Diesen Monat geht es um Synthesen in der Musik oder: »Man muss das Rad nicht immer neu erfinden«. Dieser platte Spruch wird der Arbeit der Künstler*innen natürlich nicht gerecht, also anhand zweier Beispiele. Ich möchte unbedingt auf meine große Neuentdeckung aus dem Mai aufmerksam machen: Interstellar Funk hat die Compilation Artificial Dancers – Waves of Synth veröffentlicht, auf der 80er Wave und Synth Raritäten aus den letzten vierzig Jahren grandios koexistieren. Der DJ zeigt, dass feinfühlig zu kuratieren Kunst ist und schafft. Dann werfen wir noch einen kleinen Ausblick auf die neue EP der Collective Cuts unter Cinthies Label 308 Crystal Grooves Collective Cuts: « Pages » Epilogue von S3A und Sampling als Kunst. Von LOUISE RINGEL.
Ungefähr zwei Minuten hat es gedauert, bis ich verliebt war. Die Compilation Artificial Dancers – Waves of Synth, kuratiert vom niederländischen Produzent und DJ Interstellar Funk, ist ein Throwback in den 80er Wave und Synth und doch kein nostalgisches »Best-of«. Elf Tracks aus den letzten vierzig Jahren, die er in hunderten Stunden Arbeit sorgsam aus Bergen alter Records und Tapes und Bandcamp Accounts ausgewählt hat. Der älteste Track ist von 1978, der jüngste aus 2018 und sie harmonieren so gut miteinander, dass kaum zu erraten ist, welcher welchem Jahr entspringt. Jeder einzelne erzählt eine Geschichte und ich möchte sie alle ganz aufgeregt erzählen und sagen: »Hört bitte alle rein! Das sind kleine Juwelen.«
Der erste ist ein moody Darkwave Track, der abgeklärt lässig in die Compilation steigt. Stranger heißt er und ist von Clan of Xymox. Dabei ist es interessanterweise die Demoversion, die noch smoother und eleganter klingt. Darauf folgt Maskindans von den wunderbar exzentrischen Norwegern Det Gylne Triangel. Ich würde es Humor in goth nennen und obwohl sehr ungewöhnlich, fügt es sich großartig zwischen Stranger und The Living Room von Zahgurim, eine kurzlebige 80er-Band, die sich 2018 wiederfand, um neues Material aufzunehmen. Um die absurde Diversität der Compilation weiter zu verdeutlichen: Dias Cortas von Liaisons Dangereuses ist eine tolle Live-Version von 1982, die es vorher nur auf VHS gab und so energisch, das mich beim Hören eine unerwartete Welle Bewegungsdrang mitgerissen hat.
Zu den unbekannteren gehört die kalifornische Band Batang Frisco, deren melodischer post-punk Track Sewing Machine mit einem ausladenden Gitarrensolo endet. Von Chris and Cosey stammt Hybrid C, ein bumpy Track mit weichen, elfenhaften Synthesizer Sounds. Im Namen Des Volkes ist ein Projekt von Matthias Schuster und steuert den Track Alles ist Gewinn bei, dessen Name alles über ihn sagt, was man wissen muss. Richard Bones Alternate Music For The Hindenberg Lounge gipfelt die Compilation. Der Track dauert fast 12 Minuten und ist in meinen Augen fast eine experimentelle, musikalische Trilogie. Zwei Mal dachte ich, der Track sei vorbei, doch dann setzt er wieder an und erzählt die Geschichte weiter.
Artificial Dancers – Waves of Synth ist wirklich »artificial«. Irgendwie unecht, irgendwie real, irgendwie alt und irgendwie futuristisch. Irgendwie »out of this world«. Bis hierhin war in der Wohnung tanzen in Ordnung, jetzt möchte ich gefälligst in einen Club. Dank geht raus an Interstellar Funk für das Veröffentlichen der richtigen Compilation zur falschen Zeit.
Cinthies Label 308 Crystal Grooves Collective Cuts, gegründet um befreundeten Künstler*innen eine Platform für ihr Material zu bieten, veröffentlicht im Juni Volume 3 der Collective Cuts, was sich als EP mit dem Titel « Pages » Epilogue präsentiert. Vier Tracks vom französischen Produzenten und DJ S3A aka Sampling As An Art, der souligen, unschwer zu erraten Sample lastigen, Elektro macht. Er war mit 92′ Anthem‘ track schon auf der Eröffnungsrelease der Collective Cuts und ist nun zurück. Mit keinem besseren Track als Ill ‚heritage, könnte die EP starten.
Kompromisslose Soul Vocals und Drum Grooves und schon hat mich S3A mit den ersten Beats abgeholt. Gefolgt von Yellow, der weniger offensiv, aber vielschichtiger ist, indem helle, glockenartige Töne auf harschen Bass treffen. Für Second Hit wurden Piano, Vocal und Old School Fragmente zu einem treibenden Track gemischt und Joint 6 fängt die EP mit warmen Soul und Jazz Elementen wieder auf. DX1 Joint führt das fort und läutet mit leise schwingendem Funk und kleinen Bounces das Ende der Platte ein. Der Künstlername, Sampling As An Art, hat mich an die Debatte »Sampling – Kunst oder unkreatives Kopieren?« erinnert und mit dieser EP beantwortet er die Frage und bestätigt seinen Namen: Ja, Sampling ist Kunst..oder kann zumindest Kunst sein.
Und damit große Vorfreude auf den Juni.
Titelangaben
Interstellar Funk: Artificial Dancers – Waves of Synth (Release: 25.05.2020)
(RUSH HOUR)
S3A: « Pages » Epilogue EP (Release: 26.06.2020)
(803 Crystal Grooves Collective Cuts)