//

Koalitions-Geplauder

Interview | Im TV: Anne Will. Polittalk (ARD) 3.12.17, 21:45 Uhr

Seit Monaten befassen sich unsere diversen Politik-Talkshows mit Wahlen und Regierungsbildung. Bei Frau Will, man denke, läuft dieses Thema dauerhaft seit dem zwanzigsten August, ein einziges Mal unterbrochen von der aus USA herübergeschwappten #metoo-Debatte. Wir werden berieselt, wir werden eingelullt. Von WOLF SENFF

Anne Will ARDAnne Will gibt sich damit zufrieden, den Ereignissen nachzulaufen – wobei man sich fragt, welche Ereignisqualität darin liegt, dass ein cholerischer Jungpolitiker Verhandlungsergebnisse torpediert und mittleres Chaos anrichtet.

Ah, geh!

Man könnte lange darüber sinnieren, was ein solcher Ablauf über die Wertigkeit und das Gewicht von Politik aussagt, doch das wäre nicht der Ansatz von Frau Will, die wohl kaum das Spielbrett der Berliner Politik verlassen und seine Etikette missachten würde – wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Sie schwimmt mit dem Strom, und das ist das Konzept ihrer Sendung.

Das können wir lernen, erstens. Frau Wills Talk-Show spiegelt den traurigen Zustand der Berliner Politik. Anne Will breitet, ganz Klon von Angela Merkel, dichte Nebel über den Zustand des Landes. Gentrifizierung? Wohnungsnot? Nein, gibt es nicht, und schon gar keine politischen Vorschläge, damit umzugehen. Schleichende Vergiftung unserer Lebensmittel, Nitratgehalt von Wasser, Antibiotika in Fleisch? Nein, kein Thema für Frau Will. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der Arbeitswelt? In Deutschland? Ah, geh!

Intelligenz

Es ist nicht gewollt, dass sich deutsche Öffentlichkeit mit diesem und verwandten Themen auseinandersetzt, brisante Inhalte werden von Kanzlerin Merkel und ihren Hilfskräften unter den Teppich gekehrt, nicht einmal Brexit darf Thema sein. So etwas geht über eine begrenzte Zeit gut, doch erfahrungsgemäß steigt der Druck, bis es knallt, man muss die Dinge nur lange genug sich selbst überlassen.

Am ersten Advent ging es also um die »mächtigste Frau der Welt« (Forbes) und um die Frage, wie geschwächt sie zur Zeit ist, und zwar – so in der Ankündigung – angesichts des schlechten Bundestagswahlergebnisses, der gescheiterten Jamaika-Verhandlungen und der zähen Verhandlungen um eine Regierungsbildung. Zum wievielten Mal wird uns dieses Thema nun aufgeblättert?

Sie rühren sich nicht

Ach, man ist es leid, stets sind es dieselben Versuche, missliebige Themen unter den Teppich zu kehren, und Frau Will steht zuvorderst unter den dienstbaren Geistern. Dabei liegen die Dinge recht simpel. Es sind schlicht und einfach die hundsmiserablen Ergebnisse ihrer Politik, die Angela Merkels Position schwächen. Vom Elend, das sich in Deutschland rapide ausbreitet, scheint sie keine Ahnung zu haben, geschweige denn, dass sie Gegenmaßnahmen veranlassen würde.

Und es ist nicht allein das soziale Elend, der schamlose Reichtum unserer Krösusse, es ist ebenso die gewissenlose Zerstörung natürlicher Lebensbedingungen, wir wissen das alle, nur wird es seitens der Politik nicht wahrgenommen, wie jüngst durch die Glyphosat-Maßnahme des Landwirtschaftsministers erneut bestätigt wurde – es rührt die Politiker nicht, das ist der Skandal, und das ist die Schwäche Merkels, denn immerhin verlor ihre Partei im September nahezu zehn Prozent Stimmenanteil.

Was auf den Nägeln brennt

Man muss diese Missstände zum Thema machen und darf sich nicht damit begnügen, einmal im Nebensatz, wie in der gestrigen Gesprächsrunde geschehen, das Thema sozialer Zusammenhalt zu erwähnen, ebenfalls im Nebensatz auf die massive Steuerflucht hinzuweisen oder auf den massiven historischen Umbruch der westlichen Welt.

Die eingeladenen Gäste wissen ja um die politischen Problembereiche, und eben deshalb gehören die auf den Nägeln brennenden Themen ins Zentrum – die agrarpolitische Kontroverse um die industrialisierte Landwirtschaft wurde benannt, aber nicht thematisiert.

Die Diskussion am ersten Advent beschränkte sich, es ist ein Elend, auf das Spielbrett Berlin, es ging um machttaktische Überlegungen, es fehlten nur Kaffee und Kuchen: Wird die Koalition zustande kommen, wird sie nicht, und falls doch, wann und welches Bild hinterlässt, Deutschland in Europa und der Welt. Wie ihre Kanzlerin fokussiert Anne Will den Blick nicht auf die Probleme des Landes. Nein, empfehlenswert sind diese Gesprächsrunden nicht.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Anne Will
Polittalk (ARD)
Gäste: Ursula von der Leyen, Carsten Schneider, Viviane Reding, Bernd Ulrich, Wolfgang Merkel
Sonntag, 3.12.17, 21:45 Uhr

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Es tickt die Zeit, das Jahr dreht sich im Kreise

Nächster Artikel

Vom Darmwinde verweht

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Kinder, Kinder

Film | Tatort – Angezählt (ORF), 15. September Angezählt breitet die Odyssee eines Zwölfjährigen aus. »Ich bin Ivo. Ich bin zwölf Jahre alt. Im Sinn §64 StGB ist unmündig. Darf nicht strafen.« Da hat er zweifellos recht. »Er hat niemanden auf der Welt«, so Bibi Fellner (Adele Neuhauser). Da hat sie ebenfalls recht, schon sind wir mittendrin. In Wien wird eine Prostituierte ermordet, die mit Versprechungen aus den verarmten Regionen Osteuropas herbeigelockt wurde. Menschenhandel. Wir sind eine Leistungsgesellschaft. Von WOLF SENFF

Der Zauber des Scheiterns

Digitales | Games: Duke Nukem Forever ›Duke Nukem Forever‹ ist nach über einem Jahrzehnt des Wartens nun doch erschienen. Da zu diesem Thema die verschiedensten Köpfe bereits schrieben, will RUDOLF INDERST in diesem Beitrag nur indirekt über das Spiel sprechen – viel lieber möchte er an das Filmprojekt ›The Man Who Killed Don Quixote‹ erinnern.

Krawall und Rettung

Film | Neu im Kino: Transformers 5 – The Last Knight Es gibt mittlerweile so viele Gewalt-Action-Filme für die Teenager-Zielgruppe, dass man sich fragt, warum sie immer noch Milliarden einspielen, wenn sie sich doch alle ähnlich sind. Geht es allein um Action und CGI-Effekte? Oder gibt es tatsächlich eine Message darin? Das ›Transformers 5‹-Poster ist übertitelt mit »Hinterfrage deine Helden«! ANNA NOAH hinterfragt die Absicht des Regisseurs, Heldentum mit derart viel Waffengebrauch zu verknüpfen.

Mariss Jansons besiegt Stefan Herheim im Duell

Film | DVD: Tschaikowski – Eugen Onegin Tschaikowskis Eugen Onegin gehört zum festen Repertoire der Opernhäuser. In den vergangenen Jahren konnten zwei so unterschiedliche Inszenierungen wie die von Achim Freyer in Berlin und von Andrea Breth in Salzburg die anhaltende Wirkung dieses Bühnenwerks bestätigen. In Amsterdam hat der deutlich jüngere Norweger Stefan Herheim sich seiner angenommen. Herheim ist für seine enigmatischen Inszenierungen bekannt und nicht unumstritten. Er neigt dazu, sich mehr zu denken, als er szenisch zu vermitteln mag. Ohne Erläuterungen ist das Publikum bei ihm oft ratlos. Von THOMAS ROTHSCHILD

Im Holzkrug geht die Post ab

Film | Im TV: TATORT (RB) – Hochzeitsnacht (20.04.2014; Wh. vom 16.09.2012) Das mögen wir. Rainer rockt die Hochzeitsfeier. Aber erst einmal liegt im Herbstlaub eine Leiche engelgleich quer auf dem Bildschirm. Der Vorspann zeigt weitere hübsche Bilder ohne Fehl und Tadel. Sie werden von einfühlsam zarten Tonfolgen untermalt, und über den gesamten Film wird Musik (Stefan Hansen) erfreulich dezent eingesetzt. Der liebliche Vorspann täuscht: Im »Holzkrug« geht die Post ab. Zu »Liebe ohne Leiden« taut endlich sogar Inga Lürsen (Sabine Postel) auf, die mit ihrem Kollegen Stedefreund (Oliver Mommsen) zu den geladenen Gästen gehört. Stimmungsvoll und hanebüchen – so