/

Das sind die Bretter, die die Welt bedeuten!

Bühne | Mikro-Musical am Altonaer Theater Hamburg

»Und nimm‘ jetzt auch mal bitte die Hand von meinem Knie, ich bin zweimal so alt und stehe nicht auf Päderastie!« »Madame, was die Zahl der Jahre angeht, das sag‘ ich einfach mal, das ist mir so was von schnurzpiepscheißegal!« Als Delio bei einem Casting auf seine frühere Lehrerin trifft, flammen nicht nur alte Gefühle wieder auf. Ein hochamüsantes Duett über die Liebe zum Leben und zur Bühne. Aber Vorsicht: Hier bleibt kein lachendes Auge trocken. Von MONA KAMPE

Bühne | Mikro-Musical am Altonaer Theater Hamburg

»Wozu denn das alles noch, Delio?« »Weil es nichts Besseres als das gibt!« Als der junge Musiker Delio bei einem Casting am Theater seine ehemalige Schauspiellehrerin Frau Schirmer wiedertrifft, muss er schockiert feststellen, dass diese dort als Putzfrau den Abfall der darstellenden Kunst kehrt, statt selbst auf der Bühne zu glänzen.

Dabei war sie früher seine Inspiration schlechthin! Kann der naive, attraktive Künstler mit den göttlichen Gitarrensoli und unwiderstehlichem Charme das schöne, ausgebrannte Künstlerherz von einst erneut entfachen? Die Schwingungen stimmen – musikalisch, menschlich … und vielleicht darf er auch auf etwas mehr hoffen?

Einst nannte sie es ihr »Atlantis, wo Milch und Honig fließen«, doch das Bühnenleben hat Cornelia Schirmer längst aufgeben müssen, denn die Rollen laufen einem schließlich nicht hinterher. Irgendwann ist man nicht mehr gefragt. Zudem ist diese Welt oberflächlich und anstrengend. Sie rät Delio, doch lieber etwas anderes zu machen, solange er noch kann.

So leicht lässt sich ihr strebsamster Schüler mit dem strahlenden Lächeln und den himmlischen Gitarrenklängen jedoch nicht abwimmeln! War sie doch immer sein großes Vorbild gewesen und hat ihn alles gelehrt, was er über die Bühne wissen muss. Gemeinsam bereiten sie ihn auf das Casting vor, sprechen, spielen, singen. Und langsam kehrt das Leuchten in die reife Künstlerseele zurück.

Doch auch das Herz spielt mit. Vielleicht gar ein wenig verrückt? Kann die alte Schülerschwärmerei denn gar Wirklichkeit werden? Oder ist alles pure Inszenierung? Die Flammen lodern schon und wie Delios Opa einst ein wahres Wort gesprochen: »Auf alten Pfannen lernt man kochen!«

Mikro-Musical-Medley aus Liebe zur Bühne

Bereits bei der Premiere gibt es unmittelbar Standing Ovations für Cornelia Schirmer und Delio Malär, kurz ›Cocodello‹. Das überaus sympathische Künstlerduo spielt sich einen Abend lang im ›Altonaer Theater Hamburg‹ im wahrsten Sinne des Wortes die Bretter, die ihre Welt bedeuten, wund und rund. Denn hier und da hat das Künstlerleben auch seine Ecken und Kanten und daran muss gefeilt werden. Mit selbst geschriebenen Dialogen und Songs sowie Live-Musik an Gitarre und anderen Instrumenten performen die beiden Schauspieler, die altersbedingt fast ein Vierteljahrhundert trennt, sich in die Herzen und Lachmuskeln ihres Publikums. Ihr facettenreiches Mikro-Musical umfasst ein Spektrum von italienischer Oper über Sprechgesang und argentinischem Tango, bis hin zu simplen Piep- und Gurgeltönen, die in Kombination ein urkomisches, aber harmonisches Szenario schaffen. Ein kleines Kunstwerk aus Kreativität, Symbiose und Situationskomik.

Grundlage ist eine wahre Begebenheit, denn Delio war tatsächlich Cornelias Schüler und hatte ihr bei einer Abendveranstaltung Avancen gemacht, was ihn selbst, die verheiratete Künstlerin und ihren Mann sehr amüsierte, aber auch inspirierte. ›Cocodello‹ war geboren. Die Harmonie zwischen den beiden schafft die Magie, alles andere ist pure Kunst: Die romantischen Spannungen bieten dem Duo die ideale Basis für einen köstlichen Abend, bei dem die Augen tränen lachen und fröhlich mitgeklatscht und gefiebert werden darf, ob es ein Happy End für das ungleiche Künstlerpaar gibt. Denn Zuneigung ist ein menschliches Gefühl, das jeden im Publikum abholt. Was heute gut funktioniert, kann morgen schon nicht mehr klappen, deshalb erfinden die beiden bei jeder Vorstellung neue Teile ihrer auf den zweiten Blick auch sehr tiefgründigen Bühnensymbiose. Denn der Künstler möchte vor allem eins: seine Zuschauer berühren und begeistern.

›Auf alten Pfannen lernt man kochen‹ ist ein Mikro-Musical-Medley aus Liebe zur Bühne und zum Leben. »Künstler zu sein ist eine Art zu leben. Es geht nicht ohne. Es hält uns lebendig.« Man kommt davon nicht los, weil das Feedback, das man bekommt, nirgends so und nirgends so großartig ist. Darin ist sich das Duo einig. »Das ist ein kleines Theaterwunder – dass wir aus unserer Beziehung ein kleines Stück Kunst gemacht haben. Mit dem, was uns wirklich tief bewegt, nämlich die Liebe und das Theater.« Und sein Publikum stimmt sicher mit tosendem Applaus zu, wenn ich abschließend sage: Diese Bretter dürfen gerne weiter gemeinsam brutzeln!

| MONA KAMPE
| Fotos: ANDREAS SCHLIETER

Titelangaben
›Auf alten Pfannen lernt man kochen‹ am Altonaer Theater Hamburg

Reinschauen
| Cocodello auf Facebook

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Free Jazz, Free Space & Impro: Nordic Balm

Nächster Artikel

»Was mache ich hier?«

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Die Revolution der Magie

Live | Show | House of Mystery Hans Klok steht seit Jahren an der Weltspitze der Illusionisten und es scheint ihm dort zu gefallen. Mit seiner Geschwindigkeit und seinen extrem unkonventionellen Ideen hebt er die Welt der Magie aus den Angeln und verpasst dem Berufszweig ein völlig neues Image. Wieder und wieder übertritt er die Grenzen der Illusion. ANNA NOAH hat geprüft, ob er wirklich 15 Illusionen in fünf Minuten schafft.

Ein König muss Federn lassen

Bühne | Volker Lippmann: Macbeth (Theater Tiefrot)

Der Legende nach bringt es Unglück, in einem Theater den Namen Macbeth auszusprechen. Die für diesen Fluch angeblich verantwortlichen Hexen stört das nicht. »Macbeth! Macbeth! Macbeth!« raunen sie und umschwirren den einstigen schottischen Heerführer, dem sie den Aufstieg zum König weissagten. Nun liegt Macbeth (Marcus M. Mies), von seinem Gewissen sichtlich geplagt, auf einem Bett aus Federn. Der flauschige Inhalt des Hexenkessels ergießt sich über die kleine Bühne des Kölner ›Theater Tiefrot‹. Von JALEH OJAN

Affe – Blau zu schwarz

Bühne | ›Affe‹ in der Oper Neukölln Frei nach dem Motto »Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau. Du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf…« gehen die Zuschauer zusammen mit dem jungen Berliner »F.« auf einen Trip der besonders heftigen Art. ANNA NOAH ist gespannt, wie viel urbanes Lebensgefühl in der Theater-Adaption von Peter Fox’ Album »Stadtaffe« steckt.

»Jeder Mensch ist ein Abgrund«

Bühne | ›Woyzeck‹ im Stadttheater Pforzheim

Ein Mann am Ende seiner Kräfte, zerrieben zwischen der Sorge um seine Familie und regelrecht missbraucht mittels eines zynischen Menschenexperiments – so erscheint der Friedrich Johann Franz Woyzeck (ausdrucksstark, emotional-authentisch und empathisch: Jan-Hendrik von Minden) dem Publikum im Pforzheimer Stadttheater auf der Bühne (Inszenierung: Elias Perrig). Im Gegensatz dazu tanzt sich der Tambourmajor (ebenfalls authentisch und ausdrucksstark: Jacob Hetzner) leider nicht nur in die Herzen des Publikums, sondern auch in das Herz von Woyzecks Freundin Marie Zickwolf. Damit treibt er die Tragödie voran. Von JENNIFER WARZECHA

Liebe, Verwicklungen und Umwege

Bühne | Smetanas ›Die verkaufte Braut‹ Die Protagonistin Marie ist hin und hergerissen in der Wahl ihres Liebsten zwischen dem, den sie liebt und den, den sie heiraten soll. Diverse Personen möchten sie noch dazu hingehend ihrer Liebesentscheidung beeinflussen. Es erklingt das Lied mit den Zeilen »Ob Du ›ja‹ oder ›nein‹ sagst, such‘ Dein Glück« im sehr gut besuchten Großen Haus des Stadttheaters Pforzheim. Alle Besucherinnen und Besucher im Saal verfolgen gespannt die Premiere ›Die verkaufte Braut‹, eine komische Oper von Bedřich Smetana (Uraufführung am 30. Mai 1866 in Prag sowie Erstaufführung der Rezitativfassung 1871 in St. Petersburg). Von JENNIFER