Feindliche fremde Heimat

Comic | Hector Germán Oesterheld / Francisco Solando López: Eternauta

Erstmals in den Jahren 1957 bis 1959 erschienen, ist der argentinische Fortsetzungscomic ›Eternauta‹ von Hector Germán Oesterheld und Francisco Solando López eng an das spätere Schicksal seines Autors geknüpft: Oesterheld fiel der argentinischen Militärdiktatur zum Opfer. Die deutsche Erstveröffentlichung im Avant-Verlag würdigt das Werk mit einer opulenten Aufmachung. Es ist auch abseits seiner unfreiwilligen Metaebene ein starkes Stück. Von CHRISTIAN NEUBERT

Cover-Oesterheld-EternautaBuenos Aires 1959: Vor den Augen eines Autoren manifestiert sich eine geisterhafte Erscheinung. Schnell nimmt sie die Züge eines realen Menschen an und stellt sich dem erschrockenen Autor unter einem Namen vor, dem ein künftiger Philosoph ihr eines Tages geben wird und der sich mit »ewiger Reisender« übersetzen lässt: ›Eternauta‹. Dann beginnt sie, ihre Geschichte zu erzählen.

Der Autor bekommt die Geschichte einer umfassenden Alien-Invasion zu hören. Sie beginnt damit, dass in Buenos Aires Schnee fällt. Das ist nicht außer-, wohl aber ungewöhnlich. In diesem Fall ist es zudem undenkbar: Die niedergehenden Flocken bringen den Tod. Unmittelbar und allumfassend. Egal, ob Mensch oder Tier: Man stirbt bei bloßem Kontakt. Der Eternauta erlebt die Katastrophe selbst. Er ist hier noch ein einfacher Familienvater. Er, seine Familie und einige zufällig anwesende Freunde erleben sie in der Sicherheit ihres Hauses, als sie durch das verschlossene Fenster blicken.

Das Grauen vor der Haustür

Schnell dichten sie sämtliche mögliche Gefahrenquellen ihres Hauses ab: Lüftungsschächte, Türschlitze, undichte Fenster. Nachdem sie den Schock ein wenig verarbeiten konnten, fassen sie den Mut, das Haus in selbst gefertigten Schutzanzügen zu verlassen. Eine Wahl haben sie nicht: Es will nicht aufhören zu schneien, das Radio scheint von einem Störsender außer Gefecht gesetzt zu sein und die Lebensmittel im Haus sind bald aufgebraucht. Sie ahnen, dass sie nicht die einzigen Überlebenden sind. Und auch, dass andere, die wie sie das Glück hatten, nicht sofort zu sterben, eventuell feindlich gestimmt sein könnten. Immerhin ist sich jeder innerhalb des ungeahnten Katastrophenszenarios selbst der Nächste. Zumal keiner absehen kann, wie lange der unbekannte Tod noch herabrieselt. Oder ob er jemals damit aufhört.

Innerhalb des Mammutwerks ist der mysteriöse Schneefall erst der Anfang. Es folgt eine rund 350-seitige Odyssee, die die kleine Heldengruppe verlust- und höhepunktreich immer näher an die echten oder auch nur vermeintlichen Invasoren bringt. Dabei vollzieht die Story trickreiche und fantasievolle Wendungen. Eindringlicher Horror weicht Science Fiction und diese wiederum einem Kriegsszenario, nur um wieder in blankes Entsetzen umzuschlagen. Atempausen werden einem dabei nicht vergönnt, ›Eternauta‹ kennt keine Durststrecken. Gewisse inszenatorische Redundanzen wie das kanonhafte Wiederholen wichtiger Handlungsdetails sind dabei der ursprünglichen Erscheinungsweise geschuldet. So ist das nun mal, wenn man einen auf Jahre angelegten Fortsetzungscomic als gewaltiges Gesamtwerk verschlingt: ›Eternauta‹ entstand in den Jahren 1957 bis 1959. Autor Hector German Oesterheld und Zeichner Francisco Solando López brachten seine einzelnen Seiten zunächst in dem argentinischen Magazin ›Hora Zero‹ heraus.

Eine unfreiwillige Metaebene

An den Comic ist eine bedeutsame Tragik geknüpft: In gewisser Weise liest er sich als Vorbote der Gräuel der argentinischen Militärdiktatur der späten Siebziger. Hector German Oesterheld schloss sich seinerzeit der Widerstandsbewegung an. Er folgte damit, das kann man so sehen, ein Stück weit dem Befreiungskampf seiner Comicfigur, umso mehr allerdings dem Beispiel seiner vier Töchter. Mit hoher Wahrscheinlichkeit fanden er und sie einen gewaltsamen Tod. Sie gehören zu den zahllosen Desaparecidos , über deren Verbleib nichts bekannt ist. Oesterhelds Schicksal lies die Figur des »Eternauta« zum Inbegriff des Befreiungskampfes werden – und das nicht alleine in Argentinien, sondern überhaupt im südamerikanischen Raum.

Die dramatische und tragische Geschichte hinter ›Eternauta‹ ist unleugbar. Sie macht den Comic heute umso bedeutsamer. Die deutsche Erstausgabe vom Avant-Verlag belegt dies mit seinem umfangreichen Bonusmaterial sehr eindringlich. Doch auch abseits der Lesart von ›Eternauta‹ als prophetische Parabel besteht der Band als starke Comicerzählung. Als epische, dicht gewobene Science Fiction-Erzählung. Auch, wenn man ihr einige Mängel attestieren muss. So bedient z.B. die klischeebeladene Figurenzeichnung bei den sträflich wenigen weiblichen Charakteren eine sauer aufstoßende Macho-Haltung. Es gibt den exaltierten Wissenschaftler, den zupackenden Arbeiter, den besonnenen Professor. Männer füllen immerhin Stereotype aus, während Frauen lediglich die Funktionen von Frauen erfüllen. Dieser Missstand ist jedoch sicher der ursprünglichen Veröffentlichungsweise des Comics geschuldet, zumindest ein Stück weit: In einseitigen Episoden, die eine komplexe Handlung bilden sollen, ist es schwer, vielschichtige Personen zu entwickeln.

Die an den starren Veröffentlichungsmodus geknüpften Herausforderungen schlagen sich natürlich auch auf der grafischen Seite nieder. López meistert sie bravourös. Obwohl die Zeit von ihm Zurückhaltung und Reduktion forderte, bringt er in seinen schwarz-weiß kontrastierten, klar umrissenen Zeichnungen viel Dynamik rüber. Das Gesetz der Serie, dem er Seite für Seite ausgesetzt war, hat die zeichnerische Eleganz des Comics nie ins Hintertreffen geraten lassen. So ist sein Verdienst an der politischen Wirkkraft des Werks kaum zu überschätzen: Der »Eternauta« ist eine viel zitierte Ikone des Widerstands, um die man in Argentinien heute schwer herumkommt. Es ist gut und wichtig, dass sie hilft, Oesterhelds Andenken zu wahren. Ihre äußere Gestalt wurde jedoch von López geprägt.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Hector Germán Oesterheld / Francisco Solano López: Eternauta
Aus dem argentinischen Spanisch von Claudia Wente
Berlin: Avant-Verlag 2016
392 Seiten. 39,95 Euro
Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Anna Kemper im Zeit Magazin über Hector Germán Oesterheld
(Der Artikel erscheint im Bonusmaterial des Comics in gekürzter Form)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Last Spaceman standing

Nächster Artikel

»Sex, drugs and Rock ‚n‘ Roll« oder: »The times they are a-changin‘«

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Mein Vater, das unbekannte Wesen

Comic | Nina Bunjevac (Text und Zeichnungen): Vaterland Der Mann auf dem Titelbild ist der Vater der Comiczeichnerin Nina Bunjevac. Er starb, als die Künstlerin fünf Jahre alt war durch die Fehlzündung einer selbst gebastelten Bombe. So wie sie auf dem Titelbild das Foto ihres Vaters rekonstruiert, rekonstruiert sie in ›Vaterland‹ seine Geschichte: präzise, aufwendig und mit tiefer Schwermut. BORIS KUNZ über eine düstere Familiensaga.

»Make comics only you can make!«

Comic | ICSE 2016 Spezial: Interview mit Ivan Brandon und Nic Klein Ivan Brandon und Nic Klein, das Kreativ-Team des Sci-Fi Westerns ›Drifter‹, hat auf dem Comicsalon ein neues Album vorgestellt: Die deutsche Erstveröffentlichung ihres früheren Werkes ›Viking‹. Bereits das knallgelbe, poppige Cover lässt ahnen, dass dieser Comic mit den Erwartungen bricht, die sein Titel evoziert. Und wie BORIS KUNZ im Gespräch mit dem amerikanischen Autor und dem deutschen Zeichner herausfand, ist das auch genau das, was die Jungs wollten.

Comics lesen im Messezelt

Comic | Comic Salon Erlangen 2018 – Vorschau Das wichtigste Comicfestival im deutschsprachigen Raum, der Internationale Comic Salon in Erlangen, steht an. Er findet am verlängerten Wochenende nach Fronleichnam statt. ANDREAS ALT blickt voraus auf Highlights des Programms und wichtige Änderungen gegenüber den Vorjahren.

Der lange Atem des Todes

Comic | Terry Moore (Text und Zeichnungen): Rachel Rising – Tochter des Todes »Bei Morgengrauen erwacht Rachel im Wald. Mühsam schleppt sie sich nach Haus. Erst allmählich merkt sie an den Reaktionen ihrer Umwelt, dass mir ihr etwas nicht stimmt. Sie ist tot.« Mit dieser Prämisse beginnt ›Rachel Rising‹, die neue Serie des ›Strangers in Paradise‹-Schöpfers Terry Moore. BORIS KUNZ wollte sich nicht entgehen lassen, von Anfang an dabei zu sein.

Von mütterlicher Kindlichkeit

Comic | Anna Sommer: Das Unbekannte Bislang war die Schweizer Comiczeichnerin Anna Sommer vor allem für ihre Graphic Novels für Kinder bekannt. Doch auch Erwachsene können bei ihrer Suche nach dem Glück kindisch und naiv sein. Von einigen solchen Menschen handelt Sommers neues Album ›Das Unbekannte‹, das zur ›Séléction Officielle 2018 Festival International de la bande dessinée Angoulême‹ gehörte. PHILIP J. DINGELDEY hat sich den durchwachsenen Grapic Novel angesehen.