Menschen | Zum 90. Geburtstag des Schriftstellers Ludwig Harig am 18. Juli*
»Sie haben dazu beigetragen, das Bild des Saarlandes nach innen und außen zu prägen. Gerne erinnern wir uns daran, dass wir uns der guten saarländischen Art zu leben und zu denken besonders durch Sie bewusst geworden sind“, hieß es vor fünf Jahren in einem Geburtstagsbrief des saarländischen Kulturministers Kulturminister Ulrich Commerçon an Ludwig Harig. Von PETER MOHR
»Kein Zweifel, er ist unter den Lebenden nicht nur der bekannteste, sondern auch der beste saarländische Schriftsteller. Wer dies behauptet, setzt keinen anderen herab«, hatte Harigs saarländischer Landsmann Oskar Lafontaine schon vor 25 Jahren völlig zutreffend in der ›Zeit‹ geschrieben. In den letzten Jahren ist es – dem Alter geschuldet – etwas ruhiger geworden um den literarischen Tausendsassa aus dem Saarland.
»Ludwig Harig ist ein vielseitiger Autor, der seit den sechziger Jahren die deutsche Literaturgeschichte maßgeblich mitbestimmt hat,« hieß es 1988 in der Laudatio zum Heinrich-Böll-Preis. Tatsächlich bietet Harigs gewaltiges Oeuvre einen Facettenreichtum, der in der zeitgenössischen Literatur seinesgleichen sucht. Wer sein Werk heute auf seine späten halb-dokumentarischen Romane reduziert, wird diesem Autor nur teilweise gerecht.
Ludwig Harig, der heute* vor 90 Jahren im saarländischen Sulzbach (wo er heute noch lebt) als Sohn eines Malermeisters geboren wurde, arbeitete nach dem Studium bis 1974 als Lehrer. Noch ehe er selbst zu schreiben begann, hat er sich in den 50er Jahren intensiv mit der französischen Lyrik und Philosophie auseinandergesetzt. Diese Wurzeln und die frankophile Neigung ziehen sich wie ein roter Faden durch Harigs Werk. Der spielerische Umgang mit der Sprache war – unter dem Einfluss von Max Bense – ein bevorzugtes Metier. Übersetzungen von Raymond Queneau, experimentelle Hörspiele (in denen authentisches Tonmaterial eingefügt wurde), philosophiegeschichtliche Essays und zuweilen surrealistische Erzählungen prägen vor allem das Frühwerk.
Allerdings waren surrealistische Elemente auch noch in der 1980 erschienenen meisterlichen Novelle ›Der kleine Brixius‹ unübersehbar, in der der fünfjährige Protagonist auf geheimnisvolle Weise das Fliegen lernt. Harigs dichterischer Flugversuch ist – zumindest symbolisch – aufs Engste verknüpft mit seiner immensen Reiselust.
Auch für seine Familientrilogie (›Ordnung ist das ganze Leben‹,1986; ›Weh dem, der aus der Reihe tanzt‹, 1990; ›Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf‹; 1996) hat sich der Autor auf Reisen begeben. Ziel waren die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, auf denen Harigs Großvater als junger Soldat unvergessliche Grausamkeiten erlebt hat. In diesen Romanen porträtiert der langjährige Volksschullehrer – mittels seiner eigenen Familie – das typisch deutsche Kleinbürgertum. In seinem letzten, bis in die 60er Jahre reichenden Roman ›Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf‹ (1996) hat es Harig auf vorzügliche Weise verstanden, die muffige Provinzialität des Saarlandes mit hintersinnigem Humor zu karikieren.
Gleich zwei prägende Passionen verbindet sein 1997 erschienener Band ›Spaziergänge mit Flaubert‹: Literatur und Reisen. Man begegnet dort der Droste auf der münsterländischen Wasserburg, Friedrich Nietzsche im Engadin, Theodor Storm in dessen nordfriesischer Heimat sowie Mark Twain und William Faulkner jenseits des Atlantiks.
In seinem letzten bedeutenden Werk kehrte Harig literarisch wieder stärker zur eigenen Biografie zurück. In seinem 2007 erschienenen Roman ›Kalahari‹ erzählt er von der lebenslangen Freundschaft eines Franzosen und eines Deutschen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als junge Studenten in Lyon kennengelernt hatten. Harig beschreibt darin seine große Affinität zur französischen Literatur, während sein Freund Roland Cazet, der später ausgedehnte Reisen (allerdings nie in die Kalahari) antritt, von der deutschen Technik begeistert ist.
Dieser Roman ist mehr als nur das authentische Zeugnis einer Freundschaft; er lässt sich auch als Essenz von Harigs Oeuvre lesen, als Liebesbekenntnis zu Frankreich und als großes Versöhnungsbuch.
Ludwig Harig, der 1993 vom saarländischen Ministerium für Kultur und Wissenschaft zum Ehrenprofessor ernannt wurde, gehört nicht nur zu den versiertesten Erzählern seiner Generation. Er hat sich überdies große Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft erworben.
| PETER MOHR
| TITELBILD: ETK
Lesetipp
Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Ludwig Harig
TEXT+KRITIK Heft 135
München: Edition Text und Kritik 1997
91 Seiten, 13 Euro