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Endlich

Ein Planet könne nicht wachsen, sagte Farb, Wachstum, was für ein absurder Gedanke, die Fläche sei begrenzt.

Wo liege das Problem, sagte Belten.

Der Mensch sei das Problem, sagte Farb.

Der Schachspieler nickte.

Sergej und Maurice spielten Backgammon, sie tauschten Scheine, offenbar waren hohe Summen im Spiel, früher Nachmittag, die Hitze hatte leicht nachgelassen.

Der Mensch sei expansiv veranlagt, erklärte Farb, das Zeitalter der Entdecker und Eroberer dauerte nur, bis der Planet vollständig entdeckt und erobert war.

Das sei vorbei, fragte Belten.

Das sei vorbei, sagte Farb, und der Mensch suche neue Räume, in die er expandieren könne.

Ein Umbruch, sagte Renner, da sei wohl Zeit, daß der Mensch sich in die Grenzen füge, die der Planet setze – wie anders stelle man sich das vor?

Der Mensch erkenne das Problem nicht, sagte Farb, er denke nicht darüber nach, er suche andere Wege, sich auszubreiten, grenzüberschreitend im World Wide Web, sagte Farb, setze immense Hoffnungen auf eine künstliche Intelligenz und propagiere das Anthropozän als ein neues Zeitalter. Im Ernst, sagte Farb, wohin solle das führen.

Er lasse sich nicht aufhalten, sagte Renner, solange ihm niemand Einhalt gebiete. Renner stand auf, stellte sich unter die Dusche und ging zum Salzmeer. Wie die anderen auch hielt er sich hier aus gesundheitlichen Gründen auf, drei Wochen waren das Minimum, selten blieb jemand sechs Wochen, der Aufenthalt bei diesen Temperaturen war strapaziös. Neurodermitis oder Psoriasis, bei den weitaus meisten war es die Haut, und nach vier Wochen hatten sich die Herde zurückgebildet. Dieser Zustand der Haut hielt nach dem Aufenthalt noch zwei bis drei Monate an.

Renner schwamm auf dem Salzmeer, auf einer öligen Flüssigkeit, hochgradig mineralienhaltig, und er mußte achtgeben, daß er keine Spritzer in Mund oder Augen bekam, man gewöhnte sich daran, er war nicht zum erstenmal hier.

So sollte es sein, der Planet war ein gastfreundlicher Ort, davon war Renner überzeugt, und hielt alles verfügbar, er kam den Schwächen des Menschen entgegen und linderte Krankheit und Schmerzen. Einige Kilometer nördlich von En Bokek, wenige Kilometer vor En Gedi, entsprangen hochprozentig schwefelhaltige Quellen, eine Zuflucht für Rheumatiker, der Mensch fand einfach keine Wege, angemessen mit den Hilfen des Planeten umzugehen, wie überhaupt er unfähig war, sich auf dem Planeten häuslich einzurichten, denn anstatt sich der Natur und ihren Kräften anzuvertrauen, trat er ihr aggressiv entgegen und schwang sich zum Herrscher auf.

Höchst entspannt lag Renner auf dem Salzmeer, man sollte nicht länger als fünfzehn Minuten auf dem Meer bleiben und drei bis vier Bäder am Tag nehmen.

Kein Lüftchen regte sich, keine Wolke stand am Himmel, er blickte über das Meer nach Osten auf die Hänge Jordaniens, diesseits nach Westen auf die Hänge der Negev und fühlte sich wohl in dieser Senke einige hundert Meter unter Normalnull des Meeresspiegels, das Leben ist zu kurz für schlechte Laune. Das Lager war durch eine Sichtschutzplane abgegrenzt, ein Tag verging wie der andere, genaugenommen ereignete sich nichts, außer daß Leute abreisten und andere neu hinzukamen.

| WOLF SENFF

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