/

Thekengespräche

Titel-Textfeld | Harald Rutzen: Theken-Gespräche

Erreicht hat Günther Tillmann, 46, alles, was er in seinem Leben erreichen wollte: Bausparvertrag, heiraten, eine Familie gründen, um diese dann mit großer Geste wieder aufzulösen (das gehört zusammen) und ein Haus zu bauen und dieses dann verlottern zu lassen. Alles ist vergänglich.

Harald Rutzen Es gibt immer wieder LeuteImmer! Um den Rest hat er sich nicht gekümmert, um Mickey Mouse und Ronald Reagan, um Umweltschutz und Atombomben. Was soll das auch. Zum Beispiel der genervte, nölige Blick des heillosen Gesocks von heute. Die keine Werte mehr haben, aber auch nicht wissen, was sie wirklich wollen. Wofür soll das gut sein? So was hat er nicht. Kennt er nicht. Nie gehabt. Er hat sein Ding durchgezogen! Auch im Berufsleben. Auch da ist es immer bestens gelaufen.

Erst im Landeskrankenhaus, geschlossene Abteilung. Dann in der Justizvollzugsanstalt. Dahin wird das gelaufen, was nicht laufen will, um weggeschlossen zu werden. Von ihm! Der Beruf des Schließers ist etwas Handfestes. Eine Aufgabe, die darin besteht, alles fein säuberlich dahin zu stecken, wo es hingehört. Und so wird Günther Tillmann bald in einer Holzkiste landen, wenn er weiterhin nach Feierabend so viel säuft, hat ihm sein Hausarzt angedroht. Soll er, solange die Kiste ordentlich zugemacht wird. Auch da weiß er ganz genau, wo er hingehört. Schließlich hat er Ziele im Leben. Wie sich das gehört.

Kollege Jensen, neben ihm, kippt dabei vor Lachen vom Barhocker. Nachdem das Gelächter auf die Umstehenden übergegangen ist, brüllt Tillmann zum Wirt: »Jetze aber, Erwin, jib ma nochma ne Runde Molle mit Korn. Prost!«

Harald Rutzen veröffentlichte diesen und ähnliche kurze Texte im Laputa Verlag, Berlin.

Titelangaben
Harald Rutzen: Es gibt immer mal wieder Leute …
Berlin: Laputa Verlag 2014
109 Seiten, Preis: 7,00 Euro
Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Impressionen

Nächster Artikel

Carpe diem

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Nach oben

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Nach oben

Die Stufen waren schmal für Schuhgröße 45, eine andere Kultur, die Menschen müssen klein gewesen sein, der Aufstieg war mühsam, Tilman war nicht schwindelfrei.

Schwermut

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Schwermut

Die Worte wechseln, doch real ändere sich null, ob nun Trübsinn, ob Weltschmerz, ob Melancholie.

Seit mehreren Jahrzehnten behaupte sich Depression, gelegentlich auch burn out, doch burn out, so werde erklärt, sei graduell anders gewichtet, und letztlich wisse niemand Bescheid, unter welchem Namen auch immer.

Auf den einzelnen Fall komme es an, laute eine Standardfloskel, die Beziehung zwischen Arzt und Patient müsse stimmen, manch einer suche jahrelang nach einem passenden Psychiater und Therapeuten, und eine einheitliche Symptomreihe, die lediglich abzuhaken wäre, die gäbe es nicht.

Wenn die Mitte im Osten liegt

Kurzprosa | Peter Schneider: An der Schönheit kann’s nicht liegen Ein neuer Essayband über Berlin von Peter Schneider ist erschienen. Gelesen von Peter Mohr

Leben und Mythos

Kurzprosa | Kenzaburô Ôe: Licht scheint auf mein Dach »Ich muss zugeben, dass wir manchmal, besonders ich, die Wut über unseren behinderten Sohn nicht unterdrücken konnten«, heißt es im schonungslos offenen, autobiografischen Band ›Das Licht scheint auf mein Dach‹ (2014) aus der Feder des Literatur-Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe. Er beschreibt darin, wie die Geburt seines Sohnes Hikari sein Leben veränderte, wie er gemeinsam mit seiner Frau vor der schwierigen Frage stand, einer komplizierten Kopfoperation zuzustimmen. Heute ist Hikari Oe über 50 Jahre alt und in Japan ein angesehener Komponist klassischer Musik. Zum 80. Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe am 31. Januar

Blindlings

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Blindlings

Wir leben über unsere Verhältnisse, sagte Tilman und griff zu einem Marmorkeks, er hatte Marmorkekse eingekauft anstelle der Vanillekipferl, die im Geschmack nachgelassen hatten, seitdem die Preise für Vanille so massiv angezogen hatten, wir erwähnten das kürzlich und werden uns damit jetzt nicht weiter aufhalten.

Farb nickte, tat sich eine Pflaumenschnitte auf, nahm einen Löffel Schlagsahne dazu und strich sie langsam und sorgfältig glatt.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin. Ob sie eine vierte Person einladen sollten, überlegte sie, zu viert könnten sie Doppelkopf spielen, aber wen, vielleicht den Wette, oder Ramses ließe sich wieder einmal sehen, ja, Ramses II., er halte sich gelegentlich hier auf, aber spiele er Doppelkopf, nein, sagte sie, die Pearl S. Buck habe sie beiseite gelegt, wie peinlich, sie habe einen zweiten Roman von ihr gelesen und könne sie niemandem empfehlen.

Die Dinge fügten sich nicht mehr zusammen, sagte Tilman.

Ob sie das je hätten, fragte sich Farb.