Roman | Peter Rosei: Wien Metropolis
Die Großstadt als Schmelztiegel gibt den schillernden Hintergrund für Wien Metropolis ab. Hier entwickelt sich eine dekadente Patchwork-Gesellschaft, die sich über mehrere Jahrzehnte hinweg zwischen Habgier und Hitzköpfigkeit, zwischen Prunk und Promiskuität bewegt. Peter Rosei entwirft in seinem bereits 2005 erstveröffentlichtem Roman ein kulturelles, soziologisches und wirtschaftliches Panorama, das nicht nur für die österreichische Metropole seine Gültigkeit hat. Von INGEBORG JAISER
Im achten Wiener Bezirk teilen sich der schnittige Ex-Oberleutnant Georg Oberkofler und der zwielichtige ehemalige Unterleutnant Joseph Pandura eine Zweizimmerwohnung, eine Art Zweck-Wohngemeinschaft der frühen Nachkriegszeit. In einer schmucklosen Mietskaserne im ländlichen Klagenfurt wiederum wachsen Alfred, »ein stämmig gebauter, etwas stockiger Junge« und der blasse, verschlossene Georg als ungleiche Freunde auf, bis sie als Halbwüchsige zur Ausbildung ins ferne Wien expediert werden.
Der gewiefte Josef Leitomeritzky jedoch scheint aus dem Nichts zu kommen und handelt mit allem, egal ob es sich um »schwere Seidenvorhänge, Augarten-Porzellan oder eine Rolle Linoleum handelt«. Ein fesches Gespann gibt er mit der stattlichen Viktoria Strnad ab, die ihr Hauptgeschäft mit arisierten Liegenschaften macht – oder so ähnlich…
Strizzis und Lebemänner
Von dieser Art ist das bunt gemischte, schillernde Personal in Wien Metropolis. Hier vermengt sich ein wirres Konglomerat unterschiedlichster Landsmannschaften und Herkunftsländer, Charaktere und Persönlichkeiten, Abstammungen und Lebensläufe. Im Wien der Nachkriegszeit scheint alles möglich zu sein: hier leben aufstrebende Parvenüs neben durchtriebenen Strizzis und falschen Baronen. Die Gesellschaft formiert sich neu, unter der Vorherrschaft von Geld, Betrug und Korruption. Wer ist schon der, der er vorgibt zu sein? Steckt hinter dem Geschäftsmann Leiteromitzky ein durch Zufall überlebender, ehemaliger KZ-Häftling?
Hinter der »Tante Viktoria« die leibliche Mutter Alfreds? Hinter der feschen Frau Professor Wohlbrück eine heimliche Nutte? Wechselnde Verbindungen formieren und lösen sich, ganz im Stile eines Schnitzlerschen Reigen. Und über mehrere Dekaden erstreckt sich so eine kuriose gesellschaftliche Entwicklung von der aufstrebenden Nachkriegszeit bis in die 1990er Jahre.
Jenseits der Strudlhofstiege
Peter Rosei breitet ein weit verzweigtes Beziehungsgeflecht aus, legt es wie einen Schnittmusterbogen über den Stadtplan von Wien – und beschwört detailreich die schönbrunnergelben Gründerzeithäuser und erbsgrünen Mietskasernen der Josefstadt, des Kagran oder von Floridsdorf. Verheißungsvoll scheinen die alten literarischen Meister und Vorbilder durch: Doderer und Musil, Schnitzler und Zweig. Nicht zuletzt durch Roseis verbale Arabesken, die sich in kunstvoller Sprache um scheinbar Alltägliches ranken.
Solche Sätze muss man langsam auf der Zunge zergehen lassen: »Der alte Herr von Pandura schiebt sein Glas über die glatte, reich intarsierte Fläche des im orientalischen Stil ausgeführten, schwarz-glänzenden Tischchens mit dem bläulichen Perlmuttstich, lächelt seiner Gespielin, einem prächtigen Rotschopf, zu und schaut dann, an den im Zugluft tändelnden Stores vorbei, auf den abendlich leeren Graben hinunter.«
Anlässlich von Peter Roseis 70. Geburtstag legt der österreichische Residenz-Verlag diesen 2005 erstveröffentlichten Roman erneut auf und bringt ihn zusammen mit vier verwandten Titeln eines Zyklus im formschön gestalteten Schuber als Wiener Dateien heraus. In retrogradem Charme und anachronistischem Kontrast. Auch wenn Rosei Exkurse ins verlotterte Berliner Studentenleben der 1970er Jahre, ins vage Sympathisantentum mit der RAF skizziert, bleibt Wien Metropolis am authentischsten, wenn es sich auf österreichischem Boden bewegt, mit all den herrlichen Austriazismen und versteckten Anspielungen.
Titelangaben
Peter Rosei: Wien Metropolis
Salzburg: Residenz Verlag 2016
279 Seiten. 21,90 Euro
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