Kurzprosa | Menschen| Lee Lockwood: Castros Kuba. Ein Amerikaner in Kuba und Michael Zeuske: Kleine Geschichte Kubas
Der erstmals in Deutschland veröffentlichte dokumentarische Bildband Castros Kuba gibt einen Einblick in die Ziele der Revolution und zeigt Fidel Castro als einen feinsinnigen und demagogisch begnadeten Politiker. Von BETTINA GUTIERREZ
Im Dezember 2014 gaben die Präsidenten Kubas und der USA, Raúl Castro und Barack Obama, die Entspannung der politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern bekannt. Das bedeutete, dass nun, nach fünfzig Jahren, wieder bilaterale Kontakte und Handelsbeziehungen aufgenommen werden konnten. Dieses Abkommen wirkte sich auch auf die politischen Häftlinge aus, von denen Anfang 2015 zumindest einige entlassen wurden.
Viel ist über Fidel Castros Revolution und das Verhältnis zwischen den USA und Kuba geschrieben und gemutmaßt worden. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade ein Amerikaner schon im Jahr 1967 mit einem Buch, das zunächst in seinem Heimatland publiziert wurde, zum Verständnis der Person Castros und einem kubanisch-amerikanischen »Tauwetter« beigetragen hat. Als prächtiger Bildband mit dem Titel Castros Kuba ist dieses Zeitdokument jetzt auch einem deutschen Lesepublikum zugänglich.
Hier schildert der amerikanische Fotoreporter Lee Lockwood die Eindrücke seiner Kubareisen in den Jahren 1958, 1960 und 1965 und lässt den Leser an einem siebentägigen Interview, das er mit Fidel Castro in seinem südlich von Havanna gelegenen Feriendomizil auf der Isla de Pinos geführt hat, teilhaben. So berichtet er von den Reisen durch das Landesinnere, den Begegnungen mit Revolutionären und Raúl Castro und der Aufbruchstimmung, die damals in diesem Land herrschte. Und von den so genannten »Auftritten« des Revolutionsführers in der entlegenen Gegend Oriente, wo er sich mit vier- bis fünfstündigen Reden an die Landbevölkerung richtete.
In einem Interview, das er 1965 mit dem Máximo Líder führte, lässt er ihn unter anderem zu Themen wie der Landwirtschaft, Innenpolitik und Kultur zu Wort kommen. »Sein Verstand ist überaus präzise und geordnet. Was er sagt ist nur selten belanglos und banal« urteilt Lockwood. Wie Recht er hat. Der Leser erfährt in detaillierten, sorgfältig formulierten Ausführungen, dass die Grundlagen des neuen Kubas vor allem die Landwirtschaft, Bildung und Kultur sind und dass sich die Modernisierung des Landes auf eine allumfassende Technisierung und die Verbesserung des Gesundheits- und Sozialwesens für die Bevölkerung stützt.
Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei der Bildung und Kultur. Daher wurden im Rahmen verschiedener Maßnahmen die Ausbildung von Lehrern und die Alphabetisierung der Bauern in Gang gesetzt. Außerdem wurden für die Bevölkerung Schulen und für die kubanische Jugend Studienplätze eingerichtet. Die Künstler, das heißt die Maler, Bildhauer, Filmregisseure und Balletttänzer hatten große künstlerische Freiheiten und wurden bei ihrer Arbeit von der Regierung unterstützt. Wobei sich die Malerei am freiesten entfaltete, mit neuen Techniken und Stilen experimentierte und deshalb zur »lebendigsten aller kubanischen Künste« zählte.
Nur die Literatur war hiervon ausgenommen und unterlag, ähnlich wie der Journalismus und die Wissenschaften, gewissen ideologischen Einschränkungen und der Zensur. Im Gegenzug hierzu wurden jedoch ausländische Schriftsteller wie Marcel Proust, Franz Kafka, Truman Capote und Alain Robbe-Grillet übersetzt, veröffentlicht und gelesen. Das Ausmaß der Förderung der Kultur verdankt sich nicht zuletzt Fidel Castros ideologischer Grundeinstellung, die er mit folgenden Worten zusammenfasst: »Alle kulturellen Erscheinungen sollen dem Menschen dienen, um in ihm absolute positive Gefühle zu entwickeln. Kunst ist in meinen Augen kein Selbstzweck. Das Ziel der Kunst ist der Mensch, ist es ihn glücklicher und besser zu machen.«
Natürlich werden in diesem Gespräch auch die Menschenrechte und das Verhältnis zu den USA angesprochen; zu Letzterem erfährt der Leser allerdings nichts Neues und die Darstellung der Situation der politischen Gefangenen wirkt eher abstrakt und allgemeingültig.
Aufschlussreicher sind hingegen seine Erläuterungen über den Bürger der Zukunft, der durch das revolutionäre Regime geformt werden soll: »Es sind hinreichend kultivierte und gebildete Menschen, die in der Lage sind, sich über alles ein korrektes Urteil zu bilden und keine Angst haben, mit Ideen in Kontakt zu geraten, die sie verwirren oder in eine andere Richtung lenken können.« Tatsächlich hat die kubanische Gesamtbevölkerung im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern ein hohes Bildungsniveau. Ob sie aber über eine im weitesten Sinne des Wortes aufgefasste geistige Freiheit verfügt, sei dahingestellt.
In seiner überaus lesenswerten Kleinen Geschichte Kubas befasst sich der ausgewiesene Kubakenner und Historiker Michael Zeuske mit den Auswirkungen der Revolution auf die gegenwärtige kubanische Gesellschaft. Aus heutiger Perspektive betrachtet ist das Land für ihn ein sozialer Wohlfahrtsstaat, der sich unter schwierigsten Bedingungen bewährt und ein exzellentes Gesundheits- und Bildungswesen aufgebaut habe.
Castro, so fährt er fort, habe auf der Insel eine Gesellschaft der Gleichheit mit sicheren sozialen Verhältnissen und guter Bildung für alle geschaffen. Den Kubanern attestiert er einen ausgesprochenen Hang zur nationalen Unabhängigkeit und kulturellen Eigenständigkeit, die er mit einem Zitat des kubanischen Anthropologen Fernando Ortíz verdeutlicht: »In Kuba, mehr als bei anderen Völkern, bedeutet die Verteidigung der Kultur die Rettung der Freiheit.«
Es ist eine Errungenschaft, so Zeuske, die auch heute noch Gültigkeit besitzt. Und die, bedenkt man Castros Worte, also als sein Erbe angesehen werden kann und belegt, dass die Revolution in dieser Hinsicht ihr Ziel erreicht hat.
Titelangaben
Lee Lockwood: Castros Kuba. Ein Amerikaner in Kuba
Reportagen aus den Jahren 1959-1969
Köln: Verlag Benedikt Taschen 2016
368 Seiten, 49,99 Euro
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Michael Zeuske: Kleine Geschichte Kubas
München: Beck Verlag 2016
262 Seiten, 14,95 Euro
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