Jugendbuch | Nils Mohl: Zeit für Astronauten
Wie die eigene Zukunft aussehen wird, diese Frage stellt sich jeder junge Mensch. Ab den späteren Teenagerjahren gewinnt die Antwort darauf beträchtlich an Gewicht. Zugleich sind die Träume ins Überdimensionale gewachsen. Die Weite ist ungeheuerlich, die Möglichkeiten berauschend. Nils Mohl setzt im letzten Band der Stadtrand-Trilogie seine Heldinnen und Helden unerbittlich der Schwerelosigkeit wie der Schwerkraft aus. Von MAGALI HEISSLER
Körts, nicht ganz sechzehn, plagen vor allem zwei Probleme. Das eine ist, dass es immer wieder und immer noch Leute gibt, die ihn mit seinem Vornamen Kevin ansprechen. Das andere, weit größere, dass es ihm immer noch nicht gelungen ist, Domino zu erobern. Domino ist die unangefochtene Frau seiner Träume, er ist jedoch keineswegs der Mann ihrer. Im Gegenteil: Würde Domino von Körts träumen, wären das Albträume. Das liegt nicht nur am Altersunterschied, Domino ist immerhin zwanzig.
Die beiden leben, so könnte man sagen, auf unterschiedlichen Planeten. Allerdings, und das sagt Körts, ist Raumfahrt ganz einfach. So handelt er. Sein Ziel: Auf dem Planeten Domino landen, am besten für immer und ewig. Ein fremder Planet jedoch ist ein gefährlicher Ort. Blutzoll steht bei Landung auf der Rechnung. Commander Körts wird zur Kasse gebeten.
Domino hat ihr Leben im Griff und das soll so bleiben. So handelt sie. Raumfahrt ist ihr völlig egal. Dass sie bereits den Boden unter den Füßen verloren hat, will sie nicht akzeptieren. Daher macht sie sich auf, Unerledigtes zu erledigen, Ordnung muss schließlich sein. Wie eng Ordnung und Chaos zusammenhängen, wird ihr erst spät klar. Spät kann beim Flug durchs All leicht zu spät sein. Die Luft wird tatsächlich knapp, nicht für Domino, sondern auch für Körts und all die anderen, die sich unvermutet an Bord befinden.
In der Zukunft kommt man nie an
Es geht um die Zukunft in dieser Geschichte, in jeder Hinsicht. Sogar um die, die schon vorbei ist. Mohls Figuren arbeiten daran und sie arbeiten sich auch daran ab. Vor den Jungen liegt sie, die Alten müssen sich allmählich damit abfinden, dass sie keine mehr haben. Mohl wäre aber nicht Mohl, schriebe er nicht gleich jede Menge Fragezeichen dazu. Manche Fragezeichen erkennt man gleich, andere bleiben versteckt. Die Leserin ist aufgerufen zu misstrauen, allen, die auftreten, aber auch sich selbst. Die eigenen Wahrnehmungen und Überzeugungen stehen ganz sicher gleichfalls auf dem Prüfstand beim Lesen.
Das geschilderte Leben ist zunächst alltäglich, normal, wäre da nicht das Gefühl, dass etwas Großes wartet, gleich an der nächsten Ecke, etwas Neues, das es zu erobern gibt. Das Lebensgefühl junger Menschen herrscht, das der Autor unmittelbar kreiert. Das so vollendet zu erreichen, ist inzwischen nicht nur Charakteristikum von Mohls Geschichten, sondern Zeichen ihrer besonderen Qualität, ihrer Eigenheit in Stil und Ton.
Jeder Satz sitzt, beobachtet wird scharf. Viele Details werden überliefert, böse, schön, in beiden Fällen gnadenlos und herzzerreißend. Die Frage nach der Zukunft wird ebenso hart gestellt. Die Reaktionen der Figuren wirken immer echt. Sie weichen aus, ergeben sich, manchmal nur scheinbar. Träumen, flüchten, sind fest entschlossen zu gestalten. Mohl spielt Szenarien durch, aus einer bestimmten Situation folgen andere mit erschütternder Logik. Man erschrickt beim Lesen. Ist die Zukunft derart vorherbestimmt? Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?
Hoffnung, was sonst?
Distanz zwischen Leserin und handelnden Personen kommt nicht auf. Träten Körts, Bozorg, Jackie oder auch Christos ins Zimmer, man würde einfach grüßend nicken und fragen: Was geht? Und ebenso wenig wie einst die kleine Alice würde man sich wundern, hoppelte eins der weißen(!) Kaninchen(!) durch das eigene Zimmer. Gleich, ob Griechenlands sonnige Küste oder der Platz zwischen Hochhäusern, man ist beim Lesen vor Ort.
Das Lebensgefühl ist überwältigend geschildert, die Welt ist wahrhaftig ein seltsamer Ort. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner Aliens.
Mohls Sprache kein Jargon, sondern diesem nur angepasst. Dass einer das so echt vorkommt, liegt daran, dass Mohl den Sprechrhythmus recht genau wiedergibt. Obwohl das Geschehen so bildhaft erzählt wird, dass man einen Film zu sehen vermeint und auch mit dem Thema Film freudig gespielt wird, ist es die Sprache, auf die Mohl baut. Sie ist Gerüst, Backstein, Mörtel. Sprache schafft die Bilder, es ist ein Buch zum Zuhören, Lauschen, während man liest. Der Soundtrack am Ende wäre nicht nötig, macht aber Fans solcher Listen sicher Spaß.
Wie die beiden Vorgängerbände hat auch dieser dritte ein zugrunde liegendes Thema. Nach Liebe und Glaube sind wir bei der Hoffnung angelangt. Wie in den ersten Bänden spielt Mohl sein Spiel so überzeugend, dass die Leserin umgehend mit hineingezogen wird in die Kämpfe seiner Figuren. Das bedeutet hier, dass einer beim Lesen aufgeht, was für eine wesentliche Rolle Hoffnung im menschlichen Leben überhaupt spielt. Die eigene Nasenspitze ist nie sehr weit entfernt, man bekommt rasch das Gefühl, Teilnehmerin im Szenario zu sein. Wieder inszeniert Mohl sein Stück als Film, man spult vorwärts und zurück, legt Pausen ein.
Die sind zum Durchatmen nötig. Die Probleme, die Domino und Körts, aber auch die anderen Figuren zu bewältigen haben, möchte man nicht geschenkt. Trotzdem sind sie ganz alltäglich. Das Grundproblem ist das aller Menschen: Handeln wollen, gestalten und doch immer an eng gezogene Grenzen stoßen. Wie man damit umgeht, müssen die jungen Menschen erfahren. Für den Moment lernen sie es auch. Doch ob das beim nächsten Mal hilft, kann niemand sagen. Deshalb endet diese Geschichte mit allen Möglichkeiten, so, wie sie angefangen hat. Alles hat sich geändert, doch was wird daraus? Weiß man nicht. Man kann nur hoffen. Und das tun auch alle.
Großartiger Abschluss der Liebe-Glaube-Hoffnung-Trilogie. Selbstverständlich kann das Buch erobert werden, ohne die Vorgängerbände zu kennen.
Titelangaben
Nils Mohl: Zeit für Astronauten
Hamburg: Rowohlt Rotfuchs 2015
432 Seiten. 14,99 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Titelangaben