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Spuren menschlicher Interaktion

Bühne | Theater: Mord auf dem Holodeck

Eine Gratwanderung zwischen Experimentaltheater, politischer Diskussion und psychologischem Experiment zeigt das Pfefferberg Theater mit »Mord auf dem Holodeck«. Mit neuartiger Bühnentechnik darf das Publikum mit der Kommissarin mitfiebern, ist dabei allerdings schonungslos einem sozialkritischen Gedankenspiel ausgesetzt.
Nils Corte und Anja Neumann verraten TITEL, wie die Produktion entstand.
ANNA NOAH wünscht sich mehr Film-Noir-Sci-Fi-Crossover.

Wer braucht schon Sozialkontakte?

Die Bühne ist düster und karg. Asimovs Robotergesetze werden an die hintere Wand projiziert, bevor es einen kurzen Einführungstext im Stile eines Filmklassikers gibt.

Ausgestattet mit dem genre-typischen Hut und Trenchcoat betritt danach die talentierte Nina Thaler stilecht in der Rolle des Hard-Boiled-Detektives die Bühne. Sie wird von ihrem Chef auf den zwei Lichtjahre entfernten Planeten Sirius geschickt, um einen Mordfall aufzuklären.

Dort angekommen stellt sie fest, dass Roboter fast alle Arbeiten verrichten, während die genau auf 20.000 gehaltene Bevölkerung allein vor sich hin lebt.

Mord Holodeck

Wenn sie jemanden »sichten« wollen, läuft das ausschließlich über Projektionen. Sämtliche Sozialkontakte oder gar körperliche Nähe sind obsolet geworden. Auf Sirius gilt Liebe als psychische Krankheit. Wer sich direkt gegenübersteht, schleudert lediglich mit Krankheitserregern.

Neben der eigentlichen Handlung wird das Stück von den kraftvollen Songs der Darsteller – begleitet von einer tollen Liveband –, einigen Doppeldeutigkeiten und der neuartigen Hologrammtechnik ›Peppers Holosuite‹.

Die siebenköpfige Theatergruppe sowie Regisseurin Anja Neumann und Produzent Nils Corte inszenieren eine eigenwillige Aufführung, die im Theatersaal mit viel Begeisterung aufgenommen wird.

Doch wie kam es dazu?

Erst mal eine Frage zum Aufwärmen – glauben Sie, dass Berlin seine Einwohner prägt, egal ob einheimisch oder zugezogen?
Uff jed’n Fall!
 
Was hat Sie als Mensch für ihren künstlerischen Ausdruck beeinflusst (Bücher, Filme, Menschen)?
Die Stadt der träumenden Bücher, Blade Runner, Douglas Adams
 
Das Besondere oder Neue an der Produktion Mord auf dem Holodeck ist die Peppers Holosuite Software. Für ein einziges Theaterstück wäre das doch etwas viel Aufwand. Wird es mehrere Projekte dieser Art in Zukunft geben?
Viel Aufwand trifft es auf den Punkt. Wir würden sehr gerne weitere Projekte dieser Art realisieren, es gibt auch bereits Interesse, aber wir sitzen genremäßig zwischen den Stühlen, sodass es für uns schwierig ist, Förderungen an Land zu ziehen. Wir hoffen natürlich, dass gute Anschauungsbeispiele die Risikobereitschaft kostenaufwendiges digitales Theater zu fördern, steigern (lacht)
 
Was war bei der Softwaregestaltung des Holodecks am schwierigsten? Was forderte Sie besonders heraus?
Die Entwicklung der Software war tatsächlich relativ einfach, da das Motion-Tracking und Virtual Reality System mit dem wir arbeiten exzellente Schnittstellendokumentationen mit sich bringen. Herausfordernd war vor allem, die verschiedenen Projektionsebenen aufeinander abzustimmen, sodass die Projektionen möglichst Blickwinkel unabhängig bleiben.
 
Natürlich würde ich gern wissen, wie die Technik dahinter funktioniert, aber das führt wahrscheinlich zu weit – nur so viel: Wie lange haben Sie an diesem Theaterkonzept gefeilt, bis es endlich auf die Bühne kam? Und wie war das für die Darsteller, mit bzw. als Hologramm zu interagieren?
In etwa zweieinhalb Jahre. Von der Idee, über den Skriptentwurf, bis zum Holo-Bühnen Bau. Das Spiel mit den Hologrammen stellte eine große Herausforderung dar, sowohl für die Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne, als auch in unserer Blackbox. Beiden fehlt das Gegenüber. Die räumliche Beschränkung und allein die Ausrichtung der Blicke um eine Kommunikation zu suggerieren erfordert enorme Genauigkeit. Die Darsteller_innen auf der Bühne können die Hologramme nicht sehen.
 
Haben Sie das gesamte Konzept allein entwickelt?
Ja.
 
Wie kamen Sie auf den wirklich interessanten Crime Noir – SciFi – Mix kombiniert mit Swing-Songs?
Das Noir Genre, vor allem mit humoristischem Einschlag (Steve Martins ›Tote tragen keine Karos‹) hat mich schon immer fasziniert und es war an der Zeit, dass mal eine Frau den »Hard-Boiled-Detective« gibt. Für die Rolle hatte ich von Anfang an Nina Thaler im Auge, die eine brillante Jazz/Swing Sängerin und Schauspielerin ist und so kam eins zum anderen. Das Science-Fiction Setting ist ein wenig den James Corey Romanen (›The Expanse‹) geschuldet.
 
Man kann neben psychologischen Aspekten diverse politische Inhalte in Ihr Stück interpretieren … Was denken Sie, sollte Theater heutzutage zwingend politisch sein?
Unbedingt. »Solange noch Menschen im Mittelmeer ertrinken, sind wir aus unserem Auftrag nicht entlassen.«
 
Denken Sie, das Genre Theater verliert an Bedeutung, wenn man keine derart innovativen Formen wählt?
Nein, diese große Angst scheint das Theater immer zu verfolgen. Es zeigt sich aber, dass das Theater grundsätzlich multimedial ist und so das Potenzial hat die verschiedensten Innovationen und technisch medialen Ausdrucksmöglichkeiten kreativ zu nutzen und zu kombinieren. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass jede neue Technik auch neue Beschränkungen für den kreativen Gestaltungsprozess mit sich bringt.
 
Sie zeigen die negativen Auswirkungen des technischen Fortschritts, benutzen aber gleichzeitig technische Innovationen zu dessen Darstellung – ein Zufall?
Selbstverständlich nicht. Die Idee war gerade mit dem Stück beide Ebenen zu kombinieren. Nutzen und Nachteil, Erweiterung der gestalterischen Mittel und Beschränkungen, die sich daraus ergeben.

Die Abgründe menschlicher Existenz

Bei der Premiere von ›Mord auf dem Holodeck‹ erlebte das Publikum eine in vielerlei Hinsicht unerwartete Aufführung. Statt lediglich live auf der Bühne das Geschehen darzustellen, sind Hologramme als feste Bestandteile in die Vorstellung integriert.

Das Ensemble blickt dabei tief in die zukünftigen Abgründe menschlicher Existenz.
Gesellschaftliche Fragen nicht nur auf die Bühne, sondern mitten in die Köpfe der Zuschauer zu bringen, ist nur einer der hohen Ansprüche dieses Theaterstücks.
Sehenswert.

| ANNA NOAH
FOTOS: Freutma.de
 
Showangaben
Mord auf dem Holodeck
Darsteller:
Carter: Nina Thaler; Glottis: Anneke Schwabe
Marvin / Krieger: David See; Bryant / Mallow: Steve Bürk
Polhaus / Thool: Thilo Prothmann; Pantomime: Rocco Menzel
Tanz: Efka Weber

Regie: Anja Neumann
Musikalische Leitung: Anne Borchers
Produktion / Holo-Setup / VR Softwareentwicklung: Nils Corte
Text: Nils Corte & Steve Bürk

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