Mozart war ein Wunderkind, keine Frage, aber es gäbe da jemanden, der das Prädikat ebenso verdient hätte: Camille Saint-Saëns, rund 80 Jahre nach Mozart geboren, 1835 in Paris. Er kann mit 2 Jahren lesen, schreibt mit 3 Jahren seine ersten Musikstücke, gibt mit fünf Jahren sein erstes Konzert, spricht mehrere Sprachen, und: Er hat ein extrem gutes Gedächtnis. Vielleicht entsprang der Karneval der Tiere ja seiner Sehnsucht und Fantasie: viel Einsamkeit nämlich hatte der Pianist, Dirigent, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge in seinem Leben erfahren müssen und diese Geschichte ist ein grandioses musikalisches Fest der Freude und Gemeinschaft. Das interaktive Bilderbuch, so findet BARBARA WEGMANN, führt an Saint-Saëns Werk bestens heran.
Ben und Tom langweilen sich und die Ermunterung der Mutter, sie sollten doch das Zimmer aufräumen, ist da auch nicht die unbedingte Lösung. Plötzlich, sie nehmen gerade ein Buch zur Hand, öffnet sich eine Geheimtür hinter dem Bücherregal. An dieser Stelle darf der kleine oder große Leser auf der letzten Seite des bezaubernden Buches den ersten Punkt drücken und es ertönt: eine wunderbare Musik. Sofort zieht sie in den Bann. »Zwei Klaviere spielen schnelle tremolierende Töne, während die Streicher immer wieder um dieselben drei aufsteigenden Noten kreisen … Hörst du die zwei Klaviere, die ein Glissando spielen?«
Zwar gibt es wenige Texte, die jedoch sind nur wie ein Gerüst, eigentlich werden Fantasie und Spannung des Buches durch die jeweiligen Musikstückchen geweckt und wach. Hören ist angesagt.
Die zwei Jungen tauchen ein in eine abenteuerliche Welt mit Löwen, Riesenschildkröten, die sogar Geige spielen können, mit Elefanten. Alles sehr atmosphärisch und detailliert illustriert, lebendig und farbenfroh. Die Jungen entdecken einen riesigen Vogelkäfig, in dem »die schönsten Vögel der Welt gefangen gehalten werden«. Ben und Tom befreien sie. Und an einem großen See schallt eine Musik über das Wasser, die sehr, sehr bekannt ist. Hier, wie auch bei den übrigen Stationen ihrer Abenteuer dürfen weitere Punkte gedrückt, weitere Musikstückchen gehört werden. »Ein einzelnes Cello imitiert einen Schwan, der elegant über das Wasser gleitet. Zwei Klaviere klingen wirbelnd, wie die Schwanenfüße, die unter der Oberfläche paddeln.« Wurde da eine kleine musikalische Anleihe bei Tschaikowskys Schwanensee gemacht?
Es ist das, was das Spätwerk von Saint-Saëns ausmacht und was es auch so unglaublich attraktiv macht: Anfang 1886 komponierte er das Stück, im Frühjahr desgleichen Jahres wurde es aufgeführt, versank dann aber für viele Jahre in der Schublade. Warum? Der Komponist hatte Angst um seinen Ruf: Zum einen fürchtete er, dass seine durch einzelne Instrumente nachgeahmten Tierstimmen vielleicht albern und musikalisch nicht anspruchsvoll genug sein könnten, zum anderen hatte er bei berühmten Komponisten wie Berlioz, Jaques Offenbach, oder auch Mendelssohn Bartholdy passend zu den entsprechenden Tieren ein wenig musikalisch gemausert. Heute zählt ›Der Karneval der Tiere‹ zu den berühmtesten Werken des Komponisten und gilt gleichzeitig als »perfekte Einführung in die klassische Musik«.
Die Aufbereitung als Bilderbuch für kleine Leser ab drei Jahren ist wunderbar gelungen, äußerst liebevoll gestaltet und aufgemacht, wenn es auch nur Hörproben aus neun Sätzen der Suite sind, die eigentlich 14 hat. Aber: Spätestens nach dem ersten Musikbeispiel wird klar, dass diese Musikhappen doch gern hätten deutlich länger sein dürfen. Das ist wirklich schade. Das spielerische Element ist zwar neben der Aufmachung der große Pluspunkt des Buches, interaktiv und mit Batteriewechsel ist es sogar langfristig nutzbar.
Ein ganz besonderer Buch-Schatz.Den man durch Saint-Saëns‘ vollständige Musik des Tier-Karnevals unbedingt ergänzen sollte. »Im Finale kommen alle Instrumente zum Einsatz, und damit versammeln sich musikalisch alle Tiere für einen letzten Auftritt. Im ersten Teil des Finales spielt das Xylophon die Melodie und die Dinosaurier übernehmen die Führung.« Damit wird Kopfkino bestens musikalisch untermalt.
Titelangaben
Camille Saint-Saëns: Der Karneval der Tiere
Ein Musik- Bilderbuch zum Hören
Illustriert von Jessica Courtney-Tickle
München: Prestel 2020
24 Seiten, 26 Seiten
Musikbilderbuch ab 3 Jahren
Reinschauen
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