/

Früher war alles besser?!

Live | Bühne: Die ›Ehe unserer Eltern‹ am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Laubblätter, gezeichnet auf Papier, liegen auf der Bühne. Am rechten Eck der Bühne im Studio steht ein Tisch mit einem Plattenspieler darauf – samt einer Thermoskanne. Eine Frau mit schwarz-gelocktem Haar trocknet Geschirr. Links davon sitzt eine Dame auf einem mit einer Papierhaube modellierten Gipfel. Ein weiterer Mann links davon sortiert Schallplatten, während sich sein weibliches Gegenüber eine Zigarette dreht. Volker erzählt von seinen Erfahrungen mit den 1968er-Jahren. Von JENNIFER WARZECHA

Er berichtet davon, dass er »keine emotionale Bindung« zu seinen Eltern gehabt habe, dafür aber seine Oma immer die konsistente Person in seinem Leben gewesen sei, die ihm sehr viele Geschenke gemacht habe. Die Bühne und mit ihr die Schauspieler, samt ihrer zahlreichen Statisten, die eben die Alt-68er und damit die Elterngeneration der Schauspieler verkörpern, wird erfüllt von Szenen und Nuancen, die die Welt der sogenannten »Babyboomer-Generation« verkörpern.

Bühne - Die Ehen unserer Eltern

Ein Perspektivenwechsel zwischen Alt und Jung wird auch damit geschaffen, dass die Schauspieler in ihren dokumentarischen Erzählungen, die auf Basis zahlreicher Interviews mit Karlsruhern der Generation geschehen sind, zwischen Eltern- und Kinder-Generation wechseln. Damit wird eine verständliche Basis eben zwischen diesen Generationen erst geschaffen.

Das Bild, das von eben dieser Generation gezeichnet wird, ist ein sehr politisches, aber auch ein privates. Ständig erzählen zum Beispiel die 44 Jahre alte Steuerberaterin mit ihren zwei Kindern (selbstbewusst und überzeugend, feministisch und ausdrucksstark: Antonia Mohr), die immer wieder ihre Weiblichkeit betonend nur in Bluse und Slip auftritt, ihre Geschichte. Eben diese, wie sie ihre freie Erziehung erlebt hat oder ihre Scheidung, gerade im rückschließenden Dialog mit ihren Eltern.

Insgesamt zeichnen alle Protagonisten ein Bild davon, wie sie das erlebt haben mit freier Liebe und politischem Extremismus, à la der RAF oder anderen politischen Gruppierungen. Immer wieder sind politische Reden ins Geschehen eingeflochten. Es geht aber auch um den Nutzen bzw. die Nachteile autoritärer Erziehung.

Jonathan Bruckmeier (persönlich, authentisch und einfach stark!) zum Beispiel gibt in seiner Schauspielerrolle ein sehr privates und deshalb auch authentisches Bild davon ab, wie er gemäß der Freiheitlichkeit der Liebe einen sexuellen Missbrauch erfährt.

Gemäß der Kritik, dass ein allzu-schlechtes Bild einer Generation abgebildet werde, die einer freiheitlichen Denk- und Wirkungsweise, wie wir sie heute haben, vorausging, einfach stark!
Der Applaus des Publikums am Ende der 2¼-Stunden-Aufführung beweist es.

| JENNIFER WARZECHA

Titelangaben
Die Ehen unserer Eltern. Dokumentartheater von werkgruppe2.
Am Badischen Staatstheater Karlsruhe
Mit: Ute Baggeröhr, Jonathan Bruckmeier,Jens Koch
Sithembile Menck, Antonia Mohr, Gunnar Schmidt
Regie: Julia Roesler; Bühne & Kostüme: Charlotte Pistorius
Musik: Insa Rudolph; Dramaturgie: Silke Merzhäuser

Termine
Donnerstag, 28.06. 20:00
ZUM LETZTEN MAL IN DIESER SPIELZEIT:
Dienstag, 03.07. 20:00

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Dünnes Eis – ein Ocean’s Film ohne »Danny Ocean«

Nächster Artikel

Folkdays… ›Sisaret‹ mit mystischen und mytischen Gestalten

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

What is in a Name?

Bühne | Sophie Scholl im Theater das Zimmer

Ihr Name ist Sophie Scholl. Das ist ein Zufall. Doch der begleitet sie ihr ganzes Leben. Von MONA KAMPE

Rocky aus der Röhre!

Theater | Richard O’Brien’s THE ROCKY HORROR SHOW – Deutsches Theater Göttingen Neben den ganzen erwartungsvollen und schon beim Ersten Klingeln vor Begeisterung zitternden Menschen in der Lobby, musste ich beinahe kühl oder reserviert wirken. Vielleicht lag es daran, dass ich zwar gerne ins Theater ging, aber noch nie The Rocky Horror Show gesehen hatte. Es war mein erstes Mal. So wie bei den meisten ersten Mals konnte man unmöglich wissen, was passieren würde. Und am Ende kam dann sowieso alles anders. Von SVEN GERNAND

»Das ewig Weibliche zieht uns hinan«

Bühne | ›Faust II‹

Kritik an dem Individuum, das, gefangen in seinen mitunter nicht nur egoistischen, sondern auch egomanen Vorstellungen die Welt oft ohne nachzudenken verunstaltet, mitunter sogar gefährdet – siehe das Problem der Verwertbarkeit des Plastikmülls oder des Artensterbens – das ist eine moderne Herangehensweise an Johann Wolfgang von Goethes (28. August 1749 - 22. März 1832) ›Faust II.‹ – ist JENNIFER WARZECHA überzeugt.

Weniger Gequatsche, mehr Action bitte!

Bühne | Elvis – The Musical Elvis – hieß nicht mal ein berühmter amerikanischer Sänger so? Genau 42 Jahre ist es her, dass er tot aufgefunden wurde, ironischerweise im Alter von 42. Seit seiner Abwesenheit aus dem Showgeschäft gibt es keinen Star, der öfter parodiert, imitiert oder geehrt wurde. Wer war dieser Elvis Aaron Presley wirklich? ANNA NOAH sucht Antworten in einer Tribute-Show.

Gewalt? Gerechtigkeit!

Bühne | Heinrich Kleists ›Kohlhaas‹ – Schauspiel Frankfurt Ernst Bloch nannte den Protagonisten Michael Kohlhaas aus der gleichnamigen, 1810 erschienen Novelle von Heinrich von Kleist den »Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität«. De facto ist Kohlhaas bereit, für sein Recht ganze Städte niederzubrennen, ohne wirklich Recht zu bekommen. Aus der komplexen Novelle hat der Schauspieler und Regisseur Isaak Dentler, zusammen mit der Dramaturgin Henriette Beuthner, in den Kammerspielendes Schauspiels Frankfurt ein Ein-Mann-Stück kreiert, mit Dentler selbst als Erzähler und Protagonisten. Das Publikum quittiert die Adaption ›Kohlhaas‹ mit tosendem Applaus. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Premiere angesehen.