Verlust ist unser Hauptgewinn

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann am 15. November

»Du hast zehn Kinder. Und die müssen diese Geschichten kennen.« Mit diesen Worten soll Wolf Biermann von seiner Ehefrau Pamela zum Schreiben seiner jüngst erschienenen Autobiografie Warte nicht auf bessre Zeiten gedrängt worden sein.Von PETER MOHR

Seine umfangreichen Stasi-Akten wären bei der Arbeit ungemein nützlich gewesen, erklärt Biermann: »Das ist natürlich ein unglaublicher Service. ‚Kostenlos‘ würde ich das nicht nennen. Denn bezahlt haben wir alle mit Ängsten, mit Seelengeld, mit Tränen, mit Wut, mit Verbitterung. Aber wenn das dann überstanden ist, dann freut man sich doch, dass diese Verbrecher so ordentlich gearbeitet haben.«

biermannEr berichtet über seine Zeit als Staatsfeind Nummer eins in der DDR, als ihn Joan Baez und Allen Ginsberg in seiner rund um die Uhr bewachten Wohnung besuchten, er rechnet ab mit »falschen Freunden«, wie seinen ehemaligen Manager Diether Dehm und Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki. Einen »Schelmenroman« hat Biermann – halb im Scherz – seine Autobiografie genannt.

»Im Osten war ich Drachentöter / Im Westen Wolf – doch niemals Köter / hing nie an keiner Kette fest. Ich brach mit blutigen Genossen / Die Gift mir in die Seele gossen / schrie all das aus und sang und schwieg / Im allerbesten Sinn Verräter / Nicht Opfer, lieber bin ich Täter«, heißt es in Wolf Biermanns Lied »Adieu Berlin«. Diese Verse beschreiben Biermanns Credo treffend – immer der unangepasste Querdenker, der kritische, bisweilen boshafte Mahner, für den die geistige Freiheit das höchste Gut war und ist.

Vor 40 Jahren (exakt am 16. November 1976) bescherte Biermann der DDR eine echte Zerreißprobe. Die SED-Führung hatte während seiner Tournee durch die Bundesrepublik die Ausbürgerung publik gemacht. In selten erlebter Einigkeit gab es bereits einen Tag später eine öffentliche Protestnote, die von zahlreichen DDR-Intellektuellen und Künstlern (von Stephan Hermlin über Stefan Heym bis zum kürzlich verstorbenen Manfred Krug) unterzeichnet wurde. Ein Massenexodus setzte ein.

Bereits 1965 war ein Auftritts- und Publikationsverbot gegen ihn erlassen worden, weil er in der »Ballade auf den Dichter Francois Villon« das Parteiorgan »Neues Deutschland« und Margot Honecker verunglimpft hatte, so die Darstellung der SED-Führung. »Das Politbüro geriet unfreiwillig zu meiner PR-Agentur«, befindet Biermann im Rückblick.

Wolf Biermann, der heute* vor 80 Jahren in Hamburg als Sohn eines im KZ ermordeten jüdischen Kommunisten geboren wurde, siedelte 1953 in die DDR über, wo er in Berlin Ökonomie, Philosophie und Mathematik studierte. Schon als Kind trug er den Spitznamen »der kleine Sänger«, weil »man mich schon damals eher darum bitten musste, nicht zu singen«. Anfang der 60er Jahre hatte Biermann – gefördert von Hanns Eisler – begonnen, Gedichte und Liedtexte zu schreiben, deutlich beeinflusst von der Lyrik Brechts.

Als Biermann 1976 in den Westen zwangsübersiedelte, reagierte die Medienöffentlichkeit zunächst mit einigem Unverständnis, denn er spielte nicht die von ihm erwartete Rolle des »Berufsdissidenten«, der »öffentlich seine Ostwunden leckte«.

In seinem tiefsten Innern ist Wolf Biermann latent immer Sozialist geblieben – zumindest bis zum Mauerfall. Danach zerstritt sich der Georg-Büchner-Preisträger des Jahres 1991 öffentlich mit den beiden Altmeistern der DDR-Literatur Stephan Hermlin und Stefan Heym (den er als »aufsässigen Feigling« bezeichnete), er entlarvte den Lyriker Sascha Anderson als »Stasi-Spitzel« und wurde seinerseits 1994 vom österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka als »Arschkriecher« und »Trottel« bezeichnet.

Wolf Biermann, der 2008 die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität erhielt, polarisierte stets mit Leidenschaft, und an seiner Person und seinem Werk schieden sich immer die kritischen Geister. So auch 1998, als Biermanns langjährige Lebensgefährtin, die Schauspielerin und Sängerin Eva-Maria Hagen ihre Memoiren unter dem Titel »Eva und der Wolf« vorgelegt hatte.

»Ich weiß ja: Unrecht ist uralt/ Verlust ist unser Hauptgewinn/ Und doch läßt mich kein Elend kalt/ Mich wundert, daß ich so zornig bin.« Treffende, selbstchrakterisierende Verse aus Biermanns Lyrikband Heimat (2006). Der Wolf (Biermann) zeigte immer gern seine Zähne.

| PETER MOHR
| Abb: Der Liedermacher Wolf Biermann beim Hausacher Leselenz 2013 / HARALD KRICHL

Titelangaben
Wolf Biermann: Warte nicht auf bessre Zeiten
Berlin: Ullstein Verlag 2016
576 Seiten, 28 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Berliner Ensemble am 18. November um 20 Uhr: »paar eckige Runden drehn!« – Ein Abend zu Ehren von Wolf Biermann
| Thalia Theater Hamburg am 20. November um 19.30 Uhr: Sonderkonzert mit Wolf Biermann & Pamela Biermann & dem Zentralquartett – Festredner Olaf Scholz

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Celui qu’on attendait

Nächster Artikel

Die Unbeugsamen

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Hot to handle…

Menschen | Denkschrift über Roky Erickson und Dr John Mac Rebennack Nachrufe sind nicht so meine Sache. Eine schlimme Angelegenheit in jedem Fall. Aber Roky und Dr John sind Bekannte von Bekannten aus Bekanntenkreisen von mir aus früheren Jahren. Die sich als Stars zeigten. Von denen auch ein trauriger Abschied öffentlich sein kann. Von TINA KAROLINA STAUNER

Ein hoffnungsvoller Mensch

Menschen | Werner Schroeter: Tage im Dämmer, Nächte im Rausch Vor fast zwei Jahren, am 12. April 2010, ist der Film- & Theaterregisseur Werner Schroeter gestorben. Er war gerade 65 Jahre alt geworden. Unter den Regisseuren des »Neuen deutschen Films« war der 1945 in Thüringen geborene, jedoch in Bielefeld, Neapel und Heidelberg aufgewachsene Werner Schroeter der außergewöhnlichste Künstler. Ein kompromissloser Melodramatiker wie kein zweiter, ein Tragiker der Empörung, ein Schmerzensmann der herzzerreißenden Emotion. Von WOLFRAM SCHÜTTE

»Bitte erwartet nicht gleich wieder einen Besucherrekord«

Comic | Interview mit Bodo Birk zum 20. Internationalen Comic Salon Erlangen

Nach coronabedingter vierjähriger Pause öffnet der Internationale Comic Salon in Erlangen in wenigen Tagen wieder seine Pforten. Das Festival, das traditionell alle zwei Jahre von Fronleichnam bis zum folgenden Sonntag (in diesem Jahr 16. bis 19. Juni) dauert, ist seit Jahrzehnten das Zentralereignis der deutschsprachigen Comicszene. Vieles soll so werden wie 2018, wobei die Comicmesse, Ausstellungen und weitere Veranstaltungen damals von der Stadthalle unter anderem in große Zelte in der Innenstadt umzogen. Es sieht so aus, als ob die Comicfans unbeeindruckt vom Ausfall des Salons 2020 wieder in Scharen nach Erlangen strömen werden; Festivalleiter Bodo Birk bleibt im Gespräch mit ANDREAS ALT dennoch mit seinen Erwartungen etwas vorsichtig. Dagegen lobt er das Programm als innovativ: Einen thematischen Schwerpunkt bilden Feminismus und Genderfragen im Comic.

Zwischen Recht und Moral

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Bernhard Schlink

»Ich bleibe Optimist, indem ich nach wie vor wichtig finde, sich in der Welt und für sie einzusetzen.. Aber ob die Schwächung der Demokratie und das Erstarken der Sehnsucht nach dem Autoritären, die Unversöhnlichkeit in der Gesellschaft, der Hass und die Kriege, die Zerstörung von Klima und Natur aufgehalten werden können, weiß ich nicht«, bekannte Bestsellerautor Bernhard Schlink, der erst spät zum Schreiben gefunden hat (zunächst parallel zu einer beachtlichen Karriere als Jurist), in einem Interview im letzten Jahr. Von PETER MOHR

Mit Kurs aufs Weihnachtsgeschäft

Menschen | Mary und Charlie Dickens: Unser Vater Charles Dickens Am 7. Februar 2012 vor 200 Jahren wurde Charles Dickens geboren, als zweites von acht Kindern. Das »Leben im Prekariat« lernt er früh aufs Drastischste kennen, als der Vater kurzfristig im Schuldturm sitzt und der elfjährige Charles in einer Schuhwichsefabrik fürs Familieneinkommen sorgen muss. Die Grenze für Bildung heißt Geld, die Grenze für Liebesglück heißt Klassengesellschaft. Charles Dickens wird diese Erfahrung als Gerichts- und Parlamentsreporter und erst recht als Schriftsteller immer wieder variieren, ob als herzzerreißende Erzählung oder als schneidende Sozialsatire. Wie sie auch in sein eigenes Familienleben einfließt, erzählt