Film | Japan-Filmfest Hamburg: ›Slum Polis‹, Japan 2014
›Slum Polis‹ versetzt uns in das Japan des Jahres 2041, der Westen des Landes ist durch ein schweres Erdbeben verwüstet, als Location willkommen waren deshalb die zu Weihnachten 2011 vom Tsunami verwüsteten Regionen Japans, die Gegend sieht übel aus. Zwischen den Trümmern, so die Erzählung, formieren sich autonome Gebiete mit eigener Währung und Administration, die nationale Regierung greift nicht ein, sie überlässt diese Regionen des Elends einer urwüchsigen Anarchie. Von WOLF SENFF
Im dritten kommunalen Bezirk, Slum Polis, herrschen Verbrecherclans, Yakuza, Kanzaki-Kei, wie sie auch immer heißen, und versorgen die einheimische Bevölkerung mit der Glücksdroge Meth. Die drei Freunde Asu, Joe und Anna haben sich in einer Nische eingerichtet.
Sehnsüchte, Träume, Gefühle
Joe und Asu haben den Drogenboss Aman erschossen, die gesamte Logistik des Geschäfts ist gefährdet, es stehen harte Territorialkämpfe bevor, der Kanzaki-Kei greift nach Kontrolle über alle Drogenrouten. Ryu, ein Renegat, der von den eigenen Leuten gejagt wird, gewinnt Asu und Joe für seinen abenteuerlichen Plan, die Lieferungen zu stören und daraus Gelder abzuzweigen.
Sehnsüchte und Gefühle stehen ganz vorne an. Anna malt. »Sag dieser Freundin, das ist bloßes Geschmiere. Anstatt das als Kunst zu deklarieren, sollte sie das Malen lieber aufgeben« – doch wer weiß, was Kunst ist? Die Galeristen? Darüber ließe sich lange parlieren.
Asu und Joe sind auch deswegen auf das Drogengeld aus, weil sie Anna gern eine Ausstellung im ›Zentrum‹ ermöglichen möchten. Sie haben eigene Träume. Anna und Joe sind sich einig, dass sie aus dem Elend der Slum Polis heraus möchten. Der Film hat besonders schöne Szenen, wenn diese romantische Seite zur Geltung kommt, etwa eine Fahrt auf der Kawasaki, die eine Sehnsucht nach geordneten Lebensläufen und nach weiter Welt heraufbeschwört.
Japan ist anders
Es ist erfreulich, dass Ken Ninomiya in seinem Film diesem Traum von einer anderen Welt Raum gibt, wie überhaupt der japanische Film von tiefen moralischen Überzeugungen geprägt ist, überraschenderweise besonders auffällig in seinen kämpferischen und oft bluttriefenden Martial-Arts- und Yakuza-Streifen. Diese moralische Haltung ist dem Westen irgendwie zwischen all den Sachzwängen, den statistischen Zielorientierungen, dem Qualitätsmanagement und dem Hochleistungsstreben abhanden gekommen und allem Anschein nach ist das noch gar niemandem aufgefallen. Soll er sich mal einen japanischen Streifen ansehen.
Der Einwand, ›Slum Polis‹ sei gelegentlich recht pathetisch, ist ein Eigentor derjenigen, der diesen Einwand vorbringen – vielleicht eine nüchtern kalkulierende Frau im Mediengeschäft, vielleicht ein aufstrebender Fußballspieler, der seinen Marktwert abschätzt, vielleicht ein Architekt, der die Kosten für ein Großbauprojekt überschlägt, oder ein Klinikchef, der die Rentabilität seiner Operationen nachrechnet.
Idyllische Augenblicke gemeinsamen Lebens
Zugegeben, dieses Personal kommt in Japan ebenfalls vor. Und dennoch ist die Mentalität dort grundlegend anders. Wir müssen das schätzen und wir müssen neugierig und offen sein für die japanischen Filme und für das Angebot des Hamburger Japan-Filmfests. Da ist es anmaßend und ein Ärgernis, dass uns japanische Mentalität mittels ›The Last Samurai‹ (Actionfilm, USA 2003) mit Tom Cruise angedient wird; es ist wenige Tage her, dass dieser Streifen in einer der privaten Anstalten erneut ausgestrahlt wurde. Man fragt sich, weshalb nicht in Japan produzierte, erfolgreiche Filme oder sogar niveauvolle Serien regelmäßig auch dem deutschen Publikum angeboten werden.
›Slum Polis‹ sattelt drauf und zeigt idyllische Szenen gemeinsamen Lebens. »Nachdem ich dich und Joe getroffen habe,« sagt Anna zu Asu, »habe ich das Gefühl, richtig leben zu können«. Dann tritt erneut die Brutalität des mörderischen Gelderwerbs in den Vordergrund, ›Slum Polis‹ setzt krasse atmosphärische Wechsel und explosive Überraschungseffekte ein. Geld wird verteilt und Drogen, es geht hoch her, der Film arbeitet intensiv mit Musik – Asu spielt Keyboard und träumt davon, seine Musik in der Sendung eines berühmten DJ zu hören, doch Träume sind Schäume, kein Land ist in Sicht.
Sterben kann dauern
Und ›Slum Polis‹ findet dann relativ schnell zum Ende, das Sterben jedoch nimmt nun plötzlich Zeit in Anspruch, viel Zeit, und auch das bitte verstehen wir als japanische Eigenheit. Das Sterben ist ein bedeutungsvoller Moment oder sogar ein Abschnitt, in dem sich ein Leben rundet, und gänzlich unbegreiflich ist, dass das Sterben zu einem wertlosen, bedeutungs- und sogar sinnlosen, bestenfalls noch gefürchteten Ereignis deformiert wird, das seit neuestem in Hospize ausgelagert wird, Lager für schmerzloses serielles Massensterben. Gut, sei’s drum, nur keine Aufgeregtheiten, zurück zum Film.
›Slum Polis‹ führt uns das Sterben am Beispiel seiner Protagonisten als einen organisch in die Biographie eingebetteten Prozess vor, der mit dessen suggestiver Präsenz, der ersten Ahnung des Todes, beginnt. Trotz aller Brutalität im Detail gelingt es Ken Ninomiya auf grandiose Weise, das Sterben harmonisch und geradezu poetisch zu schildern, den Film trägt, bezogen auf die Protagonisten, die Gewissheit, dass niemand im Tode alleingelassen bleibt, niemand bleibt allein zurück – und letztlich gilt, wie auch immer und um jedenfalls nun das eigene Pathos wieder herauszunehmen, sowieso der Grundsatz: Keiner kommt hier lebend raus. Oder doch? Wir werden nichts verraten, kein Stück.
Titelangaben
Slum Polis, OmdU, Japan 2014, 120 Minuten
Regie: Ken Ninomiya
Darsteller: Horyu Nishimura, Hidenobu Abera, Ryoko Ono
Fr., 30. Mai, 15:30 Uhr, Metropolis
So., 1. Juni, 20:00 Uhr, Metropolis
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