Lyrik | Peter Engel: Gedichte
Zu Papier gebracht
Was durch den Kopf geht, flüchtig ist
und davon will wie im Nu,
auch was in den Fingerspitzen
kribbelt und nicht weiß warum,
was wie ein Einfall von Licht
durch den Raum stiebt ohne Ziel
oder die wirbelnden Flocken
von allerlei Stäuben im Eck,
was vielleicht ein Gedanke ist,
der gerade erst entsteht
und sich selbst noch nicht ganz kennt,
gleichfalls ein kaum zu hörender
Ton, der noch nicht durchgeformt ist,
und meine unvollkommenen
Zeilen mit dunklem Gehalt,
alles wird hier zu Papier gebracht.
Leda ohne Schwan
Wohlgeformt sitzt sie da, verbirgt
ihre prallen Brüste nicht,
hat die linke Hand abwehrend
erhoben und den Blick gesenkt,
sie schaut seitwärts, nackt wie sie ist,
an den vollen Schenkeln vorbei.
Da ist kein Schwan, der sich zu ihr
drängt, keine mythologische
Inbrunst, sondern Zeus ist ganz fern,
wird diesem bodenständigen
Mädchen auf der Bauernbank
nie begegnen, auch nicht im Traum.
Aber die uralte Angst vor
Überwältigung ist trotzdem
zu spüren, der gebrannte Ton
hält sie so dauerhaft fest
wie die kleine Bronzefigur,
keine dreißig Zentimeter hoch.
Vielen Dank Aristide
für diesen scheuen Moment,
die Abwehr des gewaltigen
Gottes in seiner bekannten
Verkleidung als brünstiger Schwan,
dieser gemeinen Täuschung.
Peter Engel lebt und arbeitet in Hamburg. Er veröffentlichte Lyrik, u. a. in ›Rückwärts voraus‹ und ›Wolkisch lernen‹, und gibt seit 2014 gemeinsam mit Günther Emig die Zeitschrift für Kurzprosa ›Hammer + Veilchen‹ heraus.