Vielleicht sieht er wieder kleine rosa Elefanten!

Roman | Martin Suter: Elefant

Da steht er plötzlich in seiner Höhle: ein kleiner rosaroter Elefant, der im Dunkeln leuchtet. Schoch hält das niedliche Tierchen für ein Spielzeug, von dem Kinder träumen, die schon alles haben. Da hebt es den Rüssel. Ist der erstaunte Obdachlose Opfer der Phantasie seines Trinkschädels oder in etwas viel Größeres hineingeraten, das nicht nur seinen Verstand übersteigt? MONA KAMPE begibt sich mit ihm auf ein rätselhaftes, nicht ganz ungefährliches Abenteuer.

Martin Suter ElefantSchoch ist fassungslos erstaunt: Da steht plötzlich ein kleiner rosaroter Elefant in seiner Schlafhöhle. Er sieht aus wie ein »Marzipanschweinchen« und leuchtet wie ein »Glühwürmchen«. »Eine Entzugserscheinung konnte es nicht sein, er hatte genug getrunken.«

Auch am nächsten Abend, als der Obdachlose von einer Sauftour zurückkommt, ist das scheue Tierchen noch da. Die Höhle etwas verwüstet. Es hat sich in die tiefste Ecke verkrochen.

Er wird von einem warmen Rüssel wach, der leicht um ihn geschlungen ist. Der Elefant erschreckt sich. Schoch füttert das Zauberwesen mit Blättern. Es wird zutraulicher. Ist es ein Wunder, ein Zeichen? Nach dem Mittagsschlaf keucht das Tierchen und liegt gekrümmt vor Schmerzen am Boden. Flüssiger Kot tritt aus ihm aus.

Besorgt versteckt er es in seiner Sporttasche und eilt in die »Gassenklinik«, wo die Hunde seiner randständigen Kumpanen umsonst versorgt werden. Tierärztin Valerie schwört, sich an das Arztgeheimnis zu halten. Diagnose: Butterblumen sind für Elefanten giftig.
Sie versorgt das Tier und ist sich sicher, es ist eine »Weltsensation«, erzeugt durch Genmanipulation. Sie überzeugt Schoch davon, dass es regelmäßige Beobachtung und Pflege braucht und verschanzt die beiden in ihrer Elternhausvilla, die sie geerbt hat, als diese verstarben. Dort erregen sie keine Aufmerksamkeit und sind in Sicherheit.

Gemeinsam mit Valerie kümmert sich Schoch rührend um »Sabu« und kommt aufgrund seiner neuen Aufgabe immer häufiger ohne Alkohol aus. Die Tierärztin erinnert ihn daran, dass die Genmanipulation ein Eingriff in die Evolution ist.
Die glückliche, kleine Familie gerät jedoch in große Gefahr, als Schoch eine Nachlässigkeit begeht. Denn die rechtmäßigen Eigentümer wollen ihre lukrative Schöpfung um jeden Preis zurück.

 

Die rosarote Faszination, die an unser Gewissen appelliert

Martin Suter, Züricher Autor und Werbetexter, gelingt mit seinem neuen Roman ›Elefant‹, der bereits kurz nach dem Erscheinen am 1. Februar 2017 die ›SPIEGEL-Bestsellerliste der Belletristik Hardcover‹ anführte, eine unglaublich humane und spannende Erzählung um das Rätsel eines wissenschaftlichen Phänomens. Trotz der intensiven Auseinandersetzung mit der Gentechnologie und -manipulation, aus deren Erkenntnissen und erfolgreichen Experimenten vor allem die Wirtschaftsindustrie Profit schlagen möchte, stehen die zwischenmenschlichen Beziehungen ganz unterschiedlicher Charaktere und Interessen im Vordergrund. Sie alle kommen mit dem kleinen Forschungswunder in Berührung und tragen eine Verantwortung, die selbst das noch so reine Gewissen nicht frei von Schuld spricht.

Der kleine rosarote Elefant lässt sie nicht los. So ließ auch dem Autor dessen Faszination, die vor zehn Jahren von einem bekannten Tübinger Professor für Hirnforschung in ihm geweckt worden war, keine Ruhe. Das Tierchen, das er niemals seiner Tochter schenken wird, steckte immer in seinem Hinterkopf. Mithilfe einer gewohnt intensiven Recherche – Gespräche mit und Erläuterungen von Wissenschaftlern zu einer künstlichen Befruchtung bei Elefanten, Elefantengeburten und dem Phänomen ›Glowing Animals‹ sowie eigene Ausflüge in die Züricher Obdachlosenszene – hauchte Martin Suter seiner ewigen Imagination Leben ein.

Er knüpft ein krimiartiges, abenteuerliches Netz aus Wissenschaft, Wirtschaft und Mensch, aus dem sich die Protagonisten letztlich nur selbst oder miteinander befreien können. Des Rätsels Lösung führt am Ende wieder zu einem moralischen Appell an die Gesellschaft und ihre Individuen zurück. Zu ihrem Glück oder Unglück.

Noch heute trifft sich der gelassener gewordene Schweizer mit den beiden obdachlosen Straßenmagazinverkäufern, deren Leben seine Geschichte inspirierten, regelmäßig auf einen Kaffee, verriet er dem Journalisten Kester Schlenz bei seiner Lesung Anfang Februar im ›Deutschen Schauspielhaus Hamburg‹. Authentizität, Menschlichkeit, Phantasie – diese Eigenschaften verleihen dem aktuellen Suter weitaus mehr als rosarot leuchtende Leseraugen.

| MONA KAMPE

Titelangaben
Martin Suter: Elefant
Zürich: Diogenes Verlag 2017
352 Seiten, 24 Euro
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