/

Überladen heiter

Bühne | ›Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand‹ im Karlsruher Sandkorntheater

»Spektakulär, unerwartet, komisch und vielfältig – mit einem Ende, das nicht nur die im Stück inbegriffene Staatsanwältin Amanda, die das Ergebnis kurz und prägnant anhand einer Pressekonferenz vor den Journalisten präsentieren möchte, verwirrt!« So ließe sich die momentan aktuelle, entsprechende Inszenierung des Millionensellers ›Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand‹ nach dem Roman von Jonas Jonasson im Karlsruher Sandkorntheater kurz zusammenfassen. Von JENNIFER WARZECHA

Insgesamt erheiternd. Einziges Manko bei der Inszenierung in der Bühnenfassung von Axel Schneider, unter der Mitarbeit von Sonja Valentin und der Regie von Victor Carcu ist – genau wie in dem 2013 erschienenen Roman – Folgendes: Sowohl die Erzählstränge im Roman, als auch die Vielfalt der auf der Bühne dargestellten Szenen mit vielen komisch dargestellten Personen der Zeitgeschichte wie dem spanischen General und Diktator Francisco Franco (1892-1975), dem amerikanischen theoretischen Physiker deutscher Abstammung, Julius Robert Oppenheimer (1904-1967), dem US-amerikanischen Politiker Harry S. Truman (1884-1972) und anderen sorgt teilweise für eine Reizüberflutung und unklar formulierte Botschaften an Leser und Zuschauer.

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwandObgleich es sich stets schwierig gestaltet, sowohl die Aussageabsicht des Autors, als auch die des Regisseurs im Bühnenstück feststellen zu können, bleiben auf das betreffende Stück hin trotz des großen Erfolgs die Fragen offen: Was genau soll mit dem Stück erreicht werden? Soll es nur erheiternd wirken? Soll es die Erlebnisse des betreffenden Protagonisten und Hundertjährigen, Allan Karlsson, darstellen? Fürwahr, für ein Porträt der Zeitgeschichte, zusammen mit den Szenerien eines Kriminalromans, bietet das Stück insgesamt reichlich Stoff an – sorgt aber dementsprechend für eine Unübersichtlichkeit, was die Stoffmenge anbetrifft.

Allan (lustig und einfallsreich, wenngleich auch nicht altersgemäß erscheinend, stets mit langem Haar und einer als Mütze aufgesetzten Fußball erscheinend: Christian Theil) bricht an seinem hundertsten Geburtstag aus dem Altersheim aus und begibt sich auf Abenteuerreise. Ausgangspunkt ist der Augenblick, als er nicht nur ausbüxt, sondern sich auf den Weg zum Busbahnhof macht, mitten in der schwedischen Provinz, die das Tor zur weiten Welt darstellt. Genau hier soll er auf den Koffer eines wenig sympathischen jungen Mannes mit – sage und schreibe – 50 Millionen Kronen aus Drogengeschäften aufpassen und steigt kurzerhand mit dem fremden Gepäck in einen Bus, der nach »Byringe Bahnhof« fährt. Eben diese Geldsumme ist ausschlaggebender Grund dafür, dass sich im Stück alles rund herum darum dreht.

Immer wieder ertönen die Klänge des Beatles-Songs ›Yellow Submarine‹ zwischen den einzelnen Szenen. Gunilla, die »Schöne Frau«, Krankenschwester und Physikerin (dominant und überzeugend, überwiegend mit roter, untermalender Perücke: Katharina Roczyn) macht im blau-grün-schattierend anliegenden Mini-Kleid die Männer verrückt. Zeitgeschichte, Kriminalfall und Lebensgeschichte des hundert Jahre alten Allan schließen sich ineinander und aneinander an. Besonders witzig ist die Inszenierung des sie begleitenden Elefanten mithilfe einer Klobrille, wenngleich auch der jeweilige Weg der einzelnen Protagonisten zur Toilette immer wieder eine kleine Pause und einen Markierungsweg im Stück markiert.

Der 100jährige - SandkorntheaterKarlsruhe - Abb ONUKImmer wieder wird das Stück als Ausdruck des Lebensgefühls von Schnapspausen, zum Beispiel mit Stalin (authentisch: Friedemann A. Nawroth), markiert. Staatsanwältin Amanda (witzig und immer gefasst und authentisch: Denise Schindler), die immer wieder vom Kommissar (authentisch, aber trunken in der Inszenierung: Friedemann A. Nawroth) über den Stand der Dinge informiert wird, lässt sich erst auf das Spiel und das Durcheinander der Gruppe ein, die ihr ausführlich und verworren, obwohl sie im Termindruck ist, den Stand der Dinge erzählen möchte.

Geselliges Durcheinander

Sie trinkt, Schnaps statt Kaffee, Runde um Runde, mit und lässt sich Dinge vorflunkern wie, dass es sich bei der Ware im Koffer nicht um Geld, sondern Bibeln handele, und lässt sich von der »Schönen Frau« (Katharina Roczyn) damit blenden, dass sie als Exegetin, also Auslegerin der Bibellektüre, tätig sei. Am Ende erzählt sie der Presse, die Sache sei erledigt, während die Gruppe freudig singend mit einem gecharterten Flug nach Bali entkommt, natürlich nicht, ohne ein Spielzeug in Form der ›Yellow Submarine‹ weg von der Bühne, hin ins Publikum, zu werfen. Insgesamt erheiternd, aber von den Erzählsträngen und deren Aufführbarkeit her anspruchsvoll in der Nachvollziehbarkeit.

| JENNIFER WARZECHA
| Abb: ONUK

Titelangaben
Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
nach dem Roman von Jonas Jonasson in der Bühnenfassung von Axel Schneider/Mitarbeit Sonja Valentin
Sandkorntheater Karlsruhe
REGIE: Victor Carcu

Termine
Freitag, 21.10.16, 19:30 Uhr
Montag, 26.12.16, 19:30 Uhr
Freitag, 06.01.17, 19:30 Uhr
Freitag, 27.01.17, 19:30 Uhr

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Dylan: Folksongs, Rockmusik, Literatur- nobelpreis

Nächster Artikel

»Ich will sterben« – Der mediale Werther

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Keinen König, keine Helden mehr!

Bühne | Iphigenie auf Tauris – Staatstheater Karlsruhe Der Schwerpunkt liegt auf der Betonung der Weite des Meeres und der Sehnsucht nach Freude und einem Zuhause. Deshalb sind die 19 Gestrandeten, Asylbewerber aus den Gemeinschaftsunterkünften in Karlsbad-Ittersbach und Rheinstetten, ins Stück integriert. Das wirkt nicht deplatziert, sondern integriert sich bestens ins Stück. Von JENNIFER WARZECHA

Leidenschaft trifft Coolness

Bühne | Show | Break the Tango Es hieß zu Beginn, diese Tanzshow bräche alle Regeln. Nach »Flying Bach« und neben »Breaking Salsa« begeistert seit nunmehr zwei Jahren »Break the Tango« als neuartiges Crossover-Konzept das Publikum in Theatern weltweit. Der Siegeszug des Streetdance scheint unaufhaltsam. ANNA NOAH testet, ob Tango und Breakdance wirklich zusammenpassen.

Kapitalismus, Theater und Kritik

Bühne | Kulturbuch | Joachim Fiebach: Welt – Theater – Geschichte. Eine Kulturgeschichte des Theatralen Er gilt als Gigant unter den zeitgenössischen Theaterwissenschaftlern, ein Gigant, der scheinbar spielerisch Theater, Medien, Herrschaft, Philosophie und Kultur als Ganzes prägnant, pointiert und manchmal auch provokativ kontextualisiert sowie en passant sich auch noch als der Experte für das Theater Afrikas gerierte: der Berliner Professor Joachim Fiebach. Schon in zahlreichen Monografien und Artikeln hat er sich mit den sozialen und politischen Faktoren des Theaters beschäftigt und dabei aphoristisch über die dramaturgische Inszenierung der Realität laboriert. Jetzt hat Fiebach sein wissenschaftliches Opus Magnum vorgelegt, mit dem

Im Wilden Westen nichts Neues

Bühne | William Shakespeares ›Romeo und Julia‹ im Staatstheater Nürnberg Theodor W. Adorno lehnte es in seinen Vorlesungen zur Ästhetik ab, William Shakespeares ›Romeo und Julia‹ als Tragödie zu interpretieren, die den Übergang von der mittelalterlichen zur bürgerlichen Liebe markiere, da die Ära der Bürgerlichkeit mit noch viel mehr erotischen Tabus versehen sei. Dennoch hat Shakespeare auch den modernen Menschen kreiert. Das dachte sich wohl auch der Regisseur Johannes von Matuschka und inszenierte das Drama in Nürnberg als amerikanisches Wildwestschauspiel – also im fluiden Übergang von Wildheit und Zivilisation. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Premiere von ›Romeo und Julia‹

Verliebt – verlobt – verheiratet?!

Bühne | Woody Allens ›Geliebte Aphrodite‹ im Stadttheater Pforzheim Es gibt (Lebens-) Geschichten, die auf der einen Seite erst einmal seltsam erscheinen und auf der anderen Seite doch einleuchten. Die Ehe läuft nicht mehr rund. Als Lösung soll ein Baby nicht nur die Lust auf Familie, sondern auch die Lust aufeinander wieder fördern und schaffen. Das ist erst einmal plausibel – sofern man daran glaubt, dass so etwas realistischerweise tatsächlich gut gehen kann. Von JENNIFER WARZECHA