Mit Koketterie den Verführungen des Lebens begegnen

Bühne | Mozarts ›Die Hochzeit des Figaro‹. Stadttheater Pforzheim

Eines der großen Themen unserer Zeit, mit dem sich unzählige Theaterstücke, Opern, Filme, Serien und auch einige Veranstaltungsformate, regional und überregional − sowie das Leben selbst – auseinandersetzen, ist die Liebe. Diese ist, sowohl in der gesellschaftlichen Realität als auch in der künstlerisch dargebotenen Inszenierung, immer wieder von Hindernissen, Verwirrungen und auch Intrigen durchwoben. Von JENNIFER WARZECHA

THPF_DieHochzeitdesFigaro_Bild10_Micu_Rohr_Tiedtke klGerade die Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts‘ (1756-1791) weltberühmter und beliebter Opera buffa, im Geiste der Commedia dell‘ Arte, ›Die Hochzeit des Figaro‹ mit dem Libretto von Lorenzo da Ponte, wirkt immer wieder und stets aufs Neue magisch, erotisch und faszinierend.

Zeugen doch Libretto und Musik bei dieser Opern-Inszenierung geradezu von »unerschöpflicher Vielschichtigkeit«, wie schon das Programmheft zu der Pforzheimer Premiere – unter der Regie von Caroline Stolz, der Choreografie von Edoardo Novelli, unter der musikalischen Leitung von Mino Marani und der Choreinstudierung von Carl Philipp Fromherz, mit Mónica Presno am Cembalo – verrät.

Und vielschichtig ist das Werk schon allein aufgrund dessen Koketterie und Komik, wie sie traditionell für die Commedia dell‘ Arte typisch ist. Gerade Cherubino (stimmlich ausdrucksstark, fest und gewaltig, vom Eindruck her aber fast schon süß: Danielle Rohr) schaut immer wieder verzweifelt bzw. geradezu ängstlich, wenn er von den Damen wie der Contessa d‘ Almaviva, also der Gräfin und damit der weiblichen Hauptrolle, (überzeugt sowohl durch ihre geradezu feministische Haltung und damit verbundene Würde, Grazie und Ausstrahlung, genauso wie durch ihre souveräne Stimmlage: Silvia Micu) oder Susanna (einfach stark in selbstbewusstem Mienenspiel und souveräner Haltung und Gestik: Franziska Tiedtke) umschwärmt wird.

THPF_DieHochzeitdesFigaro_Bild15_Jadach_MicuGeradezu komisch wirkt es, wenn er jeweils einer der Damen mit unbeholfenem Gesichtsausdruck unter den Rock schaut – denn Cherubino wird von einer Dame (Danielle Rohr), nicht von einem Mann, verkörpert. Gerade das steht für die Typenhaftigkeit der Figuren, die damit nicht individuelle Charaktere und deren Eigenschaften, sondern generelle Verhaltensweisen aller Menschen markieren.

Gewissermaßen läuft jeder Mensch je nach Kontext Wollust oder Gefahr, sich der Erotik und Leidenschaft fast schon zu sehr hinzugeben und in einem privaten Beziehungskonflikt aus mehreren Beteiligten, bei dem immer mindestens einer leer ausgeht bzw. von Eifersucht geplagt wird, zu enden.

Reinheit und Verführung wechseln sich ab

So ist die Fabel eines der Meisterwerke Mozarts, die die einzelnen Handlungsstränge des Vierakters bilden, auch rasch erzählt: Figaro und Susanne wollen heiraten, doch der Graf möchte im Sinne des damals üblichen Herrenrechts, die erste Nacht mit Bediensteten zu verbringen, zuerst mit Susanna schlafen. Eine damals übliche Sitte, die Mozart zusammen mit dem Feudalrecht mit der Aufführung der Oper kritisierte. Die Gräfin ist natürlich gegen dieses vermeintliche Vorrecht. Sie und Susanna schmieden ein Komplott und am Ende hat man als Zuschauer den Eindruck, dass irgendwie jeder etwas mit jedem hat.

THPF_DieHochzeitdesFigaro_Bild11_Tiedtke klDies ist zwar üblich für eine Verwechslungskomödie, für den Zuschauer im fast bis auf den letzten Platz gefüllten Großen Haus des Stadttheaters mitunter aber etwas verwirrend. Einziger Wermutstropfen für eine ansonsten grandiose und farbenprächtige Inszenierung mit dem Bühnenbild von Jan Hendrik Neidert und den Kostümen von Lorena Díaz Stephens. Sie überzeugt gerade durch die weißen Fächer, die von vermeintlicher Reinheit sprechen und die spanische Umgebung Andalusiens ausdrücken. Die Fächer selbst stehen für Weiblichkeit, Verführungskraft und Koketterie sowie für Schließung und Entfaltung – Themen, die auch nach Premiere und Aufführung vielfach die Menschen bewegen, sie mitunter entzweien oder verbinden werden.

Nicht zuletzt stehen die Figuren selbst für „menschliche Wesen mit Herz und Seele, mit Leidenschaften und Begierden“, wie es ebenfalls das Programmheft schildert. Und eben das Leben selbst. Die Kostüme sind edel und bunt, wie das Leben, dargestellt in der Komödie, auch ist. Auch das Weiß der Frauenkleider steht wie das Weiß der Fächer für Reinheit, so rein, wie das Leben scheinbar von seinen Verführungen her nicht ist. Insgesamt einfach grandios und vielschichtig, fürwahr.

| JENNIFER WARZECHA
| FOTOS: SABINE HAYMANN

Titelangaben
Die Hochzeit des Figaro
Oper von Wolfgang Amadeus Mozart
Theater Pforzheim
Regie — Caroline Stolz
Musikalische Leitung — Mino Marani
Inszenierung — Caroline Stolz
Bühnenbild — Jan Hendrik Neidert
Kostümbild — Lorena Diaz Stephens
Dramaturgie — Thorsten Klein

Termine
Dienstag, 01.11.2016: Beginn: 20:00
Donnerstag, 10.11.2016: Beginn: 20:00
Sonntag, 20.11.2016: Beginn: 15:00
Samstag, 26.11.2016: Beginn: 19:30
Sonntag, 04.12.2016: Beginn: 15:00
Dienstag, 20.12.2016: Beginn: 20:00
Freitag, 23.12.2016: Beginn: 19:30
Donnerstag, 12.01.2017: Beginn: 20:00
Mittwoch, 25.01.2017: Beginn: 20:00
Sonntag, 12.02.2017: Beginn: 15:00
Mittwoch, 01.03.2017: Beginn: 20:00
Sonntag, 26.03.2017: Beginn: 19:00

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Anarchie in den Ardennen

Nächster Artikel

Tyrannische Macht- besessenheit

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Wenn Tugend und Humanismus die Oberhand gewinnen

Bühne | Bertolt Brechts ›Mutter Courage und ihre Kinder‹ Krieg und Gewalt sind Themen, die nicht nur stets die Gesellschaften bewegen, wie aktuell die Flüchtlingskrise oder die Anschläge in Paris. Krieg und was sie daraus macht, was sie moralisch bewegt und wie das die Leichen ihrer Kinder übersteigt, sind Themen, die auch Anna Fierling, genannt ›Mutter Courage‹, beschäftigen. Habgier versus Mutterliebe, Profit auf Kosten aller und besonders der Familie – Bertolt Brechts Werk ›Mutter Courage und ihre Kinder‹ (Uraufführung als ›Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg‹ im Jahre 1941 am Zürcher Schauspielhaus, mit späterer Nachbearbeitung) feierte in einer Koproduktion mit den

»I will follow me«

Bühne | ›Ladies first‹ am Badischen Staatstheater Erst ein paar Tage sind die Feierlichkeiten rund um den Internationalen Frauentag vorbei. »100 Jahre Frauenwahlrecht« neben 70 Jahren Grundrechten in Deutschland sind ein Grund zum Feiern. Das dachte sich auch Otto A. Thoß, welcher zuständig für das Ensemble der Oper ist. Er inszenierte ›Ladies first. Ein musikalischer Abend mit 56 Frauen‹, einer Produktion von Volkstheater und Jungem Staatstheater Karlsruhe, am Badischen Staatstheater. JENNIFER WARZECHA war dabei

Zurück in die 80er

Bühne | Musical: Rock of Ages ›Rock of Ages‹ ist laut, nostalgisch und frech. Welches Kind der 80er Jahre hätte jemals gedacht, dass dieser Zeit einmal ein musikalisches Denkmal gesetzt wird? Wer hätte sich träumen lassen, dass eine handylose Ära tatsächlich eine reizvolle Zeit war? ANNA NOAH fragt sich, ob die gezeigte Sehnsucht real ist.

Graf von Krolock bittet erneut zum Ball

Bühne | Musical: Tanz der Vampire ›Tanz der Vampire‹ ist seit vielen Jahren ein wahrer Dauerbrenner auf sämtlichen Bühnen Europas. Die schaurig-amüsante Geschichte von Michael Kunze verbindet den Reiz des Mystischen und Unerklärlichen mit einem Hauch (Homo-)Erotik. Und neuerdings überrascht es mit wahrhaft gruselig-schönen Tanz-Choreographien. ANNA NOAH ist fasziniert von der aktuellen Version.

Gottes Zorn und Menschens Recht

Bühne | Sophokles im Theater das Zimmer

Der Vorhang hebt sich endlich wieder im kleinsten Theater Hamburgs, doch die Raumgröße erlaubt pandemiebedingt nur einen Darsteller auf der Bühne. Was nun? Die Intendanz hat eine Idee. Von MONA KAMPE