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Kinderbücher | Jo Cotterill: Eine Geschichte der Zitrone / R. Westcott: Pusteblumentage

Die Beziehung junger Mädchen zu ihren Müttern ist oft kompliziert. Sie wird dann schwierig, wenn aus den Teenagern langsam junge Frauen werden. Was alles noch verzwickter macht, ist die Abwesenheit von Müttern in dieser Phase. Von ANDREA WANNER

Joe Cotterill - EIne Geschichte der ZitroneBei der 11jährigen Calypso liegt der Tod ihrer Mutter schon ein paar Jahre zurück. Sie und ihr Vater scheinen sich arrangiert zu haben. Das Atelier der Mutter ist leergeräumt und zu Calypsos eigener Bibliothek geworden, denn Lesen hat eine große Bedeutung in ihrem Leben. Das andere Wichtige ist ihr Vater, um den sie sich kümmert. Er ist komplett vertieft in eine Arbeit über die Geschichte der Zitrone. Fast schon besessen sammelt er Details über die Zitrusfrucht und vergisst dabei den Alltag, das Einkaufen, sogar seine Tochter. Sie versucht seinen Erwartungen an ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gerecht zu werden und tut alles, um den Haushalt nicht ganz im Chaos versinken zu lassen. Dann kommt Mae neu in ihre Klasse. Und Mae teilt nicht nur Calypsos Liebe zu Büchern, sondern hat auch eine richtige Familie und eine, wie Calypso findet, wunderbare Mutter. Mehr und mehr wird ihr bewusst, was ihrem eigenen Leben fehlt.

Behutsam legt Jo Cotterill den Konflikt und das wahre Problem frei. Nicht geleistete Trauerarbeit, permanente Überforderung und vertauschte Rollen: statt, dass der Vater sich um seine Tochter kümmert, muss sie für ihn sorgen. Nie darf Calypso Kind sein, sich einfach gehen lassen oder sich ihrem Kummer hingeben. Auf Dauer kann das nicht funktionieren.

Der Weg aus dieser schwierigen Lage ist kompliziert und Cotterill beschönigt nichts. Sie erzählt mit feinem Gespür für Details und die leisen Zwischentöne. Die Freundschaft zwischen Calypso und Mae wird nicht als Ausweg geschildert, Maes Mutter nicht als gute Fee, die das einsame Mädchen rettet. Authentisch und glaubwürdig wird eine Möglichkeit für Calypso und ihren Vater aufgezeigt, wie das Leben vielleicht irgendwann wieder besser werden könnte.

Rebecca Westcott - PusteblumentageLivs Mutter lebt noch. Aber sie ist krank. Todkrank. Daher hat Livs Mutter auch ein Projekt: Bevor sie stirbt, will sie noch alles Wichtige an ihre Tochter weitergeben. So lernt Liv Spaghetti Bolognese kochen, wird zum ersten Mal richtig geschminkt und bekommt ihren ersten BH, obwohl sie den noch kein bisschen braucht.

Liv ist verwirrt. Was soll das alles? Warum darf sie sich auf einmal sogar Ohrlöcher stechen lassen? Livs Vermutungen gehen in ganz verkehrte Richtungen und als sie die Wahrheit erfährt, bricht ihre Welt zusammen.

Bei Rebecca Westcott haben den Leserinnen einen Vorsprung gegenüber der naiven Heldin, der dazu führt, dass man die 13-Jährige manchmal am liebsten schütteln würde. Das Gefühl, immer weniger Aufmerksamkeit zu bekommen als der jüngere, autistische Bruder macht Liv blind für viele Dinge, die sie sehen könnte – wenn sie nur wollte. Auch der Moment, als ihr klar wird, um was es geht, ist keiner, den sie so nutzt, wie man es sich eigentlich vorstellt. Verletzt und zornig weiß sie nicht wohin mit ihren Gefühlen. Erst im buchstäblich allerletzten Augenblick gelingt es ihr, für kurze Zeit doch noch über den eigenen Schatten zu springen und sich mit der Realität auseinanderzusetzen.

Westcott wird sehr deutlich und zeigt das Sterben aus großer Nähe. Die Geschichte beginnt »drei Monate danach« mit einem kurzen Kommentar zu den Tagebüchern der Mutter, ehe dann chronologisch die Ereignisse von »dreizehn Wochen davor« erzählt werden. Livs Leben zerfällt in dieses davor und danach, auch hier wird der Weg in eine Zukunft ohne Mutter eher angedeutet.

Zwei Bücher erzählen vom Tod der Mutter. Es ist die Stärke beider Geschichten, das Thema Verlust nicht zu bagatellisieren. Vieles wird am Ende offen gelassen. So unterschiedlich die Autoren das tun, so treffen doch beide den Ton, der junge Leserinnen Anteil nehmen lässt und eine Erfahrung vermittelt, die viele noch nicht machen mussten. Es bleiben Räume, in denen jeder darüber nachdenken kann, wie er das Verhalten von Calypso und Mae findet. Trotz aller Trauer und Traurigkeit stellt sich am Ende jedoch die Zuversicht ein, dass es irgendwo jenseits der Geschichten gut weitergeht.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Jo Cotterill: Eine Geschichte der Zitrone
(A Library of Lemons, 2016). Aus dem Englischen von Nadine Püschel
Hamburg: Carlsen – Königskinder 2016
254 Seiten, 16,99 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
| Leseprobe

Rebecca Westcott: Pusteblumentage
(Dandelion Clocks, 2014). Aus dem Englischen von Barbara Lehner
München: dtv 2017
206 Seiten, 12,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
| Leseprobe

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