Gesellschaft | Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt
Ulrich Beck, ein erfolgreicher, renommierter Soziologe, starb im Januar vergangenen Jahres, er hat mit seiner These einer Risikogesellschaft wichtige Diskussionen angestoßen. Das hier rezensierte letzte Werk erscheint posthum. Von WOLF SENFF
Nach erster Lektüre drängt sich allerdings der Eindruck auf, uns werde der ›American Dream‹ in globalem Format aufgetischt. Dass dieser in den USA de facto eingeäschert ist, bleibt unerwähnt. Und wenn statt globalisierter Welt nun von kosmopolisierter Welt die Rede sein soll, argwöhnt man spontan, es werde eben doch nur alter Wein in neuen Schläuchen serviert.
Makabre Prognosen
Der Klimawandel, so wird prognostiziert, eröffne der Menschheit neue Chancen in Landwirtschaft und Ölförderung. Nach allem, was über die drohende Klimakatastrophe bekannt ist, ist eine solche Äußerung grundlegend falsch. Das Klima wird aus den gewohnten Rhythmen herausfallen, wird weniger verlässlich, diverse Regionen werden komplett unbewohnbar. Der Zustand der Meere – Übersäuerung, Überfischung, Vermüllung, Anstieg der Meeresspiegel – ist kaum vorhersagbar. Die Menschheit wird auf der Suche sein nach fruchtbaren Böden und nach Regionen, in denen reguläres Wachstum und Ernte noch möglich sind.
Die Beckschen Nachlassgestalter schreiben die kapitalistischen Strukturen und technologischen Standards kritiklos fort und versteigen sich in makabre Prognosen: die »Anmietung einer Leihmutter« sei zwar in den reichen Regionen »recht teuer«, sie sei jedoch »umso billiger« dort, wo es ein »großes Angebot armer Frauen« gebe, es entstünden Konturen »eines neuen Sektors der Weltwirtschaft«, wobei die globale Ungleichheit von arm und reich – nicht etwa dass es sie aufzuheben gelte – sich erfreulicherweise kostenminimierend auswirke.
Nach Lawinenart
Der Klimawandel werde die Menschheit zwingen, gemeinsam zu handeln; er hat für die Verfasser den Stellenwert eines positiven Kollateralschadens, und das gilt als ein Beleg für die These einer bevorstehenden großen Metamorphose.
Diese Metamorphose zwinge zur Auflösung der Grundmuster der nationalstaatlichen Moderne im Diskurs der Soziologie. Das sei unumgänglich, denn die Gegenwartsgesellschaft dominiere und kolonisiere die Zukunft, und damit müsse, Resultat von allgemein gehaltenen Ausführungen, sinnvollerweise Schluss sein.
Ulrich Beck bzw. die Verwalter seines Nachlasses versuchen sich am großen Wurf, und die anstehende Klimakatastrophe gibt den äußeren Anlass, sie ist gewissermaßen die Lawine, die, wie die Autoren annehmen, eine neue Ordnung der Welt erzwingen werde. Eher wohl, darf man kommentierend anmerken, wird es sich um eine neue Unordnung handeln.
Unter den Teppich gekehrt
Die Becksche ›Risikogesellschaft‹ wird zur ›Weltrisikogesellschaft‹, und kaum ein Risiko bleibt unerwähnt – von der Erderwärmung bis zum globalen Ölfördermaximum, von den Risiken und Gefahren des Impfens bis zu denen gentechnisch veränderter Nahrungsmittel.
Die Verfasser reden nicht von einer Krise oder gar einem Scheitern der Moderne, im Gegenteil, die entstandene Konfliktdynamik sei bereits das Resultat von Erfolgen. Der sich anbahnende Klimawandel werde zur Formierung kosmopolitischer Institutionen führen, und große Hoffnung setzen sie auf das neue Zeitalter digitaler Kommunikation.
Don’t worry, be happy
Es drängt sich der Eindruck auf, als beschwöre Ulrich Beck eine »Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«, mit Goethe, oder auch, mit Ernst Bloch, das »Prinzip Hoffnung«, und das ist alles weitgehend sympathisch und gut gemeint, zum Beispiel, wenn er auf künftig neue Existenzformen, neue Arten des Sehens, Hören und Handelns verweist.
Letztlich handelt es sich jedoch um die neueste Version grenzenlosen Vertrauens in Fortschritt, in die technologische Entwicklung etc. Man staunt. Ein Wolkenkuckucksheim. Don’t worry, be happy? Überall geschähen Katastrophen ungeahnten Ausmaßes, die aber anschließend ihr emanzipatorisches Potenziall entfalten würden – das ähnelt dem auf moderne Begriffe gestylten Spiel von Himmel und von Hölle.
Titelangaben
Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt
(The Metamorphosis of the World, Cambridge 2016, übersetzt von Frank Jakubzik)
Frankfurt: Suhrkamp 2017
268 Seiten, 25 Euro
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