/

Ein ganz normaler Tag

Bühne | Alltagsmonologe im Theater das Zimmer

Was haben eine deutsch-türkische Haushaltshilfe, Badekugeln und ein Männerwochenende gemeinsam? Den Verwandlungskünstler Dominik Velz. Von MONA KAMPE

Bin nebenanDas Leben kann so einfach sein: Die Frau fährt aufs Seminar und Mann lässt es krachen: Mit Bier und Steaks vorm Fernseher. Jeder von uns braucht doch schließlich einmal eine Auszeit. Das denkt sich auch die nette Dame von nebenan und stellt eine Haushaltshilfe ein. Ihre Wahl fällt auf eine Deutschtürkin, die gleich gegenüber wohnt. Die weiß ja tatsächlich, wie man verhandelt und ist so unabhängig! Aber warum trägt sie bloß noch ihr Kopftuch?

Die tägliche Auszeit lässt sich auch entspannt in der eigenen Wellness-Oase verbringen. Augen schließen und bunte Badekugeln ins Wasser werfen. ›Pure Emotions‹ kommen in Sekunden. Doch wieso fehlt dem schwarzen Mann plötzlich das Wasser? Ich war doch gerade so herrlich im Traumland angelangt!

»Ich bin der Durchschnitt, aber habe keine Lust mehr, die Marktforschung zu beglücken, daher kaufe ich dieses rote Sofa, das so gar nicht in meine Zielgruppe passt. Einfach so. Ich zeige es euch, denn das habt ihr nicht vorausgesehen!«

Der ganz normale Wahnsinn oder das wahnsinnig Normale

Im Alltag treffen wir komische Menschen. Oder sie haben einen seltsamen Tag. Oder alles ist eigentlich ganz normal wahnsinnig oder wahnsinnig normal. Dieses Phänomen hat Ingrid Lausund in ihren Monologen ›BIN NEBENAN‹ herausgefiltert. Die Autorin des ›Tatortreinigers‹ versteht es, das Individuelle im Alltäglichen und die Alltäglichkeit im Individuum zu finden. Diese Vorlage setzen Jona Manow und Dominik Velz meisterhaft humorvoll und bewegend um. Und das auf schlichter Herbstbühne, auf der es nur schrille Oberteile, bunte Blätter und eine blanke Parkbank zum Verweilen gibt.

Doch mehr braucht der Solokünstler Velz nicht, um sie in einen Ort der Träume, der Hoffnung und der Menschlichkeit zu verwandeln. Mit seinen Kostümen wechseln sich auch Charakter, Lebenssituation und Denkweise. Aber alle Protagonisten, die die Bühne betreten, haben eines gemeinsam: das Leben, dessen Facetten sich täglich verändern. Und trotz der verharrenden Vorurteile in uns, sehen wir Wandel, Zeit und Zukunftsgedanken. Wir bewegen uns, auch wenn wir manchmal glauben, die Welt stehe still. So lebt jeder in seinem Alltagswahnsinn und ist schließlich gar nicht so anders als alle anderen Verrückten hier draußen.

»Ich bin mutig. Ich kaufe das Sofa. Es gefällt mir nicht. Das mache ich jetzt einfach so. Denn auch ein Leander braucht mal frische Farbe in seinem Leben!«

| MONA KAMPE

Titelangaben
BIN NEBENAN
Mit: Dominik Velz
Regie und Bühne: Jona Manow
Foto: Bela Hoche
Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Deutschen Bühnenverein mit Mitteln aus Neustart Kultur.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Stunde der Raketen

Nächster Artikel

Songs for all and none

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Das sind die Bretter, die die Welt bedeuten!

Bühne | Mikro-Musical am Altonaer Theater Hamburg »Und nimm‘ jetzt auch mal bitte die Hand von meinem Knie, ich bin zweimal so alt und stehe nicht auf Päderastie!« »Madame, was die Zahl der Jahre angeht, das sag‘ ich einfach mal, das ist mir so was von schnurzpiepscheißegal!« Als Delio bei einem Casting auf seine frühere Lehrerin trifft, flammen nicht nur alte Gefühle wieder auf. Ein hochamüsantes Duett über die Liebe zum Leben und zur Bühne. Aber Vorsicht: Hier bleibt kein lachendes Auge trocken. Von MONA KAMPE

Zwischen Technokratie und Mystizismus

Bühne | Max Frisch: Homo Faber

Der deutsche Ingenieur als Abgesandter Gottes - einigen Autoren der Tageszeitung Die WELT [sic!] zufolge ist dies das Bild des Technikers, das Konzerne suggerieren, um ihren Delegierten (und damit sich selbst) in technokratischen Zeiten eine Allmacht zuzuschreiben. Passenderweise ist das auch die Synthese aus Max Frischs Roman ›Homo faber‹, wobei der Autor dies stattdessen einen Bericht nennt und hier sowohl eine scheiternde Beziehung, unbeabsichtigten Inzest und den Kampf zwischen Mythos und aufklärerischer Technik dialektisch untersucht. Daran schließen auch die Regisseurin Ulrike Arnold und ihre Co-Regisseurin Eli Wasserscheid an, die im Stadttheater Fürth den Roman auf die Bühne gebracht haben. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Premiere am vergangenen Donnerstag angesehen.

Eloquenz und Kalauer

Menschen | Zum 80. Geburtstag des kulturellen Tausendsassas Hellmuth Karasek »Manchmal fürchtete ich schon, ich schreib mich in eine Depression hinein«, bekannte Hellmuth Karasek über die Arbeit an seinem 2006 erschienenen Band Süßer Vogel Jugend. Der kulturelle Tausendsassa mit der stark ausgeprägten Affinität zur Selbstironie sprüht aber immer noch vor Tatendrang und hat im letzten Frühjahr unter dem Titel Frauen sind auch nur Männer einen Sammelband mit 83 Glossen aus jüngerer Vergangenheit vorgelegt. Sogar prophetische Züge offenbart Karasek darin, sagte er doch den Niedergang der FDP schon zwei Jahre vor der letzten Bundestagswahl voraus. Von PETER MOHR

Johnnys Sommernachtsalbtraum

Bühne | Punk-Rock-Musical | American Idiot Nach dem Sommer und einer gewissen Leichtigkeit gibt es eine Menge Raum für den glamourösen Auftritt der Melancholie. Doch was noch schlimmer ist, als die Herbst-Tristesse, ist Johnnys unbändige Wut: Auf die Zeit, in der er lebt, auf den Ort, in dem er wohnt, letztendlich auf eine ganze amerikanische Generation! Die Musik von »Green Day« ist nicht nur pulsierend laut und abgrundtief punkig. Die Band spielt Melodien, die unbequem sind; Melodien, die mitten ins rebellische Herz treffen. ANNA NOAH fragt sich, ob das Aufbrechen der altbewährten Musical-Strukturen erfolgreich funktioniert.

Die Welt ist nicht genug, Salomo

Bühne | Dürrenmatts ›Physiker‹ am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg »Die schlimmstmögliche Wendung, die eine Geschichte nehmen kann, ist die Wendung in die Komödie!« Dürrenmatts Drama ›Die Physiker‹ ist ein exzellentes Beispiel für die Komik der grotesken Situation, in der sich die Wissenschaft in der technisierten Welt befindet. MONA KAMPE