann stellen die Bewohner erstaunt fest, dass es überall dunkel ist und nur aus Oma Holles Fenstern ein zartes Licht strömt. Was ist da los? Der Lichtschein lockt alle dorthin. Angekommen geschieht etwas Wundervolles: Oma Holle verteilt kühlendes, köstliches Mondeis!
Der südkoreanischen Bilderbuchkünstlerin Baek Hee-na gelingt es, dass man die Hitze dieser schlaflosen Nacht spürt, die fehlende Abkühlung und die damit einhergehende leise Aggression, als alle dieser nächtlichen Glut ausgeliefert sind. Und man schmeckt das Eis aus Mondschmelz förmlich auf der Zunge. Herrlich! Es hilft sofort. Allen geht es besser, alle gehen schlafen – mit offenen Fenstern und Türen. Und das ist nur der erste Teil dieser ungewöhnlichen Geschichte, die für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert ist. Das flüssige Mondwasser mit seinem geheimnisvollen Schimmer kommt noch einmal zum Einsatz.
Schon mit ›Wolkenbrot‹ hat die Illustratorin gezeigt, wie sie mit Bildern zaubern kann. Der Kontrast zwischen fotorealistischen Elementen und Zeichnungen in den Collagen schafft auch in ›Mondeis‹ märchenhafte Szenen, in denen man sich verlieren kann. Und wie es sich gehört hat am Ende alles in diesem an ein koreanisches Volksmärchen angelehnte Geschichte seine Ordnung in dieser aufgeladenen Sommernacht, an die man sich lange erinnern wird.
Titelangaben
Baek Hee-na: Mondeis
(Dal Shabet, 2014)
Deutscher Text in Anlehnung an das Original von Nina Jung
München: Märchenwald Verlag 2023
33 Seiten, 13,99 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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