/

Hot to handle…

Menschen | Denkschrift über Roky Erickson und Dr John Mac Rebennack

Nachrufe sind nicht so meine Sache. Eine schlimme Angelegenheit in jedem Fall. Aber Roky und Dr John sind Bekannte von Bekannten aus Bekanntenkreisen von mir aus früheren Jahren. Die sich als Stars zeigten. Von denen auch ein trauriger Abschied öffentlich sein kann. Von TINA KAROLINA STAUNER

Dr. JohnAuf die 80 zugehend wird es zunehmend schwierig offenbar für manche. Ich bin noch um Jahrzehnte jünger. Aber nicht in allen neuen Wellen. Deshalb ein paar Zeilen über zwei spleenige Grenzgänger und sonderliche Kauze: Roky Erickson und Dr John.

Vor neun Jahren lief ich Dr John in München über den Weg. Ich war im Festsaal im Bayerischen Hof. Notierte einen kurzen Bericht: »Dr. John & The Lower 911 beim Jazz Sommer 2010 im Festsaal des Bayerischen Hof in München – spezielle altbekannte Mixtur aus Louisiana: Hitzeglocke seit Tagen. Nach einem Gewitterregen ist es wie tropisch. Im Festsaal des Bayerischen Hof meine ich, bei diesen Temperaturen in der Menschenansammlung, nicht atmen zu können. Dr. John spielt ›Baby Let The Good Times Roll‹ und beendet damit den ersten Teil des Konzerts.

Zu nahe an dem, was man Klischee des Sounds nennen könnte, den man von ihm will, möchte ich urteilen und gehen. Ich bin aber nach der Pause doch wieder dabei. Louisiana und kreolische Einflüsse in der Musik hatten mich einmal geradezu magisch angezogen und ich kann mich auch jetzt nicht fernhalten.

Der mittlerweile 70-jährige Dr. John, auch Malcolm (Mac) John Rebennack, mit Hut und schwarz bebrillt und gut gelaunt tut sein Bestes am Piano dem Konzert Klasse zu verleihen. Und schafft das dann noch. Mit seiner ganz speziellen Mixtur aus Swamp-R’n’B, Voodoo-Funk, Louisiana-Soul und Mardi Gras. Einstmals beeinflusst von Professor Longhair und als der Südstaaten-Magier auf dem New Orleans-Piano, der er sein soll. Eine Spur zu glatt scheint mir der Groove aber zu sein von Dr. John & the Lower 911.

Diese bestehen neben Dr. John aus John Fohl an Gitarre, David Barard am Bass und Herman »Roscoe« Ernest III am Schlagzeug. Versierte Musiker. Guter Sound. Aber alles dann doch nicht wirklich für die Seele. Die gerade Klänge mit New Orleans in Beziehung einmal eigentlich erreichten. Ich kann Dr. John & The Lower 911 nicht ganz widerstehen und bin nicht ganz überzeugt. Seine neuesten Songs hat Dr. John auch auf der CD ›Tribal‹ (Proper/Rough Trade) veröffentlicht.

Ich war oft davon überzeugt, Dr John zu hören. Und ich hatte entfernte Bekannte, die darauf schworen, The 13th Floor Elevators zu hören. Ich wusste, wer die sind. Man sah die immer irgendwo. Sie kamen immer irgendwo irgendwie durch. Ich schrieb am Schreibtisch, zeichnete im Atelier, designte im Theater, arbeitete für Kulturzeitungen und sagte manchmal in einer Fußgängerzone vor einem Schaufenster auf dem Weg zu einem Rock- oder Jazz-Konzert zu einem skurrilen Freak auch sowas wie: »Tja, Roky Erickson.« Aber es war mir zu sehr psychedelic. Das waren Alt-68 und deren abgespacete Jünger. Nicht meine Szene. Ich sah die Dinge etwas anders. Allerdings einen guten Song von Roky Erickson nicht verschmähend. Ich redete von Songs. Ich rede von Songs. Von Songs! Guten Songs wie ›You’re Gonna Miss Me‹. Und nicht genau wissend, was diese Gestalten sonst so tut. Ich ahnte es nur. Und beobachtete die Bühnen. Auch die von Dr John.

Roky Erickson Mac Rebennack nahm mit Leuten wie Steve Hunter »Hollywood By The Name« auf und zeigte sich auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Wurde sogar von der legendären Musikerpersönlichkeit Allen Toussaint produziert. Südstaatler wie Roky Erickson. Dieser hatte jedenfalls von den 70ern an oder noch früher mit Doug Sahm und Jerry Jeff Walker seine Shows. Man konnte auch Weihnachten mit solchen Typen feiern. Danach gab es noch Stollen bei der Verwandtschaft. In Wirklichkeit war keiner verflucht. Damals.

Heute ist hier in München Vorsommer. Aber die Medien melden schon 30 Grad wie im Hochsommer. Der Sommer kann nicht heiß genug sein. Auf schattigen Piazzen. Unter den traurigen Nachrichten, die nicht sein müssten und die man besser nicht bekommt, war weltweit in vielen Medien gepostet, dass seit 31.05.19 Roger Kynard »Roky« Erickson nicht mehr lebt und seit 06.06.19 Malcolm »Mac« John Rebennack Jr. nicht mehr lebt. Beide wurden aber immerhin ziemlich alt. Als geniale Individualisten. Die immer mal wieder des Wegs kamen. Und deren Bekannte und Freunde. Irgendwo in der Pampa. Und in Metropolen. Hoffentlich machen alle anderen weiter Platten und verschonen vor allzu trauervollen Nachrichten. Peace.

| TINA KAROLINA STAUNER

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Bauen für den Endsieg

Nächster Artikel

Zu Papier gebracht

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Dramatiker und Medienkünstler

Menschen | Bertolt Brecht: Unsere Hoffnung heute ist die Krise

Ein neuer Band versammelt 91 vergessene und unbekannte Interviews mit Bertolt Brecht. Ein editorisches Meisterwerk, wie DIETER KALTWASSER findet.

Thought Crimes and 4/4 Beats: An Interview With Red Pig Flower

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Every so often a record will come along which makes you sit up and take notice. Right from the very first bars you know this is the one for you. One such 12” entered my life a few weeks ago in the form of Thought Crime, the sumptuous new EP by Red Pig Flower. Containing a generous helping of deep, melodic house, lush ambiance and smooth techno beats, each of the record’s four tracks are rich with personality and soul. By JOHN BITTLES

No time to lose

Musik | Raphael Hussl: No time to lose Das Album ›No time to lose‹ von Raphael Hussl besingt die Sehnsucht und die Hoffnung, kurzum: die Liebe. MARC HOINKIS berichtet.

Von »Sissi« nach Äthiopien

Menschen | Zum Tod von Karlheinz Böhm »Das Ende meiner Schauspielerei bedeutete für mich auf keinen Fall einen Bruch in meinem Leben – im Gegenteil. Ich glaube, erst 1981 mit der Gründung der Stiftung ,Menschen für Menschen‘ das erste Mal begriffen zu haben, was ich wirklich wollte. Ich erkannte den Sinn darin, für andere zu leben«, erklärte der Schauspieler Karlheinz Böhm in einem Interview kurz vor seinem 80. Geburtstag. Zum Tod des Schauspielers Karlheinz Böhm. Von PETER MOHR

Explosiv und radikal

Menschen | Shulamith Firestone – Eine radikale Feministin (Mittelweg 36) Als im Spätsommer 2012 die Nachricht vom Tod Shulamith Firestones bekannt wurde, fand sie hierzulande wenig Widerhall. Revolutionärinnen kommen im kollektiven Gedächtnis kaum vor. Wenn sie Frauenrechte auf ihre Fahne geschrieben haben, ist die Chance dazu noch geringer. Ein schmaler Sammelband des Hamburger Instituts für Sozialforschung stellt sich dem Vergessen entgegen und präsentiert Firestone und ihr Werk, explosiv, radikal. Und gelungen, findet MAGALI HEISSLER.