›Geschlechterkampf. Franz von Stuck bis Frida Kahlo‹. Unter diesem provokanten Titel zeigt derzeit eine große Ausstellung im Städel Museum, wie kontrovers Künstler vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf die sich verändernden Rollenbilder reagierten. Von PETRA KAMMANN
Noch bis zum 19. März 2017 sind dort rund 180 zum Teil weltberühmte Arbeiten zusehen, unter anderem auch von Edvard Munch, Auguste Rodin, Gustav Klimt, Otto Dix, Hannah Höch und Max Ernst. Etliche der Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Filme stammen aus der Sammlung des Städel selbst, andere sind Leihgaben bedeutender Museen. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle kreisen um die spannungsgeladenen und tückischen Beziehungen zwischen Mann und Frau.

Und schon sind wir hier und heute mittendrin in der Rollenzuschreibung von Mann und Frau, bevor wir überhaupt die Ausstellungsräume selbst betreten haben, wo die Kuratoren Felix Krämer und Felicity Korn Werke aus der Zeit zwischen 1860 und 1945 ausgewählt haben und wo wir eintauchen können in die Epochen zwischen Symbolismus und Surrealismus, statt der Kunst der Gegenwart Raum zu geben.
Im Untergeschoss der Ausstellungshalle des Städel erwarten uns die historischen künstlerischen Reflexionen der sich wandelnden Rollenbilder von Mann und Frau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und im oberen Geschoss geht es dann weiter mit Exponaten vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Ist das Thema aber wirklich so neu? Eines steht fest: Es ist brisant wie eh und je. Allenfalls kann man, wenn man sich in der Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des Fin de Siècle umschaut, von einer Verschärfung der Brutalität im 20. Jahrhundert sprechen, die, bedingt durch Neue Medien wie Fotografie und Film, eine noch stärkere Multiplikation erfährt.

STÄDEL Museum Frankfurt/M.
Im Zuge der Aufklärung wie auch der Paulskirchen-Bewegung nach 1848 hatten schon so etwas wie erste Emanzipationsbestrebungen eingesetzt, welche die soziale Gleichstellung von Mann und Frau forderten. Die erste deutsche Verfassung gestand den Frauen aber noch keinerlei Rechte zu. Für politisch interessierte Zuschauerinnen gab es allerdings eine »Damengalerie«, erläuterte der neue Städeldirektor Philipp Demandt. Die ersten Bilder, die sich mit dem Thema Emanzipation auseinandersetzten, kamen jedoch erst später: in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Da wurden erstmals weibliche und männliche Rollenbilder in der breiten Öffentlichkeit diskutiert – eine Debatte, die auch in den bildenden Künsten ihre Spuren hinterließ. Da waren es natürlich ausschließlich Männer, die dieses Thema angingen. Sie waren einerseits fasziniert von den starken Frauentypen, angesichts »dominanter« Frauen jedoch stark verunsichert. Die Künstler sahen in der nach Gleichberechtigung strebenden Frau eine essenzielle Bedrohung, weswegen sie das weibliche Geschlecht zur Figur des Bösen stilisierten, das seine sexuellen Reize nur gezielt zur Entmachtung des Mannes einsetzt.
Bildnerisch klammerten sie sich dabei an das Bild der Femme fatale (der Unheil bringenden Frau), für das sie teils biblische Gestalten heranzogen wie zum Beispiel die sinnliche Salome, die dem mächtigen Herodes eiskalt den abgeschlagenen Kopf des Johannes auf dem Tablett präsentiert. Aber auch andere starke biblische Charaktere und Männermörderinnen der Antike wie Judith, Delila oder Lilith erreichten gegen Ende des 19. Jahrhunderts für Künstler wie Gustave Moreau, Jean Benner, Lovis Corinth oder Aubrey Beardsley Kultstatus. Parallel zum gesellschaftlichen Erstarken der Frau finden sich in der Kunst des Fin de Siècle auch immer wieder Darstellungen, welche die Schuld der Ursünde und die Verführungskünste der Frau hervorheben. So gewann die künstlerische Beschäftigung mit der destruktiven, ins Verderben führenden Weiblichkeit zunehmend an Bedeutung. Die den Mann erniedrigende Femme fatale diente dem Mann als zentrale Projektionsfläche sowohl für seine Ängste als auch für seine sexuellen Begierden.

Foto: STÄDEL Museum Frankfurt/M.
Die chronologische Anordnung der Exponate der Städelschau erstreckt sich über beide Etagen des Ausstellungshauses in insgesamt zwölf thematischen Abschnitten, wobei die Präsentationsfolge von insgesamt fünf monografischen Themenblöcken unterbrochen wird. Diese widmen sich Künstlerinnen und Künstlern, in deren Werk das Thema des Geschlechterkampfes einen herausragenden Stellenwert einnimmt wie bei Franz von Stuck, Jeanne Mammen, Félicien Rops, Edvard Munch und Lee Miller.
Für den norwegischen Maler Edvard Munch, dem wir dann gleich mit mehreren ausdrucksstarken schaurig-schönen Gemälden in der oberen Etage begegnen, waren die Geschlechterrollen ebenfalls klar definiert: »Da war es die Frau, die verführt und lockt und den Mann betrügt«, notierte dieser 1929 in sein Tagebuch. Er stilisierte in seinen Bildern Frauen zu todbringenden Vampiren oder Harpyien, den Mischwesen aus hässlichen Frauenköpfen mit geierartigen Vogelkörpern, welche den schwachen Mann ins Verderben und in die Depression trieben.
Das Publikum des Fin de siècle muss von solch starken Frauenfiguren fasziniert gewesen sein. Die in der Schau zusammengetragenen Gemälde, Skulpturen, Filme und Fotos – manche darunter auch kitschig – sind vor allem eine chronologische Ansammlung von Prototypen, Idealbildern und Identifikationsfiguren aus einer Zeit des großen Wandels: Sie erzählen vom Beginn der Frauenbewegung, von der körperlichen Freizügigkeit nach dem Ersten Weltkrieg, von den Geschlechterdebatten und von den Sexualkontroversen der Weimarer Republik, in der eine große Liberalität sichtbar wird, bis zu einer Synthese der beiden Geschlechter hin zum Androgynen. Das Bild der Frau, vorzugsweise von Männern gemalt, changiert zwischen Femme fatale, Hure und Heiliger.

Öl auf Leinwand, 80 x 63 cm
Musée des Beaux-Arts, Nizza
© VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Foto: Laurent Thareau
Viele der gezeigten Arbeiten sind sexuell stark aufgeladen und schockieren noch heute. Jean Benners ›Salome‹ um 1899 mit dem abgeschlagenen Kopf des Johannes. Franz von Stucks ›Medusa‹ von 1892, welche den Betrachter mit weit aufgerissenen Augen anstarrt, allen voran aber Gustav Adolf Mossas vollbusige ›Sie‹ von 1905, die auf einem blutigen Berg toter Leiber thront. Sie wirkt besonders provokant und abschreckend. Zu Beginn der 1930er Jahre scheinen sich die Aggressionen so angestaut zu haben, dass gar der Lustmord im Zentrum steht, wie bei Karl Hubbuch, während Josef Scharl eine »misshandelte Dirne« mit kahlem Kopf zeigt. De Sade, der von vielen Künstlern in dieser Zeit rezipiert wurde, lässt grüßen.

© VG BILD-KUNST, BONN 2016
Foto: Moderna Museet, Stockhom
In den 20er Jahren wurde aber auch noch ein anderer Frauentypus bestimmend: die Garçonne, die zur Rebellin und Mode-Ikone stilisiert wurde. Dieses Zwitterwesen steckt in Hosenkleidern – praktisch für die neue Arbeitswelt in der Großstadt. Sie trägt statt wallend verführerischer Mähne den kurz geschnittenen Bubikopf wie in Hubbuchs Bild ›Hilde mit Föhn, Fahrrad und Breuerstuhl‹ von 1928. Dieses androgyne Wesen mit männlichen und weiblichen Merkmalen vermittelt schon durch sein Äußeres einen Einblick in neue emanzipatorische Frauen- und Männerrollen, die in Theater, Film, Illustration und Mode als zeitgenössisch und repräsentativ wirksam verbreitet werden. Weiterentwicklung zum Ende der Roaring Twenties ist der Transvestit, der vor allem von Jeanne Mammen in einem Berliner Transvestitenlokal gezeichnet wird.
Die Dresdner Sezessionsgruppe um den Maler der neuen Sachlichkeit, Otto Dix, wie auch die Avantgarde-Malerin Elfriede Lohse-Wächtler wiederum lassen sich von halbseidenen Bordell-Szenen, deren Tragik bis hin zum Lustmord auch spürbar wird, inspirieren. Sie gehört zu den wenigen Künstlerinnen der Ausstellung. Insgesamt hat in der Schau das weibliche Objekt eine hohe Dominanz in der Darstellung. »Wir hätten gern mehr Männer gezeigt – auch unbekleidete Männer – aber es gibt dazu fast keine Werke«, kommentiert Kurator Felix Krämer die Sachlage. Die Männer, sie zeichneten und malten nun eben mal am liebsten Frauen. »Mit unserer Ausstellung möchten wir aber zur Beschäftigung mit dem Thema des Geschlechterkonflikts anregen«, sagt der Kurator.
Krämer möchte mit dieser Schau auch noch einmal das Interesse für die dunklen Aspekte der Romantik wecken und damit zu einem erweiterten Verständnis der Bewegung in der Moderne anregen. Dabei kann er sich bei der Auswahl der präsentierten Werke nicht nur auf wichtige Positionen im eigenen Sammlungsbestand des Städel mit Gemälden von Max Liebermann, Edvard Munch und Franz von Stuck, Skulpturen von Auguste Rodin sowie Fotografien von Frank Eugene oder Claude Cahun stützen, sondern auch thematisch an die bemerkenswerte Städel-Ausstellung ›Schwarze Romantik‹ aus dem Jahre 2012 anknüpfen. Dem wurden in der jetzigen Schau bedeutende Leihgaben von bekannten Künstlern der Kunstgeschichte wie Hannah Höch, Édouard Manet, Gustav Klimt, Otto Dix oder Frida Kahlo und kunsthistorische Entdeckungen gezielt zur Seite gestellt, die den Kanon des Geschlechterkampfs um aussagekräftige Positionen erweitern wie die Arbeiten von Leonor Fini, John Collier oder Gustav Adolf Mossa. Sie alle beleuchten die Komplexität der Problematik vor dem Hintergrund umfassender historischer und sozialer Veränderungen.

Frida Kahlos Selbstbildnis ›Der kleine Hirsch‹ oder auch ›Der verletzte Hirsch‹ hinterfragt das Frauenbild auf eine spezielle selbstbewusste Art. Ihre geradezu narzisstische Selbstinszenierung als Zwitterwesen, in dessen verletztem Körper die verletzte Seele wohnt, stellt die Künstlerin als einen von Pfeilen durchbohrten Hirschkörper dar, auf dem ihr eigener markanter Kopf sitzt.
© Banco de Mexicó, Diego Rivera Frida Kahlo Museums Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Titelangaben
GESCHLECHTERKAMPF
Franz von Stuck bis Frida Kahlo
24.11.2016–19.3.2017 im STÄDEL Museum Frankfurt/M.
Katalog
Geschlechterkampf .Franz von Stuck bis Frida Kahlo
Katalog zur Ausstellung im Städel Museum, Frankfurt a. M.
München: Prestel 2016
336 Seiten, 49,95 Euro
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