Tyrannische Macht- besessenheit

Film | Serie | Neu auf DVD: House of Cards. Staffel 4

In den USA geht der Machtkampf um das Weiße Haus auf die Zielgerade. Passend dazu bringt Sony Pictures die vierte Staffel der Netflix-Original-Serie House of Cards auf DVD und Blu-Ray heraus. Darin kehrt Präsident Francis Underwood auf die Bildschirme zurück – und zeigt auf, wie einfach es ist, die amerikanische Demokratie ins Chaos zu stürzen. TOBIAS KISLING über die neue Staffel der Polit-Serie.

House of Cards 4Bill Clinton soll nach der ersten Staffel der amerikanischen Erfolgsserie im Gespräch mit Hauptdarsteller Kevin Spacey den Wahrheitsgehalt der Serie auf 99 Prozent beziffert haben. Eine Aussage, bei der nur gehofft werden kann, dass sie falsch ist. Denn Kevin Spacey lässt in seiner Figur Francis Underwood einen Präsidenten wachsen, der vor brutaler Skrupellosigkeit nur so strotzt, der in areshafter Zügellosigkeit seine Feinde aus dem Weg räumt und sich seinen Stuhl im Oval Office mit Blut an den Händen sichert.

Spacey als Schauspieler und Produzent hat eine Figur diabolischen Ausmaßes erschaffen, die trotz aller Widerwärtigkeit die Sympathien der Zuschauer erlangt. Möglich wird dies unter anderem durch einen brillanten Kniff: Underwood blickt in entscheidenden Situationen zu den Zuschauern, lässt die Handlung einfrieren. Im direkten Gespräch mit dem Zuschauer stellt er seine Strategie und seine (machtbesessenen) Gefühle dar. Dabei kann schnell vergessen werden, dass er nur durch Mithilfe an das Amt des Präsidenten gelangt ist.

Brillante Kniffe

Den größten Anteil an Francis Präsidentschaft hat seine nicht minder gerissene Ehefrau Claire, die wieder hervorragend von Robin Wright verkörpert wird. Wright bewies im Vorfeld der Staffel Kalkül, als sie sich eine höhere Gage erstritt. Es ist gut investiertes Geld. Wie unverzichtbar Wright für die Serie geworden ist, zeigt sich in der vierten Staffel. Mit ehelicher Liebe hat das Verhältnis von Francis und Claire schon lange nichts mehr zu tun. Die beiden brauchen sich einander, um ihre Macht zu erhalten. Doch Claire ist das nicht genug. Der Machthunger der First Lady ist geweckt und kann nur schwer gestillt werden. Selbst das Repräsentantenhaus erscheint nicht mehr ausreichend.

Es stellt sich die Frage, wie es mit den Underwoods weitergeht. Wird Claire zur Widersacherin oder vereint sich das Duo? Francis jedenfalls hat eine eindeutige Antwort, die er als Parallelismus mit einer Kindheitserinnerung darstellt. Damals verschanzte sich der Nachbarjunge der Underwoods auf deren Baum im Garten. Obwohl er nur wenige Meter entfernt seine eigene, nette und gut situierte Familie hatte, verharrte er die Nacht auf dem Baum der Underwoods. Francis, selbst aus armen Verhältnissen stammend, holte schließlich eine Axt und begann, den Baum zu fällen. »Er brauchte nur etwas Motivation. Ich werde Claire etwas Zeit geben. Aber ich will für sie hoffen, dass sie von ihrem Baum herunterkommt, bevor ich meine Axt hole.«

Die Familienverhältnisse der Underwoods spielen eine wichtige Rolle in der neuen Staffel. Ellen Burstyn gibt als Elizabeth Hale Claires Mutter ein prominentes Gesicht. Die Abgründe des Wahlkampfes werden an ihr erprobt wie an keiner Zweiten in dieser Staffel. Sie wird zunehmend zum Schlüssel für das politische Schicksal der Underwoods. Ihre finanzstarken Freundinnen tragen nicht unwesentlich zur Wahlkampffinanzierung der Demokraten bei. Zugleich stellt sie Claire für die schwierigste Prüfung, die sie ablegen muss, um Francis nachzueifern.

Höchst aktuell

Präsent sind erneut die Medien. Allen voran Tom Hammerschmidt (Boris McGiver), der die Recherchearbeit wieder aufnimmt und auf den Spuren von Zoe Barns (Kate Mara) wandelt. Allerdings wird die journalistische Arbeit weitaus weniger unter die Lupe genommen als noch in den ersten Staffeln. Stattdessen rücken andere Themen in den Fokus: eine islamische Terrormiliz, ein russisches Ölembargo, die staatliche Überwachung durch die NSA. Selten war eine Serie so um Aktualität bemüht wie die aktuelle Staffel von House of Cards.

Gab es in den vergangenen Staffeln immer wieder Passagen, in denen die Handlung ins Detail ging, reiht sich nun Ereignis an Ereignis. Das ist Fluch und Segen zugleich: Es wird nie langweilig, die gesamte vierte Staffel ist flüssig, hat an vielen Enden Cliffhanger und einen konstant hohen Grad an Spannung. Zugleich verliert sie aber in vielen Punkten an inhaltlicher Tiefe.

Auflösung der Wirklichkeit

Mit dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Will Conway (Joel Kinnaman) wird ein neuer Antagonist zu Underwood eingeführt. Conway ist vor allem im Bereich Social Media ein Vorreiter der Politik, inszeniert sich und seine Familie überall und jederzeit. Während die Inszenierung, auch bei den realistisch dargestellten Parteitagen, ohnehin ein Thema ist, wagen sich Spacey und Co nun an ein neues Thema: Der Wählermanipulation durch Suchmaschinen. Schon Christoph Kucklick verdeutlichte in seiner Analyse in »Die granulare Gesellschaft: Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst«, wie einfach es dem Wahlkampfteam von Barack Obama im Jahr 2012 fiel, Wählerdaten zu gewinnen und individualisierte Wahlkampfwerbung zu betreiben. Wählermanipulation durch Suchmaschinen ist ein spannendes, wenig erforschtes und auch wenig bekanntes Feld, auf das sich House of Cards begibt. Leider bleibt auch diese Thematik nur angerissen, zum Nachdenken regt sie aber allemal an.

Technisch ist die vierte Staffel so, wie man es von einer von Sony produzierten Netflix-Original-Serie erwarten darf: auf einem hohen Niveau. Viele Detailaufnahmen und feste Kamerafahrten erzeugen ein ruhiges Bild, das durch die düstere Musik von Jeff Beal untermalt wird. Atmosphärisch ist die 90-Millionen-Euro-Produktion durchgehend gelungen, sie fängt die Stimmung auf, sie fesselt an vielen Stellen die Zuschauer.

Da ein Kartenhaus mit einer Farbe eines Kartenblatts gebaut werden kann und ein Kartenblatt einer Farbe aus 13 Spielkarten besteht, gibt es auch bei der vierten Staffel wieder 13 Folgen. Schon dabei wird deutlich, dass House of Cards eine Produktion mit vielen Anspielungen ist, die mit Köpfchen produziert wurde. Bisweilen mit so viel Köpfchen, dass man Angst haben muss, irgendwann einen Präsidenten wie Francis Underwood an der Macht der Vereinigten Staaten zu haben.

| TOBIAS KISLING
| Titelfoto: NETFLIX/SKY

Titelangaben
House of Cards Season 4
USA 2016
Regie: Tucker Gates, Robin Wright, Tom Shankland, Alex Graves, Jakob Verbruggen
Buch: Beau Willimon, Laura Eason, Bill Kennedy, Tian Jun Gu, Melissa James Gibson, Kenneth Lin, Frank Pugliese, John Mankiewicz, Laura Eason,
Besetzung: Kevin Spacey, Robin Wright, Michael Kelly, Kate Mara, Paul Sparks, Ellen Burstyn, Joel Kinnaman u.a..
13 Folgen à 50 Minuten
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